Impro-Theater mit Blaulicht in mittlerweile wöchentlich 70 Akten

Vor ziemlich genau drei Jahren flimmerte die erste «Auf Streife»-Folge über die Bildschirme. Inzwischen widmet Sat.1 der Marke allein fünf Stunden täglich in der Daytime. Erfunden hat es die Firma filmpool. Dort ist von einer konsequenten Weiterentwicklung des Themas Scripted Reality die Rede.

39 Stunden pro Woche füllt Sat.1 derzeit mit seinen «Auf Streife»-Formaten, um die 20 Stunden (abhängig vom Sport-Programm am Wochenende) RTL mit dem «Blaulicht Report». RTL II zieht nach und zeigt derzeit rund zehn Stunden die Woche «Straßencops» im Einsatz gegen Jugendkriminalität. Mit also knapp 70 Programmstunden pro Wochen haben die Polizisten des Zepter im deutschen Fernsehen übernommen und sind so prominent in der Daytime vertreten wie einst Richter oder Talkmaster. Geboren wurde die Idee, Gesetzeshüter in den Fokus von Nachmittags-Programm zu stellen, von filmpool, also der Firma, die Ende der 90er auch schon die Gerichtsshow neu interpretierte. „Am Anfang stand für uns die Frage, wie man am Nachmittag schneller und noch authentischer erzählen kann“, berichtet Felix Wesseler, PR-Chef der Firma mit Sitz und Köln und zudem zuständig für den Vertrieb von Formaten. Diese Gedankenspiele liegen inzwischen rund vier Jahre zurück. Damals ebbte die Flut an Gerichtsshows ab, Barbara Salesch legte ihren Hammer beiseite.

Längst waren Courtshows mit kurzen Einspielfilmen bestückt worden, längst hatten Scripted Reality-Formate wie «Familien im Brennpunkt» (auch von filmpool) das Sagen in der Daytime übernommen. Mehr als 30 Prozent Marktanteil wurden damit bei den Umworbenen geholt. Ende 2012 wurden aber auch hier schon erste Abnutzungserscheinungen erkennbar. Die Grundidee zu «Auf Streife» wurde dann in diesem Zeitraum geboren. Schon damals, erinnert sich Wesseler, war die Frage, in welche Richtung sich die Scripted Reality entwickeln würde. Ein Ansatz war, neue Genres anzugehen, wie etwa die Soap im Rahmen von „Berlin – Tag & Nacht“. Ein anderer Ansatz, mehr klassische Fiction-Elemente beizumischen, scheiterte letztlich bei «Berlin Models». Ein dritter Ansatz sah mehr „echte Reality“ vor. „«Auf Streife» nutzt ganz puristisch die reale Kompetenz der Polizisten“, beschreibt es Wesseler.

Heißt: Die Autoren geben den Darstellern nur die groben Situationen vor. „Was die echten Polizisten dann vor Ort mit bzw. in unseren inszenierten Situationen machen, überrascht uns immer wieder selbst“, meint Wesseler. Sie würden so reagieren, wie sie es aus ihrem Alltag kennen, sagt er, denn sie wüssten im Gegensatz zu den Darstellern vor dem Einsatz nicht, was auf sie zukomme. Freilich: Am Ende gewinnt das Gute – und die Fälle dürften allesamt so ausgehen, wie die Autoren es theoretisch auch auf Papier gebracht hätten. Die aber durch den Wegfall eines starren Konstrukts entstehende darstellerische Freiheit würde das realistische Handeln bestärken.

Darf’s ein bisschen «Toto & Harry» sein?


Da kommt man nicht ganz drum herum, an «Toto & Harry» zu denken, die zwei Ruhrpott-Cops, die sich einst bei echten Einsätzen von Kameras begleiten ließen. Die daraus resultierende Bekanntheit aber führte mitunter auch zu (internen) Problemen. „Wir bewegen uns ohnehin eher vor der eigenen Historie“, wiegelt Wesseler ab und spricht als Entwicklungsschritt zu den heutigen Polizeiformaten eher von «Niedrig & Kuhnt», das seine Firma über viele Jahre hinweg für den Sat.1-Nachmittag produziert hat. Die Serie war noch fiktionaler angelegt, experimentierte in ihrer Endphase aber ebenfalls mit einer hohen Außendreh-Anzahl. Für die Bedürfnisse am Nachmittag musste dann die Erzählstruktur angepasst werden. Neben dem Wunsch schneller zu erzählen, musste sich filmpool der Schwierigkeit stellen, dass die Aufmerksamkeit der Zuschauer um 14.00 Uhr nicht ganz so groß ist. So war die Idee, dass «Auf Streife» meist aus vier Modulen besteht. Als Modul bezeichnet die herstellende Firma einen Einsatz. „Wir bieten eine hohe Taktung an Stories, und thematisch ist in mindestens einem Modul für jeden etwas dabei“, erklärt er.

Gestartet ist «Auf Streife» schließlich vor fast genau drei Jahren, am 6. Mai 2013 – auf dem Sendeplatz, den einst Angelika Kallwass bespielte. Nach ihrem Aus beim Privatsender probierte Sat.1 dort Formate wie «Niedrig & Kuhnt» oder «Pures Leben». Als die Polizisten dann auf dem Schirm erschienen, waren die Quoten zunächst verhalten – der fünfwöchige Testlauf machte nicht zwingend Mut, überzeugte aber durch erste Quotenspitzen. Erst im Herbst 2013, als das Format zurückkehrte, wurden zweistellige Werte zur Regelmäßigkeit. Es dauerte dann aber doch über ein Jahr, bis auch RTL auf diese Machart aufmerksam wurde. «Familien im Brennpunkt» wurde beendet, im Rahmen von «Verdachtsfälle» gab es Tests für neue Ideen – darunter auch Sendungen mit Polizisten. filmpool war auch hier an Bord. Neu beim «Blaulicht Report» war die Einbindung anderer Helfer in der Not – etwa von Feuerwehr oder Rettungssanitätern. Seit August 2015 läuft das Format regelmäßig bei RTL, inzwischen sogar zweistündig am Nachmittag. „Neben der Etablierung von Sanitätern und der Notaufnahme haben wir uns damals auch in etwas längeren Modulen Zeit für die `Geschichte hinter der Geschichte` genommen“, verrät Wesseler. So konnten die Einsätze beim RTL-Format seinerzeit auch mal 15 bis 20 Minuten lang sein. Anders als bei «Auf Streife» zeichnen jedoch mittlerweile mehrere Firmen für die Umsetzung verantwortlich. Aktuell kommen die Folgen von Norddeich. Von filmpool sind derzeit keine Episoden bei RTL zu sehen.

Nachgelegt hat auch RTL II, wo filmpool einst einen Entwurf für «Die Straßencops» lieferte. In dem Format geht es speziell um Jugendkriminalität. Und wie schon bei RTL laufen von dem Format momentan im Süden der Republik angesiedelte Ausgaben, die von Constantin Entertainment produziert werden, während filmpool an einer „West“-Variante aus NRW arbeitet. Dass mehrere Köche in solchen Fällen die Suppe auch mal versalzen können, gibt Wesseler zu. „Das kommt vor. Aber so ist das nun einmal. Am Ende entscheidet immer der Restaurantbesitzer“, sprich der Sender. „Und der wird sich letzten Endes für die beste Zubereitung entscheiden.“

Als Einheitsbrei will Wesseler die über 60 Stunden voller Polizeieinsätze übrigens genauso wenig verstehen wie einst die teils fünf Nachmittags-Gerichtsshows. „Auch damals war ein Unterscheidungsmerkmal die Richterin oder der Richter.“ Den Polizei-Sendungen würden entsprechend die gezeigten und wiederkehrenden Polizisten ein Gesicht geben. Alle Gesetzeshüter, so betont es Wesseler, hätten große Freude an ihrer Aufgabe beim Fernsehen. Der Großteil geht neben der Tätigkeit als Fernseh-Cop auch weiterhin seinem aktiven Polizeidienst nach. Nur etwa eine Handvoll Ordnungshüter, die in Formaten wie «Auf Streife» mitwirken, hätten ihre echte Dienstmarke inzwischen abgelegt. Nicht jeder aber hat unbedingt Freude an TV-Ermittlern. So ist es kein Geheimnis, dass Polizeichefs in mindestens einem Fall einem Beamten das Mitwirken an einer filmpool-Produktion verbieten wollten. Der Polizist zog damals vor Gericht – und bekam Recht. Ein Verbot sei nicht zulässig. „Eigentlich müsste die Polizeiführung ihre Beamten sogar ermutigen, bei uns mitzumachen. Bessere Werbung für die Polizei gibt es kaum, immerhin machen unsere Polizisten keine Fehler, sind bürgernah und fassen stets den Täter“, sagt Wesseler und verweist auf Statistiken, dass die Zahl der Abiturientinnen mit Berufziel Richterin in den Boom-Zeiten des Court-TV klar gestiegen sei.

Zwischen Buletten und Berliner Schnauze


Wir sind da mit großem Respekt rangegangen und hätten uns nicht geschämt, wenn das nicht so stark gelaufen wäre. Die aktuellen Quoten zeigen aber, wie gut diese programmplanerische Entscheidung war.
filmpoool-PR-Chef Felix Wesseler über den 18-Uhr-Sendeplatz von «Auf Streife: Die Spezialisten»
Ab dieser Woche wird das Fernsehprogramm nun also – wen wundert’s bei dem Erfolg – um ein weiteres Polizisten-Format bereichert. Die offizielle Beschreibung von «Auf Streife – Berlin» ist quasi identisch mit der des Originals. Und auch Wesseler gibt zu, dass die Berliner Variante sehr nah an dem Ursprungsformat dran ist. „Das ist auch gut so“, meint er. Dennoch: „Berlin ist ein etwas härteres Pflaster, was wir auch zeigen werden.“ So deutlich wie etwa «Auf Streife – Die Spezialisten» aber werde sich das Format nicht abheben. Die einst um 15 Uhr getestete Sendung ist inzwischen ein Glücksbringer auf dem 18-Uhr-Sendeplatz von Sat.1 und hat das geschafft, was lange nicht gelang: Dauerhaft überdurchschnittliche Quoten einzufahren. „Wir sind da mit großem Respekt rangegangen und hätten uns nicht geschämt, wenn das nicht so stark gelaufen wäre. Die aktuellen Quoten zeigen aber, wie gut diese programmplanerische Entscheidung war“, freut sich Wesseler. „Die Spezialisten zaubern uns ein Lächeln ins Gesicht – auch weil wir dort ab und an mal richtig was abfackeln oder explodieren lassen dürfen. Für uns als aus der Daytime kommenden Produzent ist das nichts Alltägliches.“

Krasses Ausland


Nur in einem Punkt erweisen sich die deutschen Beamten als nicht ganz so tauglich wie die klassischen Scripted-Produktionen. Im Auslandsverkauf läuft es noch etwas schleppend. Polen hat in Sachen «Auf Streife» schon zugegriffen, andere Länder eignen sich aber kaum. „Es gibt z.B. in Russland echte Polizeidokus, in denen viel krassere Geschichten als bei unseren Formaten zu sehen sind“, erklärt Wesseler die Schwierigkeit. Und so wird sich bei filmpool zunächst auf den eigenen Markt konzentriert: Unterm Strich verwundert es kaum, dass die Entwicklungsabteilung von filmpool schon fleißig an neuen Ideen arbeitet, die weitere Polizeigeschichten erzählen. Ins Detail gehen will Wesseler freilich nicht. Er zeigt sich aber überzeugt, dass man das Feld der Formate noch ausdehnen kann. „Es ist uns erneut gelungen, einen Trend zu setzen. Eigenständige Formatspielarten finden da sicherlich noch ihren Platz.“
02.05.2016 10:15 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/85314