Die Kritiker: «Unter Verdacht – Ein Richter»

Spannend und thematisch profund: «Unter Verdacht» erzählt von männlicher Übermacht und Makeln im Justizsystem.

Cast und Crew

  • Regie: Martin Weinhart
  • Darsteller: Martin Brambach, Senta Berger, Rudolf Krause, Gerd Anthoff, Alexandra Finder, Anneke Kim Sarnau, Georg Friedrich, August Zirner, Luc Feit, Lilly Forgách, Katrin Filzen
  • Drehbuch: Mike Bäuml
  • Kamera: Jo Heim
  • Schnitt: Matthias Wilfert
  • Produktionsfirma: Eikon
In der 24. Ausgabe der Krimireihe «Unter Verdacht» wird Dr. Eva Maria Prohacek (Senta Berger) zufällig Zeugin davon, wie in der Kantine des Justizzentrums der Richter Dr. Rainer Koller (Martin Brambach) attackiert wird. Die Täterin ist Doris Kern (Anneke Kim Sarnau), die vor Jahren von ihrem Lebensgefährten misshandelt wurde. Dieser wurde allerdings von Richter Koller freigesprochen, der momentan auch der Vorsitzende in der Verhandlung über Doris‘ Schwester Carola (Alexandra Finder) ist. Diese steht vor Gericht, weil sie ihren Partner mit einem Messer angegriffen hat – ihrer Aussage nach aus Notwehr. Prekär: Carolas Partner ist Theo Schichter (Georg Friedrich), der ungestüme Ex-Mann von Doris Kern. Daher blickt Dr. Eva Maria Prohacek intensiver auf den Prozess gegen Carola und erlebt dabei Koller als die Antithese eines vorbildlichen Richters: Er blickt verächtlich auf seine Zeugen herab und manipuliert mit Suggestivfragen den Prozessverlauf. Ein Blick in die Akten vergangener von ihm geleiteter Fälle offenbart, dass Koller wiederholt willkürliche und moralisch fragwürdige Entscheidungen gefällt hat. Dr. Eva Maria Prohacek macht es sich daher zum Ziel, diesem Richter das Handwerk zu legen …

In den besten Momenten erinnert dieser Neunzigminüter an den ungeheuerlich spannenden und thematisch leider ungebrochen brandaktuellen Sat.1-Film «Die Ungehorsame» (mehr zum Film in unserer Kritik: Mit messerscharfer Präzision beschreibt Drehbuchautor Mike Bäuml die Ohnmacht vieler Frauen, die in einer gewaltsamen Beziehung gefangen sind. Anneke Kim Sarnau und Alexandra Finder spielen auf Basis des gezielt weibliche Dilemmata schildernden Skripts beeindruckend auf, skizzieren die Verzweiflung und Wut auf sich selbst und ihren Peiniger mit desolaten, aufwühlenden Blicken.

Die Inszenierung intensiviert diese Momente, wechselt zwischen idyllisch konstruierten Bildern und schattigen Abgründen. Obendrein kreiert Bäuml mit scharfer Feder Situationen, in denen diesen Frauen die berechtigte Hilfe versagt wird, weil sie zu Opfern von Vorverurteilungen und chauvinistischen Rechtfertigungen werden – dabei bleiben die Zeilen, die Bäuml dem Patriarchat in den Mund legt zumeist im glaubwürdig-aufwühlenden Bereich und tritt für den Löwenanteil der Laufzeit nur selten in den Sektor der dick aufgetragenen Klischees.

Auf der Zielgeraden trägt Regisseur Martin Weinhart bei der Inszenierung etwas dick auf, bedient sich etwa an der Bildsprache des Stanley-Kubrick-Horrorklassikers «Shining», um die Boshaftigkeit Schichters zu unterstreichen. Auch das Drehbuch begibt sich zuweilen in flachere Gewässer als zuvor, lässt die Männerfiguren zu abschätzig und eindimensional daher schwadronieren, wo doch Brambach alias Koller zunächst seine Macho-Ader als Effizienz und zielgerichtetes Vorgehen ausgeben konnte. Der beängstigenden, facettenreich hinterlistigen Performance Brambachs schadet dies nicht, wohl aber der Dringlichkeit, mit der dieser Krimi sein Thema als aus dem Alltag gegriffen und somit umso schädlicher darstellt.

Fazit: Zum Schluss arg übertrieben, auf dem Weg dahin fesselnd und glaubwürdig: «Unter Verdacht» nimmt sich dem vertrackten, noch immer männergesteuerten Justizsystem an.
21.04.2016 12:37 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/85097