Quotenmeter beim «Tatort» in Kiel: Borowski und die gut geölte Maschine

Warum rollt man ein riesiges Gemälde in ein Fährterminal? Was ist der Kern eines Kiel-«Tatort» und ist Axel Milberg ähnlich missmutig wie sein Alter Ego Klaus Borowski? Wir waren am Set und haben hingeschaut.

Der Kieler «Tatort» ist seit 2003 fester Bestandteil von Deutschlands erfolgreichster Krimireihe. Kommissar Klaus Borowski alias Axel Milberg, der 2002 bereits in einer Episode der Reihe «Stahlnetz» aufgetaucht war, ermittelt seit nunmehr 13 Jahren und bisher 26 Fällen an der Seite wechselnder Assistenten und Assistentinnen. Seit 2010 ist die aus «Game of Thrones» bekannte Sibel Kekili, die von Milberg vorgeschlagen worden war, als Sarah Brandt an seiner Seite zu sehen.

Die Einschaltquoten des nördlichsten «Tatort» entwickelten sich ähnlich bedächtig wie die Ermittlungen des Kommissars. Schauten zum Start bei der Episode Väter 7,87 Millionen Krimifreunde zu, blieb man danach bis 2012 immer brav zwischen 6 und 8 Millionen Fans hängen. Einen ersten größeren Ausschlag gab es mit der Episode Borowski und der brennende Mann, die 9,31 Millionen Zuschauer begeistern konnte und somit erstmals die 9-Millionen-Grenze durchbrach. 2014 toppte man diesen Wert mit Borowski und das Meer und knackte mit 9,99 Millionen Menschen sogar fast schon die 10-Millionen-Grenze. Im Januar 2015 war es dann aber endlich soweit: Borowski und der Himmel über Kiel generierte 10,67 Millionen TV-Zuschauer und bescherte dem Format die bis dato beste Quote. Seitdem waren die Zahlen wieder etwas rückläufig, hielten sich aber auf starkem Niveau.

Die prägnanten Episodentitel, die immer den Namen des Kommissars mit einbeziehen, wurden übrigens erst mit der 10. Folge eingeführt – sind seitdem aber ein beliebtes Stilmittel.

Zu unserer großen Freude durften wir an den Dreharbeiten zur Episode Borowski und das verlorene Mädchen teilnehmen, die vor kurzem unter anderem im Fähranleger der Stena Line in Kiel stattfanden. Ein maritimes und stimmiges Flair für den Kieler «Tatort» war also garantiert.

Erste Begegnung ein Volltreffer


So begab sich unser Redakteur im schönsten Sonnenschein zuerst zwischen die in langer Reihe geparkten Fahrzeuge des Drehteams. Für jeden Bereich fand sich dort ein eigenes Gefährt: Maske, Garderobe, Aufenthaltsraum oder reiner Transporter. Doch war um kurz nach 8 Uhr noch kaum eine Menschenseele zu sehen – Ausnahme: Der Cateringbereich, an dem man sich um Kaffee und Brötchen drängte. Hinter dieser Idylle steckt jedoch ein straffer Zeitplan: Die Darsteller werden alle zu unterschiedlichen Uhrzeiten bei ihren verschiedenen Hotels abgeholt, bevor es die Stationen Maske, Garderobe, Probe und Aufnahme zu durchlaufen gilt.

Da jedoch um diese Zeit noch keine Schauspieler zu erspähen waren, postierte sich unser Mann erst einmal zentral auf dem Vorplatz des Terminals und wartete. In diesem Fall die beste Strategie: Bewaffnet mit einem Kaffeebecher und versteckt unter einem Cappi näherte sich ein bärtiger Mann, der mit dem Spruch „Sie sind entweder Security oder Schauspieler“ nicht nur den perfekten Icebreaker am Start hatte, sondern dem Redakteur mit zuletzt genannter Vermutung natürlich auch gehörig schmeichelte. Dessen Antwort „Schlimmer: Presse.“ sorgte dann natürlich auch in die andere Richtung für Heiterkeit. So kam der Berg also zum Propheten und es entwickelte sich eine charmante und spannende Unterhaltung mit dem Zugpferd des Kieler Tatorts, der direkt so viel liebenswerter und zugänglicher war, als sein oft mürrisches Alter Ego Klaus Borowski. Axel Milberg zeigte sich als genau der nachdenkliche, hintergründig witzige und interessierte Zeitgenosse, als er der schon wiederholt von Kollegen beschrieben wurde. Dennoch war es interessant, diese private Seite auch im entspannten Vier-Augen-Gespräch zu erleben.

Dabei konnten vor allem seine reflektierten Gedanken über den Kiel-«Tatort» faszinieren. Für Milberg ist er der einzige, der „zwar nicht am offenen Herzen aber am offenen Meer operiert“ und somit „eine ganz spezielle Sichtweise auf das Krimigenre bietet“. Milberg als gebürtiger Kieler hat „erlebt, dass wir hier in Schleswig-Holstein eher eine Orientierung nach Skandinavien haben. Das versuchen wir in den Geschichten zu erzählen, haben einen Fall in Finnland gedreht, waren in Schweden, eine Geschichte spielte auf der Fähre, Henning Mankell hat für uns geschrieben“. Dinge, die dem Schauspieler unheimlich gut gefallen. Wie er weiter berichtete, setzte er sich immer dafür ein, „einfach eine spannende Geschichte zu erzählen – ein Krimi sollte ein Krimi sein! Nicht das Privatleben ausbreiten oder andere Befindlichkeiten ausleben, sondern dafür sorgen, dass man sich die Fingernägel abkaut“. Er plädiert dafür, „Platz zu machen für die Geschichte – denn nur diese ist wichtig. Nicht auf die Brust trommeln und private Eitelkeiten befriedigen“. Ein Schelm, wer hier an den Hamburger «Tatort» rund um Til Schweiger alias Nick Tschiller denkt.

Milberg hinterfragt ständig für sich: „Was ist spannend? Der gewaltsame Tod im Film muss anrühren, wehtun. Es lässt hingegen kalt, mit viel Bum-Bum anonyme Gegner um zu mähen“. Milberg wäre jedoch nicht Milberg, wenn er damit wirklich gezielt jemand anderen kritisieren wollen würde – so tickt dieser Mann nicht. Für ihn ist seine Haltung nie „gegen jemand anderen gerichtet – sondern immer aus der Begeisterung für das eigene Vorhaben“, das es bestmöglich umzusetzen gilt. Bis heute freut es ihn, dass er seine Redaktion immer wieder für seine Sichtweise begeistern und mitnehmen konnte.

Wo ist bloß das Schiff?


Nach diesem erfreulichen Start galt es, dem späteren Drehort einen Besuch abzustatten. Und immerhin: Auch dort war zumindest das Catering bereits aufgebaut. Doch brach plötzlich Hektik aus, da die Stena Scandinavica, das Schiff, welches man als Kulisse im Hintergrund eingeplant hatte, zu diesem Zeitpunkt wohl verspätet war. Auf einmal wurde telefoniert, nachgefragt – kommt sie auch wirklich? Kurz darauf gab es jedoch Entwarnung: Das Schiff lief ein.

Nur für den Aufnahmeleiter war damit noch nicht Schluss mit dem Telefonieren – mit traumwandlerischer Gelassenheit nahm er einen Anruf nach dem nächsten an und regelte alle anfallenden Dramen und Nachfragen.

Auf der nächsten Seite geht es um den Regisseur, den Produzenten & eine sehr skurrille Gemäldeszene. Bitte blättern Sie um!


Die Terminalmitarbeiter zeigten sich ebenfalls entspannt und kooperativ – wie mir Location Manager Phillipp Pemöller versicherte, war es sogar „überraschend einfach, eine Drehgenehmigung von Stena Line und Port of Kiel zu erhalten“. Inzwischen sei es in Kiel einfach so, dass man sich freue, wenn die Produktion anfragt, man „rennt offene Türen ein“. Sogar die echten Fahrgäste dürfen „als anonyme Masse“ – vergleichbar mit einem TV-Bericht in den Nachrichten – mitgefilmt werden. Auch diese wären „in der Regel begeistert, später im Bild aufzutauchen“.

Und wirklich – während der folgenden Lichtproben und der ersten Versuche mit der Kameratechnik zeigte sich die Freundlichkeit und Flexibilität des Terminalpersonals. Die Monitore für die Passagiere störten bei der Aufnahme und wurden umgehend ausgeschaltet. Unbürokratisch und schnell. Nur einmal wurde der Ton etwas bestimmter: Als viele Passagiere das Schiff verlassen wollten, forderte man das Filmteam auf, schnell und großräumig Platz zu machen. Hier übernahm die Security das Wort und machte klar: Egal wo man sich auf der Welt befindet, wenn die Herren mit den wichtigen Uniformen ins Spiel eingreifen, sollte man besser einen Schritt zurückgehen. Für einen Moment sah man sie also doch, die berüchtigte deutsche Gründlichkeit – sogar am Kieler Schwedenterminal.

Der Chef hat das Wort


Die Regie bei der aktuellen Episode übernahm Raymond Ley, der bereits seit den frühen 90er Jahren regelmäßig für seine Arbeit als Autor und Regisseur ausgezeichnet wurde. Unter anderem erhielt er den Grimme-Preis für «Eine mörderische Entscheidung», den Deutschen Fernsehpreis für «Die Nacht der großen Flut» und diverse weitere nationale wie internationale Preise.

Als man ihn für den Kieler «Tatort» anfragte, gab nicht das Krimi-Genre oder der «Tatort» an sich den Ausschlag, wie er berichtete: „Ich wurde angefragt und mir gefiel das Thema ausgesprochen gut - dieser sehr spezielle Ermittler Borowski und dieses junge Mädchen, das konvertiert. Kein alltäglicher Stoff“.

Durch Ley kam auch die junge Schauspielerin Mala Emde an Bord, mit der er bereits in «Meine Tochter Anne Frank» gearbeitet und die dort mit einer mitreißenden Vorstellung ihren Durchbruch gefeiert hatte. Ley bezeichnet Emde als „präsent, schlau, immer sehr gut vorbereitet und insgesamt schlicht eine außergewöhnliche, junge Künstlerin, die mit ihrer Figur arbeitet“. Für den Regisseur war es somit eine große Freude, sie hier erneut vor die Kamera zu bekommen.

Proben ist das halbe Leben


Während man kurz darauf die erste Szene probte, bot sich die Gelegenheit, mit dem ausführenden Produzenten Johannes Pollmann zu sprechen, der seit dem Ende seiner «Stubbe»-Reihe 2014 zum Team des Kieler «Tatort» gehört.

Die Redaktion wollte etwas zum Thema machen und sprach mit verschiedenen Autoren. Hängen blieb man letztlich bei Charlotte I. Pehlivani, für die es sich um das erste Drehbuch für einen Langfilm handelt. Sie hatte sich bereits seit einiger Zeit mit der Recherche zum Thema befasst und entwickelte auf dieser Basis ihr Drehbuch. Ihre Idee einer Konvertitin, die ihren eigenen Bruder verrät, fesselte die Verantwortlichen sofort, wie Pollman verriet. „Sie lieferte ein Exposée, das uns alle umhaute. Doch geht es nicht nur ums Thema an sich, sondern um den darin versteckten dramatischen Konflikt. Diesen gilt es in jedem Stoff zu finden“.

Während man sich in der Ausarbeitung befand, sorgten verschiedene Ereignisse immer wieder dafür, dass man die Situation und das Thema neu evaluierte: „Es passierte Paris, Charlie Hebdo, erneut Paris, dann Brüssel – und immer wieder kamen wir zu der Frage, ob die Menschen diese Hauptfigur noch nachvollziehen würden können. Diese furchtbaren Dinge, die in der Welt zwischenzeitlich passiert sind und die Sache der IS zunehmend schwieriger vermittelbar gemacht haben, haben uns ständig herausgefordert. Dennoch sind wir immer am emotionalen Kern der Geschichte drangeblieben, von dem wir absolut überzeugt waren. Auch für Axel Milberg war es ein erklärter Wunsch gewesen, etwas zu diesem Thema zu machen, gerade weil wir nicht regelmäßig aber immer mal wieder politische Themen angehen“.

Warum steht hier ein Gemälde?


Der folgende Dreh der ersten Szene zeigte dann, warum der Kieler «Tatort» eben nicht ganz alltäglich ist. Nur damit Borowski kurz an einem übergroßen Gemälde stehenbleiben und seine Gedanken auf eine kurze Reise schicken kann, wurde ein solches für den Dreh besorgt und nun wie zufällig von Arbeitern innerhalb der Szene genau dort stehen gelassen, wo der Kommissar und seine Assistentin das Terminal nach einem Gespräch mit der Mutter des jungen Mädchens verlassen wollten.

Der Hintergrund: In einer früheren Drehbuchfassung sollte die Szene in der nahen Kunsthalle umgesetzt werden. Julias Mutter wäre dann als Kuratorin aufgetreten, was man dann aber etwas volksnäher gestaltete und sie beim Stena Line Terminal arbeiten ließ. Dennoch wollte man auf die Sequenz nicht verzichten und entschied, das Gemälde einfach mitzunehmen.

Und obwohl die Szene auf den ersten Blick skurril und nicht besonders relevant erscheint, ist sie doch von zentraler Bedeutung für die Figur des Klaus Borowski, der seine Schlussfolgerungen in bester Tradition eines Hercule Poirot mit den kleinen grauen Zellen und einer überbordenden Vorstellungskraft zieht. Borowski hält hier einen Moment inne und lässt seine Gedanken wandern, verliert sich im Moment. So gab man sich dann auch mit Ruhe und Liebe zum Detail der Umsetzung hin. Zuerst von weiter weg, dann später in Close-ups. Interessant war hierbei auch, wie viel Freiheit man Milberg und Kekilli bei der Ausführung in Sachen Text und Spiel ließ. Hier glich kein Ansatz dem nächsten, hier wurde nicht penibel auf Abläufe geachtet. So sieht Vertrauen in Künstler aus. Eine Szene wie gemalt für Borowski – man sinniert, es geht entschleunigt zu. Klein, aber fein. Herr Schweiger hätte mit seiner Mordswumme an gleicher Stelle vermutlich für ein in Fetzen geschossenes Gemälde und starke Irritationen gesorgt.

Auf der nächsten Seite geht es um interessante Einsichten in die Denkweise von Axel Milberg - dabei geht es auch um die Arbeit von Quotenmeter. Bitte blättern Sie um!


Die Suche nach dem Kern


Neben Milberg und Kekilli war an diesem Tag auch noch Patrycia Ziółkowska, eine sowohl in Film & TV wie auch am Theater vielbeschäftigte und oft gelobte Darstellerin, mit von der Partie. Für sie zwar der erste Ausflug zum Kieler, jedoch bereits der fünfte zum «Tatort» insgesamt.

Ziółkowska spielt Sabine Heidhäuser, die Mutter der Julia. Wie sie selber sagte, war die Figur der Mutter „nur mit wenigen Strichen skizziert worden, so dass man schauen musste, wie man das, was dieser Familie passiert, sichtbar machen kann. Warum driftet das so ab? Welcher emotionale Brennstoff befeuert die Zustände dieser Menschen und führt zu deren Entfremdung voneinander, wie verlieren die Menschen die Wahrnehmung füreinander, wie kann das durch ein extremes Ereignis im Leben geschehen? Und was kann das sein? Es ist auch eine Suche nach ersten Rissen in einer zunächst intakten gutbürgerlichen Familienkonstellation."

Die Schauspielerin fand die Gründe in der „Lücke des Todes des Vaters. Diese war in der Familie nicht zu schließen. Die Tochter sucht die Schuld bei der Mutter. Etwas Zerstörerisches entsteht, was deren Beziehung sukzessive auffrisst. Eine wahnsinnig schwere Situation für eine alleinerziehende Mutter, die versucht, alles zusammenzuhalten und dabei die Verbindung zu ihrer Tochter verliert. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass so etwas leicht passieren kann, auch unabhängig davon in welchen Familienverhältnissen man aufwächst, ob in ärmeren oder wohlhabenden. Plötzlich erkennt man die eigenen Kinder nicht wieder, begreift gar nicht mehr in welchem Milieu sie sich bewegen."

Diese emotionale Grundierung nahm die Darstellerin auf Basis des Drehbuchs vor, schloss Lücken und erfand ein Figurenpuzzle, um das Innenleben der Mutter auszuleuchten und darstellen zu können. Gut, wenn man Darsteller findet, die diese inneren Prozesse ihrer Charaktere auch verstehen wollen. Sehr interessante Einblicke in das Schauspielhandwerk. Schade, dass Frau Ziółkowska dann zur Probe gerufen wurde.

Doch ergab sich bereits das nächste Gespräch. Vielleicht war es reine Höflichkeit, vielleicht aber auch schlicht ein gewisser Draht, der Axel Milberg auch in der Folgezeit veranlasste, seine Pausen zum weiteren Gedankenaustausch mit unserem Redakteur zu verwenden. In jedem Fall bot sich so die Gelegenheit, einige Themen noch weiter zu vertiefen. Da er sich offenbar bestens mit der Arbeit Quotenmeter auskennt, sprach er ein wenig über die Macht der Quote und deren Einordnung.

„Das Erfüllen eines Massengeschmacks, als etwas worum man sich zu bemühen hat, ist mir fremd. Ulrich Tukur geht sogar so weit: Wenn man eine gute Quote hat, hat man irgendetwas falsch gemacht“. Letzteres sagte er, der von guten Quoten bekanntermaßen nicht gemieden wird, jedoch natürlich mit einem Schmunzeln. Erfreulicherweise hat Herr Milberg den Eindruck, dass Quotenmeter aber eben nicht rein dieser Logik folgt, sondern innerhalb der sicherlich relevanten Frage nach der Quote auch immer die Qualitätsfrage stellt und es sich auch erlaubt, etwas als gut zu bezeichnen, was aus Quotensicht gar nicht gut sein dürfe – und vice versa. Ein schönes und aufrichtiges lob für die Kolleginnen und Kollegen unserer Redaktion.

„Ist doch klar, Qualität und Quote gehen durchaus zusammen. Unser Glück ist, dass der Kiel-Tatort derart erfolgreich und dennoch nicht marktschreierisch ist.“ Milberg kann sich so äußern, weil er es nicht nötig hat, „neidvoll nach Etats zu schielen. Einem gebeutelten Kulturredakteur fällt das schon deutlich schwerer.“

Seine eigene kleine BR-Sendung «Mit Milbergs im Museum» sieht er ganz in der Tradition dieses Denkens verhaftet. Gemeinsam mit seiner Frau besucht er Museen, in denen er eine Art Blind Date mit einem Gemälde erlebt. Seine Frau „als Kunsthistorikerin ist dann diejenige, die sich bestens auskennt“ - er ist „der Dödel, der gar keine Ahnung hat“. Für derart spannende Projekte kämpft Milberg, für Dinge „für die es eigentlich gar kein Budget gibt“.

Kieler Wetter, laute Koffer & donnernde LKW


Beim Dreh der zweiten Szene des Tages, einer Unterhaltung zwischen Borowski, Brandt und der Mutter des Mädchens, kamen dann auch endlich die Komparsen des Tages großflächig zum Einsatz – die insgesamt zehn Laiendarsteller wurden diesmal von der Agentur Komparsenfischer gestellt und sollten das laufende Boarding des Schiffes im Hintergrund lebendiger gestalten.

In dieser Szene, die mehr Bewegung und Text enthält und vom ganzen Team eine Menge Koordination erforderte, ging natürlich auch einmal etwas schief. Statisten blieben einfach im Hintergrund stehen und schauten sich verwirrt um, Laufwege wurden nicht eingehalten und ungeplante Textimprovisationen seitens der Hauptdarsteller führten zu weiteren Durchläufen.

Auch das sich ständig ändernde Wetter sorgte für Probleme: Die Kameracrew tauschte Filter, beobachtete die Wolken und versuchte alles so gut es geht an die vorigen Aufnahmen anzupassen. Doch auch in Sachen Geräuschkulisse war diese Szene nicht ganz ohne: Unten donnerten LKW vorbei und die Koffer und Schuhe der Komparsen auf der Gangway übertönten die Dialoge – die clevere Lösung: Die Passagiere mussten ihre Koffer ins Schiff tragen. Darauf sollte man in der fertigen Szene später im TV definitiv achten. Eine Horde Menschen, die Koffer mit Rollen tragen, anstatt sie zu ziehen.

Doch auch Regisseur Ley griff hier deutlich mehr ein als zuvor. Er besprach sich mit Milberg und Kekilli genauso wie mit den Nebendarstellern. Die Emotionalität der Mutter und der Frust bei Borowskis Assistentin Brandt standen klar im Fokus dieser Sequenz. Inmitten all dieser Wiederholungen blieb Axel Milberg der Ruhepol. Mit stoischer Gelassenheit begann er stets mit der gleichen inneren Ruhe wieder von vorne – gut, wer einen solchen Hauptdarsteller sein Eigen nennen darf.

Für unseren Redakteur endete hier langsam der Vormittag am Set. Die entstandenen rund zwei Minuten Film werden im Rahmen der fertigen Episode sicherlich wiederzufinden sein. Später am Tag wollte man vom Dach aus noch sogenannte Etablierer filmen, in denen Borowski und Brandt am Terminal vorfahren. Und am Nachmittag standen bereits die nächsten Szenen in einem Café auf dem Plan. Übrigens wird in der Episode kein Geringerer als Jürgen Prochnow als Gast mit von der Partie sein – für den meist auf Understatement setzenden Kieler «Tatort» fast ein Casting-Stunt, den man sich aber schlicht leisten kann, weil die Reihe Aktionen dieser Art eben gar nicht nötig hat und einen Prochnow aus reiner Freude an der darstellerischen Potenz an Bord holen kann.

Was bleibt ist ein äußerst positiver Eindruck vom Dreh des Kieler «Tatort». Familiär und doch fokussiert greifen alle Rädchen ineinander und ergeben ein Bild, das bei unserem Redakteur die Wertschätzung beim Schauen im TV zukünftig nur noch steigern wird. Für Herrn Milberg gilt das ohnehin.

Borowski und Brandt ermitteln das nächste Mal in «Borowski und die große Stille» nach einem Drehbuch von Henning Mankell. Ein Termin steht noch nicht fest. Zudem ist Borowski im Herbst 2016 an der Seite von Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) im 1000. Tatort zu sehen. Unter dem Titel «Taxi nach Leipzig» (so hieß auch der allererste Tatort von 1970) wird dann Seite an Seite ermittelt. Der Fall «Borowski und das verlorene Mädchen», für den wir die Dreharbeiten besucht haben, ist erst 2017 im TV zu sehen.
08.07.2016 10:40 Uhr  •  Björn Sülter Kurz-URL: qmde.de/85234