Die Kino-Kritiker: «Der Spion und sein Bruder»

In «Der Spion und sein Bruder» trifft eine hochwertige Agentenkomödie auf derbste Sacha-Baron-Cohen-Zoten. Ein gewagter Drahtseilakt.

«Der Spion und sein Bruder»

  • Kinostart: 10. März 2016
  • Genre: Komödie
  • FSK: 16
  • Laufzeit: 83 Min.
  • Kamera: Oliver Wood
  • Musik: David Buckley, Erran Baron Cohen
  • Buch: Sacha Baron Cohen, Phil Johnston, Peter Baynham
  • Regie: Louis Leterrier
  • Schauspieler: Sacha Baron Cohen, Mark Strong, Rebel Wilson, Isla Fisher, Rory Keenan
  • OT: Grimsby (USA 2016)
Wenn man sich bei Anarchocomedian Sacha Baron Cohen («Der Diktator») einer Sache sicher sein kann, dann der, dass genau das eben nicht geht. Der Schöpfer von Kunstfiguren wie dem frauenfeindlichen Rapper Ali G., dem kasachischen Journalisten Borat und dem schwulen Reporter Brüno, mit denen er lange Zeit die Nerven seiner (zumeist ahnungslosen) Mitmenschen malträtierte, entlockt seinem Umfeld mit teils dreistesten Mitteln eine Reaktion auf diverse politische Ansichten. Dabei nimmt er auf moralische sowie ethische Grenzen keine Rücksicht und geht nicht nur dahin, wo es wehtut, sondern auch gern einmal weit darüber hinaus. Im Falle seines neuesten Filmes, der Spionagekomödie «Der Spion und sein Bruder», bedeutet dies, dass sich seine beiden Protagonisten, der smarte Geheimagent Sebastian (Mark Strong) und dessen einfältiger Bruder Nobby (Baron Cohen himself), während einer Verfolgungsjagd schon mal im Uterus einer gerade begattet werdenden Elefantenkuh verstecken müssen; eine Szene, die vorab viel diskutiert wurde, die jedoch nur annähernd aufdeckt, wo die Stärken des im Original «Grimsby» betitelte Films liegen. Auf der einen Seite steht dieser Moment zwar stellvertretend für das völlige Lossagen jedweder Schamgrenzen, was sich wie ein roter Faden durch die gesamte Produktion zieht. Doch in einem Großteil der Gags steckt mehr als nur ein Fünkchen Hintersinn, was «Der Spion und sein Bruder» zu einem typischen Sacha-Baron-Cohen-Film macht. Und zwar zu einem der absolut besten Sorte.

Ein Spion und ein Trottel


Nobby hat alles, wovon ein echter Mann aus dem heruntergekommenen Fischerstädtchen Grimsby träumt: Neun Kinder und die hübscheste Freundin im Nordosten Englands (Rebel Wilson). Er vermisst nur eines: Seinen kleinen Bruder Sebastian. Nachdem die beiden als Kinder von unterschiedlichen Familien adoptiert wurden, verbrachte Nobby die letzten 28 Jahre damit, seinen Bruder zu suchen. Als er endlich erfährt, wo Sebastian sich aufhält, macht Nobby sich gleich auf den Weg. Was er nicht weiß: Sebastian ist nicht nur Geheimagent des MI6, er hat auch gerade einen bedrohlichen Plan aufgedeckt, der die gesamte Welt in Gefahr bringt. Fälschlicherweise selbst unter Verdacht geraten, befindet sich der Spion auf der Flucht und realisiert: Wenn er eine Chance haben will, die Welt zu retten, benötigt er die Hilfe des größten Vollidioten auf dem Planeten – seines werten Bruders Nobby…

Wer ein Ticket für einen Sacha-Baron-Cohen-Film löst, der sollte sich vorab bewusst sein, dass das, was nun folgt, nichts mit den klassisch modernen Unter-der-Gürtellinie-Komödien der Seth-Rogen-Community oder zuletzt etwa «Dirty Grandpa» gemein hat. Abgesehen davon, dass jene Vertreter im Hinblick auf «Der Spion und sein Bruder» wirken, als hätte man es bei ihnen mit einer harmlosen Disney-Familienkomödie zu tun, ist es Baron Cohen nicht bloß daran gelegen, innerhalb eines Neunzigminüters möglichst viele derbe Schimpfworte vom Stapel zu lassen. Zieht man «Dirty Grandpa», den aktuell wohl geschmack-, und lieblosesten Vertreter seines Genres zum Vergleich heran, so lässt sich pauschalisieren, dass sich «Grandpa»-Regisseur Dan Mazer auf Biegen und Brechen und ohne Rücksicht auf Figuren, Skript und Dramaturgie darin abmüht, rücksichtslos vulgär zu sein, bis jene sprachliche (und körperliche) Freizügigkeit zum Selbstzweck verkommt. «Grimsby»-Regisseur Louis Leterrier («Die Unfassbaren – Now You See Me») hingegen hat nicht den kalkulierten Skandal im Kopf, sondern seinen Film selbst. Ja, «Der Spion und sein Bruder» ist ein geschmacklich äußerst grenzwertiges Unterfangen, doch abgesehen davon, dass es gerade in Sachen Humor auf das eigene Verständnis dafür ankommt, stimmen sämtliche Faktoren abseits des oberflächlichen Klamauks.

Würde man Sacha Baron Cohen in seiner Position als Hauptdarsteller, Autor und Produzent aus «Der Spion und sein Bruder» herausstreichen, so hätte man immer noch eine äußerst hochwertig produzierte Actionkomödie hohen technischen Standards, deren Plot kein Alibi ist, um die einzelnen Pointen zusammenzuhalten, sondern der einer nachvollziehbaren, ja, sogar mitreißenden Dramaturgie folgt. Sämtliche technischen Aspekte, von der vielfältig eingesetzten Kamera (Oliver Wood, «2 Guns»), die das Geschehen auch schon mal über mehrere Minuten aus der First-Person-Perspektive einfängt, über die Musik (David Buckley, «Good Wife») bis hin zu den Effekten und Stunts, könnten sich auch im Rahmen eines herkömmlichen Agententhrillers sehen lassen und lassen zu keinem Zeitpunkt den Gedanken aufkommen, dass hier in irgendeiner Form budgetbedingte oder gar kreative Abstriche gemacht werden mussten. Wer ein Kinoticket für „Der Spion und sein Bruder“ löst, der könnte sich also allenfalls an manchen Gags stören – die Angst, abseits dessen nichts geboten zu bekommen, können wir an dieser Stelle allerdings zerschlagen.

Hochwertig produzierte Action


Darüber hinaus reichern die Macher die Story im Hier und Jetzt mit Rückblenden an, welche sich vollkommen frei von Ironie mit dem Auseinanderbrechen der Familie Grimsby auseinandersetzen. Das führt dazu, dass bei aller Zotenlastigkeit innerhalb des Films eine Verbindung zu den Figuren entsteht; unterstrichen davon, dass «Der Spion und sein Bruder» auch auf einer weiteren Ebene hervorragend funktioniert. Die Rede ist von den Darstellern. Während Baron Cohen Niemanden mehr von seinem Timinggespür und seiner Aufopferungsbereitschaft in Bezug auf seine Rollen überzeugen muss, beweisen gerade die Schauspieler in den vollkommen bodenständig angelegten Rollen, dass auch vermeintliche Blödelkomödien besser funktionieren, wenn man packendem Schauspiel dieselbe Aufmerksamkeit schenkt, wie dem Abhaken der Pointen. Mark Strong («Kingsman: The Secret Service») macht in seiner engagiert-toughen Rolle des Geheimagenten vor allem deshalb Spaß, weil er genau so auch in jedem anderen, sich weitaus ernster nehmenden Spionagefilm auftreten könnte. Dasselbe geht für Isla Fisher (demnächst in «Visions» zu sehen), die in ihrer Nebenrolle als MI6-Mitarbeiterin leider nur wenig zu tun hat, aber ebenfalls voller Enthusiasmus steckt. Außerdem beweist sich Penelopé Cruz nach «Zoolander No. 2» ein weiteres Mal in der Rolle des unterkühlten Vollblutweibs. Wer aber besonders überrascht, sind sämtliche Kinderdarsteller. Vor allem Gabriel Chay Palmer («Trollied») und Lewis Johnson spielen die beiden Brüder im Kindesalter derart herzzerreißend, dass die Flashbacks eine beeindruckende Intensität aufweisen.

Doch Sacha Baron Cohen wäre nicht er, würde in seinem Film nicht noch eine Ebene stecken, die all den Klamauk und die von kreativ bis zu geschmacklos reichenden Gags rechtfertigen würden. «Der Spion und sein Bruder» hat als rein fiktionales Werk zwar nicht den das Publikum selbst entwaffnenden Wert eines «Borat» oder «Brüno», trotzdem ist ein Großteil der Gags (von denen die Macher bei einigen leider nicht den richtigen Moment finden, um sie zu beenden) auch hier bloß ein äußerst nachdrücklicher Kommentar auf den Umgang mit Waffen, die Doppelzüngigkeit in Bezug auf verschiedene Unterhaltungsmedien sowie verquere wirtschaftspolitischer Ansichten vereinzelter Politiker und der Regierung im Gesamten. Und um festzustellen, dass dem so ist, braucht es nicht erst die wohl famoseste Schlusspointe des Kinojahres 2016, sondern den Willen, sich nicht davon blenden zu lassen, dass Baron Cohen und Strong es in diesem Film mit einem riesigen Elefantenpenis aufnehmen müssen. Gewiss: Solche Szenen müssen nicht sein. Aber vielleicht braucht es heutzutage mal wieder jemand Mutigen, der der Welt da draußen vor allem eines sagt: Fuck Yourself!

Fazit: Derb, derber, Sacha Baron Cohen: Mit seinem neuesten Rundumschlag gegen Alles und Jeden beweist der streitbare Starcomedian einmal mehr seinen Wert als Anarchokomiker. Doch wer sich die Mühe macht, nicht nur den oberflächlichen Klamauk von «Der Spion und sein Bruder» zu betrachten, sondern auch hinter die Fassade zu blicken, der erkennt in der Spionagekomödie diverse politische Statements. Trotz manch fehlschlagener Pointen eine der Überraschungen des Jahres!

«Der Spion und sein Bruder» ist ab dem 10. März bundesweit in den Kinos zu sehen.
10.03.2016 09:30 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/84261