Die Kino-Kritiker: «Spotlight»

Nominiert für sechs Oscars: Tom McCarthys auf wahren Ereignissen beruhender Journalistenthriller «Spotlight» befasst sich mit den Recherchen eines Investigativteams zum Thema “Katholische Kirche und sexueller Missbrauch” – mit schockierenden Folgen.

Filmfacts: «Spotlight»

  • Genre: Drama/Thriller
  • FSK: 0
  • Laufzeit: 128 Min.
  • Kamera: Masanobu Takayanagi
  • Musik: Howard Shore
  • Buch: Josh Singer, Tom McCarthy
  • Regie: Tom McCarthy
  • Darsteller: Mark Ruffalo, Michael Keaton, Rachel McAdams, Stanley Tucci, Liev Schreiber, John Slattery, Elena Wohl
  • OT: Spotlight (USA 2015)
Selten haben die Reaktionen auf einen Film die eigentliche Problematik innerhalb desselben besser zusammengefasst als im Falle von Tom McCarthys Journalistenthriller «Spotlight». Der vielfach für unterschiedliche internationale Preise (darunter auch der Oscar) nominierte und ausgezeichnete Film über eine Gruppe von Investigativjournalisten, die Anfang des neuen Jahrtausends zum Thema Kindesmissbrauch unter dem Deckmantel der katholischen Kirche recherchierte, sorgte bei verschiedenen Wortführen ebenjenes Glaubens für ganz unterschiedliche Reaktionen. Während sich die einen von McCarthys Regiearbeit in die Ecke gedrängt fühlten, reagierten andere mit Verständnis und Einsicht. Besser könnten diese vollkommen gegensätzlichen Verhaltensweisen den Umgang mit der Thematik nicht widerspiegeln; auch in «Spotlight» wird der Zuschauer irgendwann Zeuge, wie weltfremd die einen und wie geläutert die anderen mit dem dato noch als totgeschwiegenem Tabu verstandenen Thema umgehen.

Was im Jahr 2001 noch eine niederschmetternde, neue Entdeckung war, ist mittlerweile jedoch erschreckend oft in den Medien vertreten. Doch gerade aus diesem Grund ist der in «Spotlight» gewählte Erzählzeitraum zu Beginn dieser Skandalaufklärung der beste und nächstliegende. McCarthy («Ein Sommer in New York»), zuständig für Regie und Drehbuch, wirft einen Blick auf die erste bohrende Nachfrage, die eine Mauer des Schweigens zum Einsturz brachte, und nimmt die Faust erst aus der Magengrube, als dem Zuschauer längst klar ist, dass das hier kein Einzelfall, sondern eine entsetzliche Regel ist.

Im Jahr 2001 erhält Walter „Robby“ Robinson (Michael Keaton), der Leiter des Investigativteams „Spotlight“ des Boston Globe, einen besonderen Auftrag. Der neue Chefredakteur Marty Baron (Liev Schreiber) setzt ihn auf die Fälle von Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche an, von denen hinter vorgehaltener Hand schon lange gesprochen wird. Doch als Robby und seine Kollegen Michael Rezendes (Mark Ruffalo), Sacha Pfeiffer (Rachel McAdams), Matt Carroll (Brian d’Arcy James) und Ben Bradlee Jr. (John Slattery) die ersten Opfer interviewen, decken sie Schicht um Schicht einen viel größeren Skandal auf: Seit Jahrzehnten wurden in der Erzdiözese Boston immer wieder Kinder von Priestern missbraucht – und die Taten von höchsten Würdenträgern gedeckt und vertuscht. Die Spuren führen direkt zum Kardinal, doch die Reporter stoßen auf eine Mauer des Schweigens. Die Opfer schweigen aus Angst, hochbezahlte Anwälte spielen auf Zeit. Die kostspielige Recherche der Zeitung droht zu scheitern.

Ein Blick auf den Cast offenbart, dass es Tom McCarthy trotz dieses speziellen Themas auch darum geht, ein möglichst großes Publikum auf diesen Skandal aufmerksam zu machen. In den Hauptrollen finden sich mit Rachel McAdams («Southpaw»), Michael Keaton («Birdman»), Mark Ruffallo («Marvel’s The Avengers 2: Age of Ultron»), Liev Schreiber («Creed – Rocky’s Legecy»), Stanley Tucci («Die Tribute von Panem – Mockingjay, Teil 2»), John Slattery («Ant-Man») und Brian d’Arcy James («Sisters») – um nur einige zu nennen – ausschließlich A-Klasse-Hollywoodstars wieder, die einen Cast zum Leben erwecken, deren trockene Arbeit bei näherem Hinsehen gar nicht so trocken ist. Natürlich wäre es ein Leichtes, einen Missbrauchsskandal aus einer Perspektive zu erzählen, die dem Gelegenheitszuschauer ein weitaus spektakuläreres Seherlebnis bietet. Doch die Macher konzentrieren sich ganz bewusst auf die Recherchearbeit der Journalisten, setzen auf viel Dialog und inszenieren im Finale lieber den endgültigen Abdruck der Aufklärungsstory als Schlüsselmoment, denn aufsehenerregende Festnahmen, Verfolgungsjagden oder andere Elemente aus dem klassisch standardisierten Thrillerreperoire.

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Wer nun die Befürchtung äußert, innerhalb des über zwei Stunden langen Thrillerdramas lediglich mit über den Schreibtischen gebeugten Pressefutzis konfrontiert zu werden, der sei an dieser Stelle bereits beruhigt. Tom McCarthy wählt mit seinem gleichnamigen Investigativteam in «Spotlight» zwar eine weitestgehend ohne jedwede Effekthascherei auskommende Erzählperspektive, langatmig wird seine Geschichte, die er gemeinsam mit «Inside Wikileaks»-Autor Josh Singer schrieb, aber nicht. Es sind vielmehr die grundverschiedenen Ansätze, mit denen Sacha Pfeiffer und ihre Kollegin der nahezu übermächtig wirkenden Kirche auf den Pelz zu rücken versuchen. Beklemmende Interviews mit Opfern und die Suche nach juristischen Schlupflöchern nehmen in «Spotlight» die Positionen ein, die in klassischen Crime-Thrillern von mit viel Tamtam inszenierten Festnahmen oder Schießereien gefüllt werden. Dank eines intensiv aufspielenden Casts und einer Figurenzeichnung, die jedem der Charaktere ein nötiges Maß an Backround und Privatleben zugesteht, ohne dieses zu sehr in den Vordergrund zu drängen, ist der Adrenalinkick bei solchen, auf den ersten Blick nicht allzu spannend erscheinenden Aktionen nicht weniger intensiv, als bei einer üblichen Thrillerinszenierung. Nur aufgeschlossen, das sollte man als Zuschauer einem solchen Seherlebnis gegenüber sein. Genauso ist das Erkennen der Dialogwertigkeit innerhalb eines Films unabdingbar, um «Spotlight» ausreichend zu genießen, aber auch, um ihn zur Genüge zu würdigen.

Dass ein Film wie «Spotlight» natürlich nicht ausschließlich über seinen Stellenwert als Unterhaltung funktioniert, ist selbstverständlich. Wichtiger noch als das kurzweilige Seherlebnis für den Zuschauer, dass die Produktion trotz ihrer ausladenden Laufzeit von 128 Minuten definitiv ist, ist der aufklärerische Wert. Durch Nachrichten von Missbrauchsskandalen an unterschiedlichen Standorten innerhalb der katholischen Kirche, auf die in der Vergangenheit immer wieder medial aufmerksam gemacht wurde, ist die Gesellschaft mittlerweile abgestumpfter als zu damaliger Zeit. Als der Boston Globe Anfang der 2000er die Ausmaße dieser furchtbaren Verbrechen bekannt gab, sorgte die Zeitung in den USA für ein journalistisches Beben und ebnete den Weg für eine Sensibilisierung im Hinblick auf die vermeintliche Unverwundbarkeit der Kirche.

Ebenjenem Beben widmet sich Tom McCarthy nur sekundär. Der Fokus liegt auf der journalistischen Arbeit selbst, die für das Lostreten der Informationswelle allerdings unabdingbar war. Welche Konsequenzen das alles nach sich zog, darauf geht «Spotlight» kaum ein, wodurch sich der Regisseur und Autor gewissermaßen auch eines direkten Kommentars entsagt. Er lässt die teils fast unerträglichen Ausführungen der Opfer für sich stehen. Und das reicht. Wenn kurz vor dem Abspann schließlich all jene Staaten eingeblendet werden, in denen es zu sexuellen Übergriffen von Kirchenoberhäuptern auf Kinder und Jugendliche kam, dann bedarf es keines belehrenden Zeigefingers mehr, um seine volle Wucht zu entfalten. Entsprechend zurückhaltend bleiben in «Spotlight» auch sämtliche technischen Aspekte, von der ruhigen Kamera (Masanobu Takayanagi) bis hin zum unauffälligen (Howard Shore), die der Thematik selbst nie die Show stehlen.

Fazit: «Spotlight» ist zu Recht einer der Oscar-Anwärter der aktuellen Saison und erzählt vollkommen frei von Effekthascherei von einem Thema, das keinerlei Überstilisierung bedarf, um seinen ganzen Schrecken zu entfalten.

«Spotlight» ist ab dem 25. Februar in den deutschen Kinos zu sehen.
23.02.2016 09:30 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/83937