Christian Richter erinnert an all die Fernsehmomente, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 318: «Rudis Tagesshow», die mit einem satirischen Beitrag vor knapp 30 Jahren versehentlich eine internationale Staatsaffäre auslöste.
Bei der betroffenen Sendung handelte es sich um «Rudis Tagesshow», die erstmals am 12. Oktober 1981 im Gemeinschaftsprogramm der ARD lief und vom holländischen Entertainer Rudi Carrell stammte, der sie auch präsentierte. Das ist insofern überraschend, weil Carrell zuvor nie für seine politische und gesellschaftskritische Haltung aufgefallen war - eher im Gegenteil, bis zu diesem Zeitpunkt hatte er hauptsächlich durch nette Samstagabendshows mit harmlosen und eher platten bis infantilen Witzchen geführt. Ebenso glänzte er nie durch allzu große Originalität und reproduzierte in seinen Nummern stattdessen regelmäßig gängige Klischees ohne sich mit diesen kritisch auseinanderzusetzen.
So verhielt es sich auch mit seinem neuen Format, das obwohl es sich als Nachrichtensatire tarnte und Carrell seine Späße in einer der «Tagesschau» nachempfundenen Optik vortrug, genauso zahnlos daherkam. Zwar basierte es auf der englischen, wenig zimperlichen Parodie «Not the Nine O’Clock News», doch für seine deutsche Adaption hatte Carrell vorsorglich alle bissigen Elemente der Vorlage eliminiert. Letztlich beschränkte er sich darauf, Originalausschnitte aus Nachrichten mit albernen Texten neu zu synchronisieren oder mit zusätzlichem Material neu zu arrangieren. Besonders gern griffen Carrell und sein Team auf Szenen zurück, in denen Abgeordnete oder Regierungsmitglieder stolperten, sich versprachen oder ihnen andere menschliche Missgeschicke unterliefen, um auf diese Weise simple Gags und billige Lacher zu erzeugen. Carrell schuf also eine mutlose Satire, die niemanden ernsthaft wehtun wollte. Aus heutiger Sicht war sie daher eher mit der «Wochenshow» von Sat.1 oder dem Nachrichtenblock in «RTL Samstag Nacht» zu vergleichen als mit den kabarettistischen Programmen der «heute-Show», von «The Daily Show» oder von «Last Week Tonight With John Oliver». Der unpolitische Ansatz von «Rudis Tagesshow» offenbarte sich allein dadurch, dass die Zeit zwischen den vermeintlich satirischen Nachrichtenblöcken mit abgegriffenen und noch belangloseren Sketchen aufgefüllt wurde. Ausgerechnet diese Reihe sollte nun mit ihrer Ausgabe vom 15. Februar 1987 eine internationale politische Affäre verursachen.
Den Auslöser bildete dafür ein kurzer Beitrag, den Carrell mit den Worten ankündigte: "Diese Woche feierte man im Iran den achten Jahrestag der islamischen Revolution. Ayatollah Chomeini wird von der Bevölkerung gefeiert und mit Geschenken überhäuft." Danach folgte ein Einspielfilm, in dem Chomeini zunächst vor einer jubelnden Menschenmenge gezeigt wurde, bevor in der nächsten Einstellung Hände zu sehen waren, die in einem Haufen Damenunterwäsche wühlten. Dies sollte den Eindruck erwecken, dass das iranische Staatsoberhaupt von seinen Anhängern wie ein Popstar mit Dessous beworfen würde. Die Montage war handwerklich nicht besonders geschickt vorgenommen und sowohl der suggerierte Inhalt als auch der Rahmen, in dem dieser dargeboten wurde, war unmissverständlich als komödiantisch zu erkennen.
Dennoch dauerte es nach der Ausstrahlung bloß wenige Minuten bis sich der damalige iranische Botschafter Mohammed Djavad Salari telefonisch bei Reinhard Schlagintweit, dem Nah- und Mittelost-Beauftragten des Auswärtigen Amtes, meldete und seinen Zorn zum Ausdruck brachte. Chomeini sei nämlich das Staatsoberhaupt der islamischen Republik Irak sowie das „geistige Oberhaupt aller Muslime“, weswegen die „Muslime in aller Welt“ beleidigt geworden wären. Diese Aussage war allein deswegen gewagt, weil Chomeini auch in der muslimischen Welt nicht unumstritten war. Davon abgesehen, beginnen hier die Parallelen zum Fall von Jan Böhmermann, da der iranische Botschafter von der deutschen Bundesregierung eine offizielle Entschuldigung einforderte – und zwar ebenso für einen satirischen Beitrag, der im deutschen Fernsehen lief.
Die nächtliche Telefon-Beschwerde sollte aber lediglich den Beginn der durch den Witz ausgelösten Proteste bilden, denn am nächsten Morgen wurde der deutsche Botschafter von der iranischen Regierung einbestellt, um sich für den Vorgang zu rechtfertigen. Zur Erinnerung, der deutsche Botschafter in der Türkei erhielt rund 29 Jahre später wegen Böhmermanns „Schmähkritik“ eine ähnliche Aufforderung. Doch während der türkische Präsident schnell juristische Konsequenzen anstieß, demonstrierte der Iran seine Empörung vor allem auf politischer und diplomatischer Ebene, indem er die iranischen Konsulate in Hamburg und Frankfurt/Main schließen sowie zwei deutsche Diplomaten aus dem Iran ausweisen ließ. Das iranische Religionsministerium ließ außerdem erklären, die Szene sei ein Beispiel für den westlichen Hass auf die Islamische Republik Iran sowie den gesamten Islam, weswegen es über das Fernsehen die Schließung des deutschen Goethe-Instituts in Teheran veranlasste. Zusätzlich stellte Iran-Air den Flugbetrieb nach Deutschland ein und rund 300 Personen protestierten vor der deutschen Botschaft in Teheran. Aus dem 14sekündigen Clip war innerhalb weniger Tage ein ernsthafter diplomatischer Konflikt und die Parodie der «Tagesschau» selbst Bestandteil der echten Vorlage geworden.
Rudi Carrell erhielt derweil Personenschutz, weil gegen ihn und seine Familie Morddrohungen wegen der Sequenz eingegangen waren. Er selbst bezeichnete die Tage nach dem Vorfall als „die schlimmste Woche meines Lebens" und entschuldigte sich mehrfach beim iranischen Volk: "Jeder macht mal Fehler [...] Wenn mein Gag mit Ajatollah Chomeini im Iran Verärgerung verursacht hat, bedauere ich das sehr und ich möchte mich beim iranischen Volk entschuldigen.“ In einem anderen Interview ergänzte er: „Meine Aufgabe ist nicht, Leute zu ärgern, ich werde dafür bezahlt, dass Menschen Spaß haben. Also bedauere ich es einfach, dass hier eine Gruppe von Menschen beleidigt ist." In diesen Worten wird sehr deutlich, wie unfreiwillig er die Kontroverse herbeigeführt hat. Der SPIEGEL zitierte ihn damals sogar damit, dass er erst aufgrund der Diskussionen einige Artikel gelesen habe und erst danach mehr davon verstanden habe. Anders als Böhmermann, der eine negative Reaktion einkalkuliert und geradezu provoziert hat (wenn sicherlich nicht in dieser Heftigkeit), entfachte Carrell seinen Skandal schlicht aus Versehen und Unwissenheit. Offenbar war es lediglich das Bildmaterial als solches, das ihn oder sein Team zur Montage inspirierte. Es lässt sich schon beim stotternden Verlesen der Anmoderation erahnen, dass er nicht wusste, wer dieser Ayatollah Chomeini eigentlich genau war.
Sogar als das „Haus der Geschichte“ in Bonn (also das offizielle Museum für die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland) im Jahr 2010 eine Ausstellung zum Thema „Spaß beiseite. Humor und Politik in Deutschland“ plante und in diesem Rahmen auch diesen Fall historisch aufbereiten und ausstellen wollte, verweigerte Radio Bremen den betreffenden Beitrag freizugeben, weil er „zu erheblichen Kontroversen“ geführt hätte und „von manchen als ehrverletzend wahrgenommen“ wurde (Sendersprecher Michael Glöckner). Selbst als die «Tagesthemen» jüngst in der Ausgabe vom 11. April 2016 mit Bezug auf den Fall Böhmermann an die Ereignisse rund um den Scherz von «Rudis Tagesshow» erinnerte, blendete man die Originalausschnitte in dem Moment aus, als die Damenunterwäsche ins Bild gekommen wäre.
Ein analoger Umgang ist seit Wochen bei Böhmermann zu beobachten, denn immer wieder wird in Talkshows, Nachrichtensendungen oder Boulevard-Magazinen über sein Gedicht gesprochen, es aber nie gezeigt. Ersatzweise greifen die Redaktionen – egal ob bei «Anne Will», «Stern TV» oder gar dem Medienmagazin «Zapp» - auf ungelenke Umwege wie Zitate oder Text-Einblendungen zurück oder lassen sonore Off-Sprecher ausgewählte Passagen wiederholen. Das jedoch verändert den Charakter des Werks erheblich; einerseits weil es nie vollständig zitiert und somit verkürzt sowie aus dem Zusammenhang gerissen wird und andererseits, weil Böhmermann seinen Text ursprünglich mit einem ironischen Unterton vorgetragen hatte, der durch solche Transferierungen verloren geht.