Im Grunde ist es nur ein Spiel, in dem Figuren auf einem Brett hin- und hergeschoben werden. In «Bauernopfer - Spiel der Könige» wird aus Schach allerdings ein Politikum. Und aus ebenjenem dann wiederum einer der besten Filme des Jahres.
«Bauernopfer – Spiel der Könige» als „«Rush» des Schachsports“ zu bezeichnen, könnte die Qualitäten des impulsiven Biopics nicht treffender zusammenfassen. Drehbuchautor Steven Knight bewies zuletzt mit seinem Ein-Mann-Stück «No Turning Back», mit welcher Raffinesse es ihm gelingt, aus einem scheinbar unspektakulären Szenario das Optimum an emotionaler Intensität herauszuholen. Auf das Wesentliche herunter gebrochen, geht es in «Bauernopfer» schließlich nur darum, zwei Männern dabei zuzusehen, wie diese abwechselnd Schachfiguren über das Schwarz-Weiße Spielfeld schieben. Eingebettet in den politischen Kontext, aber auch ummantelt von dem sensiblen Portrait Bobby Fischers, gewinnt dieses vermeintlich unspektakuläre Spiel an Spannung und Intensität, dass man sich schon bald in einem waschechten Thriller wähnt, der seine Verfolgungsjagden, Schießereien und Mann-gegen-Mann-Kämpfe eben in Form eines Schachspiels austrägt. Wenn das Finale schließlich aus einem alles entscheidenden Match um den Weltmeisterschaftstitel besteht, haben die aufgestauten Gefühle der letzten zwei Stunden bereits so stark an den Nerven gezerrt, dass Gänsehaut und Herzklopfen auch ohne viel Effekthascherei vorprogrammiert sind.
Funktionieren kann dieses ohne große Schauwerte auskommende Unterfangen natürlich nur mithilfe der richtigen Darsteller. Tobey Maguire («Labor Day») ist in seiner Gestik und Mimik so nuanciert, dass sich der anklingende, psychotische Wahnsinn seiner Figur unterschwellig in die Szenerie hineinschleicht. Maguire macht aus Bobby Fischer einen Rockstar des Schachspiels, mit all seinen Allüren, Eigenheiten und auch unsympathischen Taten, mithilfe derer er zu einem komplexen, bisweilen auch unangenehmen Charakter wird. Dass man sich als Zuschauer dennoch nie vor den Kopf gestoßen fühlt, den Werdegang von Fischer interessiert mit verfolgt und ihm seine Siege zu jedem Zeitpunkt von Herzen gönnt, liegt an einer subtilen Tragik, die Knight hervorragend in sein Skript zu integrieren weiß. Auch im Falle von Bobby Fischer liegen Genie und Wahnsinn einmal mehr direkt beieinander. Wenn der junge Mann Verschwörungstheorien um die Russen und die Juden entspinnt, erwecken derartige Äußerungen nur so lange den Eindruck einer Psychose, bis Fischer des Nachts Schritte vor seinem Hotelzimmer hört und er Geräusche in seinem Telefonhörer wahrnimmt, die auf ein Abhörgerät hindeuten. So ganz löst «Bauernopfer» die Grenzen zwischen Paranoia und Realität nie auf. Gleichsam entsteht gerade hierdurch der Reiz. Wie ein undurchsichtiger Schleier schwebt eine Atmosphäre des Bösen über dem auf dem Schachbrett ausgetragenen Krieg zwischen den USA und Russland – da bedarf es gar nicht der von der Presse bevorzugten Sensationsgeilheit, die das Drehbuch hier ebenfalls am Rande thematisiert.
Als größter Kontrahent Boris Spassky erweist sich Liev Schreiber («Spotlight») als fast hünenhafte Gestalt. Der in der Originalfassung perfektes Russisch sprechende Darsteller hat insgesamt wenig Text, vermag es aber trotzdem, eine einschüchternde Präsenz auszustrahlen. Dadurch wird sein Charakter symbolhaft wie der einer Lichtgestalt – unnahbar, unerreicht. Vermutlich entspricht genau das dem Empfinden Bobby Fischers, als jener 1972 zum Match gegen ihn antreten musste. Peter Sarsgaard («Night Moves») und Michael Stuhlbarg («Trumbo») bilden indes Fischers Entourage, die die Launen ihres Schützlings zu dulden und auszuhalten hat, aber auch zu jedem Zeitpunkt hinter ihm steht. Gleichsam erfüllen die beiden auch eine für das Publikum wichtige Funktion: Sie ordnen das Geschehen auf dem Schachbrett so für das Publikum ein, dass auch des Schachs nicht mächtige Zuschauer stets wissen, wie die Züge und Entscheidungen der Spieler zu bewerten sind. Komponist James Newton Howard («The Huntsman & The Ice Queen») und Kameramann Bradford Young («Selma») sorgen mit ihren stets subtil durchdachten Ton- und Bildkompositionen für ein durch und durch elegantes Erscheinungsbild, das von dunklen Bildern und unterschwelligen Klängen dominiert wird. Der Fokus bleibt stets auf Bobby Fischer – mit seiner Person ließen sich vermutlich noch Dutzende von Geschichten füllen.