YouTube, Amazon und Co.: Kampf um Macher, Kampf um User

Will Amazon etwa YouTube angreifen? Kürzlich startete man einen neuen Streaming-Dienst für jedermann. Dahinter steckt ein viel größerer Kampf der Mediengiganten, der an zwei Fronten geführt wird.

Ganz leise hat man es nur vernommen, hier noch leiser als in den USA: Amazon hat einen Videoservice von Usern für User gestartet. Jeder, der sich „Creator“ nennen will, kann Videos dort hochladen und Geld verdienen. Das Modell klingt nach einem YouTube 2.0, und so haben die amerikanischen Mediendienste auch bereits einen Kampf der beiden Medienriesen aufgerufen: Amazon gegen YouTube?

Zumindest nicht so wie gedacht, wenn man genauer hinschaut. Im großen Feld der Content Creation ist zwar ein neuer Spieler dazugekommen, der YouTube mögliche Marktanteile abwirbt – aber das tun Facebook, Twitter und Snapchat mit ihren immer stärker ausgebauten Video-Funktionen genauso. Die Dienste stehen für eine bestimmte Art von Entertainment, die oft relativ leicht in Schubladen zu stecken ist: Lifestyle, Beauty, Gaming, keine Fiction, Authentizität, in gewissen Maßen bewusste Unprofessionalität. Sprich: Mit filmischen oder seriellen Erzählungen hat diese Art von Unterhaltung kaum zu tun.

Vor allem YouTube hat diesen professionellen Fiction-Markt vernachlässigt, und Amazon will ihn jetzt erobern. Dabei hat YouTube durchaus Bemühungen hinter sich: Vor einigen Jahren startete man die „Original Channel Initiative“, 100 Millionen Dollar schwer. Diese Anschubfinanzierung ging an diverse Produzenten, die hochwertige Inhalte versprachen. Neben Newcomern waren auch altbekannte Gesichter dabei, zum Beispiel «CSI»-Produzent Anthony Zuiker. In Deutschland erhielt unter anderem Endemol eine Finanzierung. Diese Art des Anschubs professionellerer Inhalte, auch von Fiction, galt aber schon nach kurzer Zeit als gescheitert – weitere Finanzierungsrunden gab es nicht. Stattdessen sah man, dass die Zuschauer und die erfolgreichsten Inhalte ganz von allein kamen, und dass die altbekannten Genres am besten funktionieren. Experimente oder originelle Inhalte sollten sich künftig von selbst – also bottom-up – zum Erfolg senden und nicht von oben herab – also top-down – auf die User losgelassen werden. Heute unterstützt man YouTuber mit eigenen „Creator Spaces“, wo die Produzenten zusammenkommen können, Netzwerke bilden, Equipment gestellt bekommen. Geld spielt hier keine Rolle mehr.

Entscheidende Formel: Zeit ist Geld


Die Televisionisierung von YouTube ist also gescheitert, vorerst. Man hat erkannt, dass das Medium auf andere Weise und nach anderen Regeln funktioniert als Fernsehen. Den Kampf zwischen YouTube und TV gibt es also nicht in der Art, wie wir ihn lange vermutet haben: nämlich als Kampf ähnlicher Inhalte, zwischen denen man sich entscheiden muss. Nein, die Inhalte sind ohnehin grundverschieden. Vielmehr ist es ein Kampf um Freizeit und Aufmerksamkeit, den die verschiedenen Medien führen. Je länger man auf YouTube surft und je eher man an diesen Dienst gebunden ist – beispielsweise über zahlreiche Abos oder als Fan bestimmter Channels –, desto weniger Zeit hat man für das Fernsehen.

Dieser Kampf lässt sich auf alle anderen Medien übertragen, insofern ist Amazon Video Direct ohne Frage gefährlich für die etablierten Dienste. Aber nicht wegen der Inhalte: Amazon Video Direct spricht professionelle (Kurz)Film- und Serienproduzenten an, unter anderem Fiction-Macher. Solche Inhalte haben bisher bei YouTube kaum Relevanz, geschweige denn die Aussicht auf hohe Einnahmen. Vielmehr geht Amazon den Weg, den man mit den „Pilot Seasons“ anfing, konsequent weiter. Bei den „Pilot Seasons“ lässt man Pilotfolgen potenzieller Serien produzieren; die erfolgreichsten erhalten komplette Staffeln. Die Finanzierung dieser Piloten geschieht über Amazon. Mit Amazon Video Direct liegt die Finanzierung wieder komplett bei der Produzentenseite, vom Konzern kommt kein Geld. Das Risiko für die Macher steigt, aber auch der mögliche Verdienst: 75.000 US-Dollar sind pro Jahr drin, plus Boni, wenn man mit seinen Videos besonders erfolgreich ist. Namhafte Produzenten sind bereits im Boot, darunter Conde Nast (New Yorker, Wired), The Guardian und Mashable.

Entscheide dich: Die Creator werden umworben


Es ist weiterhin nicht nur ein Kampf um die Aufmerksamkeit der passiven User, sondern auch einer um die Macher – und dies, obwohl sich die Angebote zunächst stark unterscheiden. Dennoch könnten sich auch YouTuber bald die Frage stellen, wo sie senden, wenn sie sich denn professionalisieren wollen. Amazon könnte mit seinem neuen Angebot auch hier ein interessanter Ansprechpartner sein. Und bei weitem nicht der einzige: Facebook wirbt massiv um neue Künstler und Unternehmen, die das Video-Streaming – auch live – voranbringen. Frühere YouTuber wurden massiv abgeworben, bestbezahlter ist Ray William Johnson. Er erhielt von Facebook über 220.000 US-Dollar, schreibt das „Wall Street Journal“. Solche Summen zeigen, wie aggressiv der Markt umkämpft ist.

YouTube selbst expandiert in bezahltes Streaming, was wiederum eher dem Amazon- oder Netflix-Modell entspricht. „YouTube Red“ nennt sich der Abo-Service, der unter anderem Musikvideos auch offline zur Verfügung stellt und Werbung beim Anschauen entfernt, der aber auch sogenannte „Originals“ exklusiv bereithält: Serien, Filme, Shows und Dokus, die oft von berühmten YouTubern kommen. Bisher erscheint dieser Dienst zwar eher als ein Nischenmarkt, aber immer mehr Inhalte kommen dazu.

Wie es generell weitergeht, ist zumindest absehbar: Nach einer starken Phase der Expansion folgt derzeit die Phase der Konsolidierung im digitalen Video-Markt; das Wachstum verlangsamt sich, Firmen müssen sich erfolgreich positionieren. Manche schaffen es nicht, das Geschäftsmodell der Multi-Channel-Netzwerke von YouTube steht beispielsweise auf dem Spiel. Es reicht dort nicht oft mehr aus, nur Künstler zu bündeln und gemeinsam zu vermarkten; immer mehr gehen die MCN dazu über, auch selbst Content zu produzieren. Dasselbe gilt für YouTube und Co.: Wahrscheinlich werden manche Produzenten, wie auch MCN, demnächst von den großen Konzernen übernommen. So verlagert man die Herstellung von Inhalten auch ins eigene Haus. Umgekehrt ist es nicht unwahrscheinlich, dass Anbieter wie Netflix die Content-Produktion auch auslagern – wie Amazon es bereits tut –und Produzenten dazu ermutigen, selbst Inhalte einzureichen. So würde beispielsweise Netflix auch die massiven Kosten drücken können.

Der große Gewinner ist am Ende der Macher: Er hat so viele Optionen und so viele Chancen wie nie zuvor, seine Inhalte öffentlich zu machen. Nur YouTube und nichts Anderes – diese Alternativlosigkeit weicht immer mehr auf.
21.07.2016 11:01 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/86968