Interview mit «Bosch»-Star Titus Welliver: Das organisierte Verbrechen, 08/15-Cops und der Kampf gegen die Technik

Im Quotenmeter.de-Interview verrät der «Bosch»-Hauptdarsteller, was die größte Herausforderung an seiner Rolle ist, was den Charakter so einzigartig macht und wie es in der zweiten Staffel weitergehen wird (Spoiler-Warnung für Staffel 1).

Kurz kritisiert: Die Amazon-Serie «Bosch»

«Bosch» ist eine durchaus spannende Serie, die das Krimi-Genre jedoch nicht neu erfindet. So, just another series about a cop? Streckenweise. Klischees versuchen die Macher einerseits zu vermeiden, andererseits werden sie schmerzhaft bis auf die Spitze getrieben. Vor allem aber die Szenen ohne Dialog sind wirklich sehenswert, da Titus Welliver die perfekte Besetzung für die Rolle des Harry Bosch ist und jene ruhigen Momente mit Leben füllt.
Die Kurzkritik von Redakteur Robert Meyer zur ersten Staffel «Bosch»
Viele Kritiker sagen, dass die zweite Staffel Bosch noch besser als die erste ist. Was können die Zuschauer erwarten?
Ich denke, dass es vor allem die etwas ausgedehntere Story ist, die die zweite Staffel reizvoll macht. In der ersten Staffel mussten wir in erster Linie zeigen, wer der Charakter Harry Bosch ist, und seine Hintergrundgeschichte aufbauen. Dadurch bekamen die Zuschauer ein Gespür dafür, mit wem sie es zu tun hatten und mit welchen Fällen er sich beschäftigte. In dieser Staffel haben wir andere Bücher der Reihe von Michael Conelly gewählt: Trunk Music (Das Comeback), The Drop (Der Widersacher) und The Last Coyote (Der letzte Coyote), wobei die meisten Elemente aus Trunk Music stammen. Wir lernen darüber hinaus mehr über die Nebencharaktere wie Deputy Chief Irving, gespielt von Lance Reddick, oder Boschs Partner (Jerry Edgar). Alle Beziehungen in Boschs Universum werden ausdefiniert, weil wir etwas mehr Zeit dazu haben. Wir begegnen auch neuen Charakteren, gespielt von Brent Saxon und Jeri Ryan. Außerdem wird das Risiko für Harry größer, weil er es in der zweiten Staffel nicht nur mit einfachen Straßen-Gangstern zu tun bekommt. Er wird gegen die armenische und russische Mafia kämpfen müssen – gut organisierte Verbrechensstrukturen. Gruppen, die kein Problem damit haben, einen Polizisten umzubringen.

Bosch’s neuer Fall führt ihn nach Las Vegas, wo seine Ex-Frau und seine Tochter leben. Wie verändert das die Familiendynamik, die in der ersten Staffel geschaffen wurden?
Es wird mehr Szenen geben, in denen wir Harry mit ihnen beiden sehen. Durch eine Verkettung von Ereignissen in jenem Fall, an dem Bosch arbeitet, geraten seine Ex-Frau und seine Tochter in Gefahr. Man bekommt einen Einblick, wie seine Beziehung mit seiner Ex-Frau war, wie sie sich entwickelt hat und wie die beiden sich bezüglich ihrer Tochter arrangieren.

Die erste Staffel stützte sich sehr stark auf das Gegenspiel zwischen Bosch und dem Serienmörder Raynard Waits. Beide durchlebten sogar eine ähnliche Vergangenheit. Wie wird die zweite Staffel diese handlungstragende Beziehung ersetzen?
Man hat das Element des organisierten Verbrechens. Bosch wird von den bösen Jungs gezwungen, andere Polizisten nicht einzubeziehen. Dadurch ist er ganz auf sich allein gestellt – eine schwierige Aufgabe. Während der Ermittlungen kommen ihm aber auch noch andere Dinge in die Quere, vor allem politischer Natur. Ich möchte nichts spoilern, doch einige Ereignisse führen dazu, dass es eine Allianz zwischen Bosch und dem Deputy Chief geben wird.

Manch ein Leser, der die Serie nicht gesehen hat, wird sich denken: schon wieder eine 08/15-Cop-Serie. Was macht den Charakter Bosch einzigartig?
Ich denke, dass Harry Bosch ein Charakter ist, der einen sehr starken moralischen Kompass besitzt. Er ist ein harter Kerl, jemand, den man gerne an seiner Seite hätte. Er ist der klassische Anti-Held. Was ihn meiner Meinung nach für das Publikum wirklich ansprechend macht: er ist menschlich. Bosch ist zwar ein harter Kerl, aber noch viel mehr. Er springt nicht durch Fenster oder verprügelt Leute nach dem Motto „lass mich einfach alles zerstören, dann finde ich schon, was ich suche“, sondern ist eher ein intelligenter Beobachter. Das heißt natürlich nicht, dass er alles einfach hinnimmt. Man wird in der zweiten Staffel eine andere Seite von ihm sehen.

Über Titus Welliver

Der 55-jährige hatte im Laufe seiner Karriere schon viele Nebenrollen in bekannten Serien wie der Man in Black in «Lost», Dominic Barone in «Suits», Jimmy O'Phelan in «Sons of Anarchy» oder Glenn Childs in «Good Wife». Doch erst in der Amazon-Serie «Bosch» bekam der seit 1990 aktive Schauspieler seine erste Hauptrolle.
Auf der einen Seite ist Harry Bosch ein sehr harter Kerl, auf der anderen Seite ist er ein sensibler Mensch mit Fehlern und Sorgen. Wie erklären Sie sich diesen Gegensatz?
Eine sehr tragische und entsetzliche Kindheit hat den Mann geformt, der er jetzt ist. Seine Mutter war Prostituierte und wurde ermordet, als er zwölf Jahre alt war, woraufhin er in das Pflege-System geriet und körperlich missbraucht wurde. Er geht zum Militär, kommt zu den Special Forces, schließt sich der Polizei an und arbeitet sich nach oben. Da ist auch etwas Poetisches und Romantisches, das ihn ausmacht. Er hört gerne Jazz auf Vinylplatten – er ist etwas aus der modernen Zeit gefallen. Bosch ist ein hartgesottener Polizist, aber nicht so sehr, dass er zu cool, zu hart oder unerreichbar ist. Er ist vor allem durch seine Menschlichkeit sehr zugänglich. Ein trauriger Mensch, der noch nicht den Verlust seiner Mutter verarbeitet hat. In der zweiten Staffel bekommt er neue Informationen bezüglich ihrer Ermordung, die er weiterverfolgen will. Es gibt also viele neue Dinge, die sich gleichzeitig abspielen und Harry wird auf vielen Hochzeiten gleichzeitig tanzen müssen.

Was war für Sie die größte Herausforderung dabei, Bosch zu spielen?
Jene Momente, in denen Harry alleine ist, nachdenklich, ohne Dialoge. Wie vermittelt und projiziert man die innerliche Gefühlswelt eines Charakters ohne Dialoge? Das war der kniffligste Teil. Merkwürdigerweise waren gerade das die Szenen, die ich am meisten genossen habe. Nicht, weil ich gerne mit mir selbst spiele (lacht). Aber ich denke, dass solche Szenen Bände darüber sprechen, wer der Charakter ist. Und jeder, der die Bücher gelesen hat, weiß, dass diese Momente wirklich sehr wichtig sind, weil Harry dabei die Dinge in seinem Kopf sortiert und verknüpft. Glücklicherweise haben Connelly und Overmyer (Autoren der Serie, Anm. d. Red.) beide zugestimmt, dass wir diese stillen Momente in der Darstellung wirklich honorieren.

Haben Sie die Bücher gelesen?
Ich habe eins viele Jahre vor der Lektüre des ersten Bosch-Drehbuchs gelesen. Seitdem lese ich selbstverständlich die Bücher, die wir für die Staffeln brauchen. Aber ich lese die anderen Bücher auch in meiner Freizeit, weil ich wirklich Freude an ihnen habe.

Haben Sie und Harry Bosch viel gemeinsam?
Keiner von uns kann Dummköpfe ertragen. Wir beide lieben Jazz und ich neige dazu, Dinge so zu mögen, wie sie einmal waren – wir sind beide etwas nostalgisch, was das angeht. Auch ich mag es, mir Musik auf Vinyl anzuhören. Und ich bin in einem durchgängigen Kampf mit Technologie. Wenn ich mein Telefon bedienen will, muss ich meine Kinder hinzuziehen, weil ich nicht weiß, wie man es – oder auch meinen Computer – bedient.

Wird es seine dritte Staffel geben?
Die Resonanz zur zweiten Staffel war extrem gut, sehr positiv. Ich drücke die Daumen, dass wir eine dritte, vierte, fünfte, sechste Staffel – so viele Staffeln, wie möglich – bekommen. Aber im Moment halten wir uns zurück und warten, ob wir mit der dritten Staffel weitermachen können. (Anm. d. Red.: zum Zeitpunkt des Interviews war noch nicht bekannt, dass Amazon die Serie für eine dritte Staffel verlängert hat)

Sie würden sich bestimmt freuen, noch ein paar Jahre in die Haut von Harry Bosch schlüpfen zu dürfen?
Ich würde diesen Charakter gerne noch für viele, viele Jahre spielen. Wir haben noch massenhaft Bücher, aus denen wir Material herauspicken können und ich denke, dass Harry Bosch ein sehr interessanter Charakter ist, der sich weiterentwickeln wird. Ich finde ihn sehr faszinierend und wäre sehr glücklich, ihn noch viele Jahre spielen zu dürfen.

Vielen Dank für das Gespräch.
06.04.2016 11:00 Uhr  •  Robert Meyer Kurz-URL: qmde.de/84755