Die Kritiker: «Im Namen meines Sohnes»

Der ZDF Spielfilm «Im Namen meines Sohnes» handelt von einem Vater, der auf der Suche nach dem Mörder seines Sohnes durchdreht. Frederic Servatius hat den Film vorab gesehen.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Tobias Moretti («Kommissar Rex») als Claus Jansen, Inka Friedrich («Sommer vorm Balkon») als Heike Jansen, Maxim Mehmet («Tatort: Leipzig») als Kommissar Schnabel, Eugen Knecht als Vladimir Suworow, Merlin Rose («Die Spezialisten – Im Namen der Opfer») als Sebastian Jansen (21 Jahre), Ralph Maeck als Marc Zwinz, außerdem Esther Sedlaczek in einer Gastrolle


Hinter den Kulissen:
Regie und Buch: Damir Lukacevic, Musik: Ingo Ludwig Frenzel, Kamera: Jörg Widmer, Schnitt: Uta Schmidt, Produktion: Jumping Horse Film

Seine Geschichte ging vor einigen Jahren durch die Medien: Die des als Maskenmann bekannt gewordenen Martin Ney, der zwischen 1992 und 2004 mindestens drei Morde an Kindern beging und in mindestens 40 Fällen sexuell übergriffig wurde. Erst 2011 wurde Ney verhaftet. Der ZDF-Film «Im Namen meines Sohnes» setzt beim ersten Mord an, der im März 1992 begangen wurde. Frei adaptiert wird von Hannes Jansen erzählt, der eines Nachts aus seinem Internat verschwindet. Vater Claus ist sich sicher: Hannes ist nicht weggelaufen, wie es die Leitung des Hauses vermutet. Dann hätte er niemals seine Jacke dagelassen und die beiden Uhren, die er immer gleichzeitig anhatte. Und schon kurze Zeit später wird dann auch die Leiche des Jungen gefunden. Doch vom Täter fehlt weiterhin jede Spur. Und obwohl – jeweils mit drei Jahren Abstand – immer wieder Morde nach dem gleichen Schema begangen werden: Es gibt keine wirkliche Fährte.

Damit aber hat Claus Jansen eine neue Lebensaufgabe: Er möchte wissen wer dafür verantwortlich ist. Und so menschlich nachvollziehbar dieses Verlangen ist, so sehr belastet sie nicht nur Claus selbst, sondern auch die gesamte Familie, den Geldbeutel – und das gesamte Umfeld der Jansens. Auch Basti, Hannes Bruder, hat damit zu kämpfen, scheint traumatisiert. Außerdem bleibt die Frage nach der persönlichen Mitschuld: Was, wenn Claus seinen Sohn damals nicht ins Internat gegeben hätte? Ist er damit für den Tod seines eigenen Kindes verantwortlich? So logisch es klingt, dass diese Kausalität kaum hergestellt werden kann: Am Gewissen nagt es nichtsdestotrotz. Schließlich wäre da noch ein überforderter Ermittler, der offensichtlich Zeichen nicht zu erkennen scheint. Dass Claus Jansen selber dabei auch erkennbar falsche oder zumindest abstruse Indizien als absolut gelten lässt, ist dabei kaum hilfreich.

Das Familienverhältnis nur ein biographischer Randaspekt?


Steckbrief

Frederic Servatius schreibt seit 2013 für Quotenmeter. Dabei ist er zuständig für Rezensionen und Schwerpunktthemen. Wenn er nicht für unser Magazin aktiv ist, arbeitet er im Verlag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder schreibt an seinem Blog. Immer wieder könnt Ihr Frederic auch bei Quotenmeter.FM hören. Bei Twitter ist er als @FredericSrvts zu finden.
Die Handlung bewegt sich relativ flott und ohne große Ankündigungen jedoch zumeist chronologisch zwischen den Jahren. Große Experimente sind dabei nicht zu erwarten, wobei zumindest manche inhaltlichen Elemente insofern überraschend kommen als sie relativ willkürlich aufpoppen und eher zwanghaft in die Story integriert werden. So wird die Tatsache, dass Claus im späteren Teil des Films getrennt von seiner Frau lebt mal eben nebenbei auf dem Arbeitsamt erwähnt – als kleiner biographischer Fakt am Rande. Ähnlich verhält es sich mit dem Faktor Geld: Wie viele Ressourcen Claus in die Tätersuche steckt, kommt auch nur als kurzer Halbsatz zum Vorschein. Für eine Produktion mit eindeutigem Beziehungs- und Verhaltensfokus ist diese Betrachtung ein Stück weit zu oberflächlich.

Denn einerseits arbeitet die Story detailverliebt, kümmert sich um Hannes‘ Super 8-Kamera und die Aufgaben seiner letzten Mathe-Arbeit. Andererseits hält es die Geschichte auch mit dem Täter – phasenweise vergehen nämlich Jahre ehe das Grauen wieder zuschlägt. Das mag für die Inszenierung einen gewissen künstlerischen Wert haben oder schlicht den weit auseinanderliegenden Taten des Maskenmannes gerecht werden – die Entwicklung von Claus Jansen und seiner Familie allerdings, die eigentlich im Fokus der Produktion liegt wird so allerdings zu oft vernachlässigt, zu viele Aspekte werden übersprungen. Das zeigt sich am stärksten ausgeprägt zum Finale hin: Das restliche Leben Claus Jansens, das durchaus eine dramatische Wendung gehabt und sicher spannende Inszenierungsmöglichkeiten geboten hätte, wird als Texttafel und mit minimalistischer Bildsequenz abgearbeitet. Das ist sicherlich auch dem Willen geschuldet, nicht unnötig zu skandalisieren. Etwas weniger Zurückhaltung hätte es an der Stelle aber schon sein dürfen.

Behördenversagen oder Einzelschuld?


In besonders bedrückenden Momenten fragt der andere (noch junge) Sohn der Jansens auch mal, ob trotz des verstorbenen Bruders die in naher Zeit anstehende USA-Reise stattfinden wird. Oder die Ermittler klatschen dem Vater die aus ihrer Sicht unvermeidbaren Tatsachen ins Gesicht: „Wenn er nicht noch ein Kind umbringt, haben wir keine Chance den Täter zu finden.“ Ohnehin wird das Behördenversagen vielfach thematisiert. Die Thematik ist auch zweifelsohne wichtig, betrachtet man neben dem im Film behandelten Fall auch das NSU-Trio oder spät aufgedeckten Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen. Allerdings wird der Zuschauer den Eindruck nicht los, dass dieses Versagen zu sehr auf die Einzelperson runtergebrochen wird: Ist es nur der eine Ermittler, der in der Lage ist vollständig für den Erfolg und das Versagen einer kompletten Sonderkommission verantwortlich zu sein? Das scheint doch ein wenig simpel.

Es soll sie aber doch noch geben, die USA-Reise für Sohn Basti. In einem starken Moment schafft es der Vater die Familie noch einmal ein Stück weit zusammenzuführen. Eine der wenigen angenehmen Stunden nach dem Tod von Hannes soll so verbracht werden und nicht einmal ein Brief mit vermeintlichen Indizien, der Claus kurz vor der Abfahrt zum Flughafen erreicht, hält den kurz währenden Familienfrieden noch auf. Doch die Charakterentwicklung ist hier (nachvollziehbarerweise) nicht stringent, sie orientiert sich an Realitäten. Manchmal wird es eben erst besser, bevor es wieder schlechter wird und die Hoffnung sich zerschlägt. Dass der Score in diesen Sekunden die Worte „Some kind of wonderful“ hören lässt, ist insofern stark gewählt und fügt sich charmant in die irgendwie noch immer betrübte Stimmung ein.

„Aber er läuft doch da draußen rum!“ Das ist wohl der Satz, den man Claus Jansen auf die Stirn tätowieren könnte. Es muss unerträglich sein, ein Kind zu verlieren, noch dazu auf solch grausame Art und Weise. Und es ist eben genau dieser Konflikt, der so fatal sein kann. Vor allem dann, wenn die Trauer und Wut, vor allem aber die Ungewissheit und die Ungerechtigkeit durch das Wissen um einen noch frei rumlaufenden Täter die Gedanken permanent kontrollieren und dafür verantwortlich sind, dass eine normale Teilhabe an der Gesellschaft unmöglich wird. Diesen Konflikt bringt Tobias Moretti überzeugend und nachdrücklich auf die Platte. Selbst wenn dabei zu sehr durch das Familienleben gesprungen wird und zugleich ob des Fokus auf der persönlichen Geschichte die Erzählung um den Maskenmann eventuell doch ein wenig zu kurz kommt, bleibt «Im Namen meines Sohnes» dennoch ein bedrückendes und vielmals intensives Stück Film. Klar allerdings: Bedrückend heißt nicht immer beeindruckend. Und so hat die Produktion doch mit einigen Defiziten zu kämpfen.

«Im Namen meines Sohnes» läuft am Montag, 2. Mai um 20.15 Uhr im ZDF.
01.05.2016 16:35 Uhr  •  Frederic Servatius Kurz-URL: qmde.de/85264