Die glorreichen 6: Sportfilme, die wir lieben (Teil IV)

Begonnen haben wir auf der Autorennbahn, unser Weg führte uns in den Springparcours, anschließend ging's auf's Football-Feld und nun begeben wir uns auf die Matten. Die Ringer-Matten.

Das Coronavirus hält die Welt weiter in Atem. Betroffen ist mittlerweile das komplette öffentliche Leben, darunter auch der Sport. Sportveranstaltungen gibt es in diesen Wochen nicht mehr - Sportfans setzen quasi auf dem Trockenen. Wer keine Highlights von früher aufgezeichnet hat, könnte aber auf's Fiktionale zurückgreifen. Quotenmeter.de präsentiert daher in diesen Tagen noch einmal die sechsteilige Staffel der "besten Sportfilme" unserer Kinoredaktion aus dem Jahr 2016.

Zahlen und Fakten zu «Foxcatcher»

  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Genre: Drama/Sport
  • Laufzeit: 129 Min.
  • FSK: 12
  • Drehbuch: Guillaume Canet
  • Kamera: Greig Fraser
  • Musik: Rob Simonsen
  • Buch: E. Max Frye, Dan Futterman
  • Regie: Bennett Miller
  • Darsteller: Steve Carell, Channing Tatum, Mark Ruffalo, Sienna Miller, Vanessa Redgrave, Guy Boyd, Anthony Michael Hall
  • OT: Foxcatcher (USA 2014)

Der Sport


Das Thema Ringen als Dreh- und Angelpunkt eines Filmes? Das ist durchaus gewagt, denn wenn nicht gerade die Olympischen Spiele vor der Tür stehen, dann findet dieser Sport in den Köpfen der meisten Leute gar nicht statt. Hierzulande besteht noch nicht einmal genug Interesse dafür, um sich im Rahmen von Weltmeisterschaften damit auseinanderzusetzen. Es gibt weder Sendeplätze für eine Fernsehaustragung, noch durch den Sport bekannt gewordene Stars und Sternchen, wie sie sonst eigentlich so ziemlich jede Sportart hervorbringt. Das ist in den USA ähnlich, doch es gibt einen Vorfall, der mit dem Ring-Sport zusammenhängt, die von einer menschlichen Tragödie durchzogen ist, wie sie nur das Leben schreiben kann. Aus diesem Drama machte «Moneyball»-Regisseur im Jahr 2014 einen Film.

Die Geschichte


Der Ringer und einstige Olympiasieger Mark Schultz (Channing Tatum) hat den Höhepunkt seiner Karriere bereits überschritten, als er ein Angebot bekommt, das er nicht ablehnen kann: Der exzentrische Multimillionär John Du Pont (Steve Carell) lädt ihn ein, auf sein luxuriöses Anwesen zu ziehen und dort gemeinsam mit dem US-Ringer-Team für die Olympischen Spiele 1988 in Seoul zu trainieren. Marks älterer Bruder und Mentor Dave (Mark Ruffalo), ebenfalls Ringer und gemeinsam mit seinem Bruder Doppel-Olympiasieger vier Jahre zuvor, soll sich auch anschließen. Während Mark sich schnell von den Verlockungen des reichen Lebens einlullen lässt, zögert der reifere, überlegtere Dave. DuPont, waffenvernarrter Neurotiker und Patriot mit Hang zum Größenwahn, verwickelt Mark währenddessen in eine gefährliche Abhängigkeit – Lob und Luxus werden gepaart mit Trainingsqualen und Psychospielen. Als sich Dave eines Tages doch überreden lässt, Teil von „Team Foxcatcher“ zu werden und mit Frau und Kindern auf das Anwesen zu ziehen, entfalten divergierende Ansichten, unterschwellige Aggressionen und DuPonts wachsende Paranoia eine desaströse Dynamik.

Die 6 glorreichen Aspekte von «Foxcatcher»


Anders als in den bisher genannten Filmen dieser Rubrik, ist «Foxcatcher» gar nicht so sehr daran interessiert, den Zuschauer für den Sport - in diesem Fall das Ringen - zu begeistern. Stattdessen lässt Bennett Millers auf den ersten Blick konventionelles Drama, das von zwischenmenschlichen Differenzen und der Kollision unterschiedlicher (Moral-)Vorstellungen erzählt, rasch die Einflüsse moderner Suspensefilmer erkennen. Irgendwo zwischen der harten Realität im internationalen Kampfsport wie sie David O. Russel einst in «The Fighter» einfing, der paranoiden Atmosphäre in Darren Aronofskys «Black Swan» sowie den ungeschönten Filmen des Neo-Realismus der Marke «Prisoners» und «Winter’s Bone», findet sich auch «Foxcatcher» wieder, der ganz klar mehr ist als ein einfaches Charakterdrama. Bennett Miller fokussiert nicht bloß die persönlichen Veränderungen seiner Protagonisten, sondern hinterfragt vermeintlich existenzielle Richtlinien des Sports, aber auch des Lebens. Es entsteht eine Atmosphäre, die aufgrund so unberechenbarer Gegebenheiten eine Intensität aufweist, die selbst im Kinosaal regelrecht spürbar ist.

Dadurch, das nicht eine Figur in «Foxcatcher» in irgendeiner Form moralisch gefestigt ist, kann zu jeder Sekunde so ziemlich alles passieren. Die Möglichkeiten der Storyentwicklung sind schier grenzenlos. Wer mit den realen Umständen des Geschehens also nicht vertraut ist, der tut gut daran, sich vor der Erstsichtung des Films nicht darüber zu informieren, wie die wahre Geschichte um Mark Schultz und John Du Pont damals ausging.

Das ganz Elementare an «Foxcatcher» sind die brillanten Schauspielleistungen sämtlicher Beteiligter. Insbesondere der einst auch für diese Rolle für den Oscar nominierte Steve Carell zeigt, was in ihm steckt. Bei dem, was der normalerweise nur in leichtfüßigeren Performances zu sehende Mime in «Foxcatcher» für eine Darbietung zum Besten gibt, ist jedes noch so positive Attribut schlichtweg zu wenig, um das Gesehene in angemessenen Worten beschreiben zu können. In seiner Rolle des undurchsichtigen Trainers John Du Pont pulverisiert der einstige Comedy-Star («The Office») nahezu sämtliche bahnbrechenden Schauspielleistungen der vergangenen Jahrzehnte im Alleingang. Ob Kevin Spacey in «American Beauty», Daniel Day-Lewis in «Lincoln» oder auch Jack Nicholson in «Einer flog über das Kuckucksnest»: So begeisternd das männliche Who-is-Who aus Hollywoods Schauspielriege in den letzten Jahren diverse Figuren verkörperte, so unauffällig sehen sie doch neben dieser einen Rolle aus, die aus Steve Carell endgültig einen Charaktermimen für die Ewigkeit macht. Dabei ist nicht bloß das verblüffend lebensechte Make-Up, das Carell im wahrsten Sinne des Wortes mit seinem Charakter verschmelzen lässt, der Grund dafür, dass es dem Publikum ab dem Auftauchen von Carells Figur immer wieder die Sprache verschlägt.

Zum zweiten Hauptdarsteller in «Foxcatcher» wird Kameramann Greig Fraser. Der für die Bildgestaltung von Filmen wie «Snow White and the Huntsman» und «Zero Dark Thirty» verantwortliche Bilderkünstler packt das Psychodrama in ein Gewand aus Düsternis und Poesie. Ein wenig erinnert sein Blick für das Verschwimmen von Realität und Wahn an Roger Deakins, der den Entführungsthriller «Prisoners» 2013 mit ähnlich beklemmenden Bildern bestückte. Stets von einem leichten Nebelschleier umgeben kreiert Fraser mit einfachsten Mitteln Bilder von immenser Ausdruckskraft. Dazu benötigt er gar keine aufwändigen Kulissen. Wenngleich der Detailreichtum der inszenierten Olympischen Spiele und Wettkämpfe in seiner Opulenz begeistert, sind es insbesondere die leisen Momente, die in ihrer wuchtigen Nachhaltigkeit den Atem rauben. Eine Szene, in welcher Steve Carell gesenkten Hauptes in der Dämmerung durch einen Pferdestall geht, entfaltet eine visuelle Wucht, mit der nicht einmal die modernsten Fantasy-Epen aufwarten können.

Zu Guter Letzt bleibt festzuhalten, dass «Foxcatcher» anders als die bisher von uns in dieser Rubrik vorgestellten Produktionen weniger um den Sportfilm-typischen Heldenpathos funktioniert, als vielmehr darüber, was die Geschichte mit ihrem Blick hinter die Kulissen beim Zuschauer auslöst. Dadurch ist «Foxcatcher» gewiss nicht leicht konsumierbar. Auch die ausladenden Laufzeit von 129 Minuten und die hohe Dialoglastigkeit machen aus dem Film ein Unterfangen, an dem es sich leicht reiben lässt. Nicht zuletzt, weil die Figuren nicht zwingend nahbar, geschweige denn ihr Verhalten zu jeder Sekunde nachvollziehbar ist. Wenn der Zuschauer das jedoch in Kauf nimmt, erwartet ihn eine eindringliche Charakterstudie, die noch lange im Gedächtnis bleiben wird, bei der nicht der Sport, sondern die menschliche Seele im Mittelpunkt steht.

«Foxcatcher» ist auf DVD und Blu-ray sowie als Stream unter anderem via Maxdome, Watchever und iTunes erhältlich.
25.03.2020 10:00 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/86284