«Good Wife» - Die Ehefrau eines Antihelden

Am 11. April startet auf sixx die sechste Staffel von «Good Wife» während die siebte und letzte Staffel gerade im amerikanischen Fernsehen läuft. Grund genug, sich die von Kritikern gefeierte Serie genau anzusehen.

Mittlerweile ist die Figur des Antihelden wie kaum eine andere im US-amerikanischen Fernsehen und auch beim internationalem Publikum etabliert: Walter White entwickelte sich von einem unscheinbaren Chemielehrer und liebevollen Familienvater in «Breaking Bad» zu einem genialen Drogenbaron; «Mad Man» Don Draper verfiel regelmäßig in existentielle Krisen, versuchte seine alte Identität abzustreifen und eine neue zu finden, meistens in den Armen schöner Frauen und Alkohol; und ganz aktuell lässt ein gewisser Richie Finestra (Bobby Cannivale) seine Familie regelmäßig zurück, um mit seiner Drogen- und Alkoholsucht sein «Vinyl»-Imperium in Gefahr zu bringen.

Auch Peter Florick (Chris Noth), eine der Hauptfiguren in der von unter anderem Ridley und dem kürzlich verstorbenen Tony Scott produzierten Serie, gehört zu diesen Antihelden. Zu Beginn der mittlerweile sieben Staffeln umfassenden Anwaltsserie ist er ein Staatsanwalt, der auf einer Pressekonferenz den Rücktritt von seinem prestigeträchtigen, politischen Amt bekannt gibt. Er soll öffentliche Gelder veruntreut, Drogen konsumiert und mit Prostituierten verkehrt haben. Seine Reise endet vorerst im Gefängnis, und viele andere Serien würden analysieren, wie er dort hin geraten ist. Handelt es sich um eine Verschwörung oder ist er wirklich eine dieser fehlgeleiteten Helden, welche das Fernsehpublikum mittlerweile so zu schätzen gelernt hat? «Good Wife» verlagert den Fokus allerdings etwas weiter in den Hintergrund und fragt stattdessen: Wer ist die Ehefrau, die mit starrer Miene und kaum unterdrückten Emotionen hinter diesen Mann steht? Und warum hält sie scheinbar trotz aller Widrigkeiten zu ihm?

Die beiden Autoren und Erfinder der Serie, das Ehepaar Michelle und Robert King, nahmen sich für ihre Story-Prämisse offensichtlich ähnliche Skandale von prominenten Politikern wie Ex-Präsident Bill Clinton und dem ehemaligen New Yorker Gouverneur Eliot Spitzer zum Vorbild, der 2008 ebenfalls wegen dem in den USA illegalen Umgang mit Prostituierten sein Amt niederlegen musste. Das Ehepaar King nimmt diesen Skandal als Ausgangspunkt für die Reise einer scheinbar privilegierten Ehefrau, die sich jahrelang um Haus und Kinder gekümmert und die eigene juristische Karriere hinten angestellt hat. Zehn Jahre nachdem sie aufgehört hat, Jura zu praktizieren, nimmt sie mit Hilfe ihres Studienfreundes Will Gardner bei der erfolgreichen Anwaltskanzlei „Lockhart & Gardner“ ihre Arbeit wieder auf. Den politischen und privaten Scherbenhaufen, den ihr Mann hinterlassen hat, muss sie wieder zusammenfegen. Und dank der Arbeit eines cleveren Autorenteams ist ein unterhaltsames, erzählerisches Mosaik daraus entstanden, das zu einem der besten und elegantesten CBS-Dramen jüngerer Fernsehgeschichte wurde.

Politik & Gesellschaft - Realität informiert Fiktion


Auch die Fälle, denen sich Alicia Florick und ihre Kollegen stellen müssen, greifen die Autoren mitten aus dem aktuellen politischen und gesellschaftlichen Tagesgeschehen: Eine Masseuse bezichtigt einen beliebten Gewinner des Nobel Preises der sexuellen Belästigung; in Anlehnung an die Produktion des Filmes „The Social Network“ beschuldigt ein berühmter Computer-Programmierer einen Hollywood-Drehbuchautoren und ein Hollywood-Studio der Diffamierung; ein amerikanischer Staatsbürger wird als Terrorist verhaftet; ein amerikanischer Soldat tötet mit einer Drohne afghanische Zivilisten; eine anonyme Person, die eine Bitcoin-ähnliche Online-Währung kreiert hat, wird dafür vom Finanzministerium angeklagt. Alicia und ihre Firma werden unbemerkt von der NSA abgehört, nachdem ihr Sohn eine kurze Beziehung zu einer islamischen Mitschülerin hatte. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um dunkle und zwielichtige Gestalten, sondern um eine Reihe von Nerds, die sich gegenseitig virale YouTube Videos zuspielen und die, genau wie das Publikum daheim, nur als passive Zuschauer bzw. Zuhörer an den Handlungen der Florricks beteiligt sind und genauso gespannt diese Handlungen mitverfolgen.

Dies sind nur wenige der zahlreichen Fälle, mit denen sich Alicia Florrick selbst und ihre Anwaltskanzlei Lockhart & Gardner beschäftigen. Dennoch ist «Good Wife» kein einfaches Perpetuum mobile, bei dem in einer Dauerschleife Fälle gelöst werden, wie es schon andere CBS-Anwaltsserien wie z.B. «Boston Legal» oder «The Practice» in der Vergangenheit getan haben. Kleinere Handlungen haben meistens Einflüsse auf übergeordnete Storylines und umgekehrt, was für diese Art von Network-TV zu der Anfangszeit von «Good Wife» noch relativ ungewöhnlich war. Dabei haben die Anwälte von Lockhart & Gardner selten die moralische Oberhand, auch wenn sie oftmals ihre Fälle gewinnen. In den meisten Fällen versagt sogar eher das Justizsystem und selten handelt es sich um einen echten juristischen Sieg, was jedem Triumph einen fiesen Nachgeschmack geben sollte, wenn die Serie nicht so konstant mit sich selbst amüsiert wäre. Hier werden große Versicherungsfirmen vertreten, die Patienten notwendige, aber teuere und riskante Operationen verweigern, dort wird auf das Recht von freier Meinungsäußerungen gepocht, auch wenn es um die fehlgeleiteten Meinungen von Abtreibungsgegnern geht.

Denn manchmal ist Gesetz einfach Gesetz, ein zahlender Kunde ein zahlender Kunde, und ja, Geld einfach Geld. Insbesondere wenn die eigene Kanzlei kurz vor dem finanziellen Ruin steht. Eine Storyline, die ebenfalls über mehrere Episoden verfolgt wurde. In seinen besten Momenten lebte «Good Wife» in dieser juristischen und moralischen Grauzone. Dubiose Deals wurden in Hinterzimmern ausgehandelt, das Gesetzesschräubchen wurde nur zu gern ein wenig weitergedreht, die Grenzen des Machbaren subtil, fast unbemerkt ein bisschen weiter nach hinten verlegt und die Gründe dafür waren immer nachvollziehbar dargelegt. Gleichzeitig schaffte es das Drama, nicht in betont existentielle Depressionen zu verfallen, sondern sorgte mit einer sanften Prise Humor und Absurdität, die aber nie albern wirkte, für ein angenehmes Gegengewicht.

Eine Frage des Charakters


Es ist schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, diese komplexe Mischung aus Büropolitik, echter Politik, Liebesaffären, und vielem, vielem mehr, auf den kleinsten Nenner zu bringen, vor allem nach sieben Staffeln. Dafür hat das Ehepaar King gesorgt. Ein guter und einfacherer Weg, sich einen Zugang zu der Serie zu verschaffen, ist vielleicht einen Blick auf die zahlreichen Haupt- und Nebenfiguren zu werfen. Da wäre zunächst Alicia Florrick selbst. Sie ist weder Heldin noch Antiheldin, die wie z.B. Kevin Spaceys Frank Underwood in «House of Cards» ihre Fifty Shades of Böse in die Kamera flüstert, um dem Zuschauer ihre Motivationen und Gedankengänge auf einen Silbertablett zu servieren («House of Cards» ist sicherlich eine hochwertige Serie, aber naja...). Vieles musste man an ihrer eingeschränkten Mimik ablesen, die allerdings nicht auf mangelnde Schauspielfähigkeiten zurückzuführen ist, sondern viel mehr auf Zurückhaltung. Mitgefühl, Hilflosigkeit und unterdrückte Wut sind hier zu finden. Alicia Florrick ist eine Frau, die zu ihrem untreuen Ehemann steht, teils aus Pragmatismus, teils weil sie dort noch ein paar Bruchstücke einer glücklicheren Vergangenheit und Ehe findet. Die Frage nach dem warum bleibt bis heute bestehen und die Serie weigert sich stringent und intelligent, eine pauschale und vermutlich unglaubwürdige Antwort darauf zu geben.

Ihre Vorgesetzten, Will Gardner (Josh Charles) und Diane Lockhart (Christine Baranski), sind überzeugende Powerplayer, denen man sofort abkauft, dass sie nicht so erfolgreich sind, weil sie sich im Laufe ihrer Karriere eine weiße Weste bewahrt haben. Andererseits müssen sie immerzu ethisch fragwürdige Firmenentscheidungen mit den eigenen Moralvorstellungen vereinigen. Selten gewinnt die Moral. Kalinda Scharma (Archie Panjabi) ist die hauseigene Privatdetektivin, die zunächst Alicias vertrauensvollste Verbündete ist und später eine verhasste Freundin werden sollte, die selbst eine Affäre mit Peter Florrick in seinen wilderen Tagen hatte. Die coole, fast leidenschaftslose Detektivin ist beinahe immer der Schlüssel zu jeden noch so verfahrenen Fall. Ein Freigeist, der weder eine feste Bindung zu ihren Arbeitgebern noch eine feste Beziehung mit einem Mann oder einer Frau eingeht. Ebenso wenig lässt sie sich in ihrer Sexualität festsetzen und hat zahlreiche Affären mit Mitgliedern beider Geschlechter.

Ihr Charakter bleibt mysteriös, aber das macht sie für alle Beteiligten und den Zuschauer umso reizvoller. Einer dieser Männer, der ihr verfällt, ist Cary Agos. Ein junger aufstrebender Anwalt gespielt von Matt Czuchry, der zuvor in der Serie «Gilmore Girls» einen privilegierten Unsympathen spielte und hier einen etwas weniger privilegierten Unsympathen spielt. So schien es zumindest zu Beginn der Serie, denn «Good Wife» hat die Angewohnheit, diese Charaktere von innen nach außen zu kehren, bis wir Zuschauer hinter jede Fassade blicken konnten und auch diese Figur für uns zugänglicher und menschlicher wird. Dies gilt auch für Peter Florricks politischen Strategen Eli Gold (Alan Cummings), der ständig hin und her gerissen ist zwischen seiner Loyalität zu Peter und seiner stetig wachsenden platonischen Freundschaft zu Alicia. Trotz seiner zweifelhaften und undurchsichtigen politischen Machenschaften verleiht Cummings dieser Figur eine gehörige Portion Herz und Humor.

Für viele humoristische Highlights sorgen auch einige Gastauftritte: Da wäre zum einen Michael J. Fox als oftmals gegnerischer Anwalt Louis Canning, der wie der Darsteller selbst an einer neurologischen Krankheit leidet und absolut kein Problem damit hat, diese Tatsache auszunutzen, um sich Sympathien bei Richtern und Geschworenen zu erschleichen. Die rothaarige «True Blood»-Darstellerin Carrie Preston hat ebenso skurrile Auftritte als Elsbeth Tascioni. Die hoch-exzentrische, aber ebenso effektive Juristin wird oft als Geheimwaffe eingesetzt, um ihre Gegner erst zu verwirren und dann zu besiegen. Eine Rolle, die Preston einen verdienten Emmy für die beste Gastrolle einbrachte. David Lee ist dagegen einer dieser Charaktere, die man liebt, zu hassen. Immerzu auf seinen eigenen Vorteil bedacht, hat er kein Problem, das Gesetz bis zum Bruch zu biegen. Der Scheidungsanwalt poltert am liebsten durch die Gänge von Lockhart & Gardner und findet in jeder noch so verfahrenen oder traurigen Situation eine fiese und sarkastische Pointe, um seine Abscheu gegenüber der Welt und ihrer Bewohner deutlich zu machen. Dies sind nur ein paar Figuren der schier endlosen Liste mit äußerst sehenswerten Nebencharaktere, die nicht einmal die wunderbar gezeichneten Richterfiguren mit einschließt, die sich regelmäßig bei Gericht die Klinke in die Hand geben, und unsere Helden ständig mit neuen Exzentrizitäten herausfordern. Und trotz oder gerade wegen ihrer zahlreichen Fehler sieht man diesen smarten, erfolgreichen und fähigen Charakteren mit einem Heidenspaß bei der Arbeit zu.

Auf der nächsten Seite: In einer der dramatischsten Episoden gehen alte Bündnisse auseinander und neue werden geschlossen.

Einspruch: Spoiler-Alarm! Und unerlaubtes Rütteln am Status quo einer Anwaltsserie


Kollidieren sollen diese Charaktere ein ums andere Mal. Streitereien werden ausgetragen, frühere Bündnisse gehen auseinander und neue Bündnisse werden geschlossen. Kaum eine Folge repräsentiert diese Beziehungsgeflechte so sehr wie die fünfte Episode der fünften Staffel mit dem bezeichnenden Titel «Judas». Es wäre nicht übertrieben, diese knapp 45 Minuten als die feinsten in der TV-Geschichte zu bezeichnen. Die Storyline hierfür wurde schon in der Staffel zuvor in Gang gesetzt: Einige der jungen Anwälte mit Cary Agos an der Speerspitze fühlen sich von Lockhart & Gardner bei Bezahlung und Beförderungen übergangen und planen, die Firma zu verlassen. Im Zuge dessen möchten sie natürlich einige der wichtigsten Klienten mitnehmen. Auch Alicia Florrick, mittlerweile selbst Partnerin, wird mit eingespannt. In «Judas» fliegt der Plan auf und es entladen sich auf dramatischste Art und Weise Emotionen, die sich über vier bis fünf Jahre angestaut haben und werden als machtvolle und oftmals verletzende Waffen gegeneinander eingesetzt. Büromaterial wird von Tischen geworfen, Befehle und taktische Strategien in Handys gebellt, mittendrin muss Alicia noch ein Schulbrief ihrer Tochter unterschreiben. Die dramatischste Konfrontation findet zwischen ihr und Will Gardner statt.

Alicia kann im Büro ihre Emotionen gerade noch so lange zurückhalten, bis sie selbst vom Sicherheitsdienst aus dem Büro geleitet wird und im Fahrstuhl auf dem Weg zur Lobby weinend zusammenbricht, nur um im nächsten Moment ihre nächsten Schachzüge von der Cafeteria aus zu planen. Unterlegt wird dies alles von dem instrumentalen, klassischen, aber dennoch dynamischen Soundtrack von David Buckley. Die verletzten Gefühle und der Verrat, der mit dieser Episode einhergeht ist auf allen Seiten spürbar. Letztendlich geht es nur noch um die Gunst eines Klienten, nämlich das Google-Pendant der Serie namens „Chum-Hum“. Alicia nutzt den Einfluss bei ihrem Mann Peter, mittlerweile Gouverneur von Illinois, um diesen wichtigen Kunden für sich zu gewinnen. Sie hat einiges gelernt in den vier Jahren zuvor und sie zeigt sich nur wenig scheu, um diesen fragwürdigen Pragmatismus für ihre Zwecke einzusetzen.

Dies soll ein Wendepunkt in der Serie darstellen. Nachdem die Karten für lange Zeit durcheinander gemischt wurden und die neue Firma Agos & Florrick einige Anfangsschwierigkeiten umschiffen musste, sieht sie mittlerweile der Ursprungsfirma Lockhart & Gardner sehr ähnlich. Mit aufrüttelnden Ereignissen sparte «Good WIfe» in der Zwischenzeit nicht: Ein junger Mann, der des Mordes beschuldigt wurde, erschoss Will Gardner im Gerichtssaal. Darsteller Josh Charles kündigte schon zuvor an, dass er die Serie nach langer Überlegung verlassen wolle. Und am Anfang der sechsten Staffel scheint Alicia erneut vor einem Neuanfang zu stehen: Ausgerechnet vom Wahlkampfstrategen ihres Mannes Eli Gold wird sie dazu aufgefordert, selbst ein politisches Amt anzustreben. Zwar hat die Serie nicht mehr denselben Reiz, den sie einst besaß und die Ausstrahlungspolitik hierzulande hat es dem deutschen Publikum nicht leicht gemacht, dieser lohnenden Serie treu zu bleiben: Nach schwachen Einschaltquoten der ersten Staffel, beschloss ProSieben die Serie an kabel eins weiterzureichen. Von dort aus ging es weiter zum Spartensender sixx, wo die sechste Staffel am 11. April startet. An diesem Punkt wird es für Neuzugänge schwer sein, noch einzusteigen. Die Mischung aus serieller Erzählweise mit einer übergeordneten Story-Arc und dem Fall der Woche hat dafür gesorgt. Trotz der albernen DVD-Veröffentlichungspolitik, bei der die Staffeln unverständlicherweise jeweils in zwei Hälften aufgeteilt wurden, lohnt sich der Blick zurück jedoch unbedingt.
07.04.2016 16:30 Uhr  •  Stefan Turiak Kurz-URL: qmde.de/84799