«The Hateful Eight», «Star Wars» und die Rückkehr des Analogen

Und plötzlich ist das Alte wieder chic: Nach einer Welle des Digitalhypes wird im Filmgeschäft wieder verstärkt auf den Analogfilm geachtet.

Die jungen Menschen, die es dazu drängt, Filme zu drehen, sollten Zugang zu den Werkzeugen und Materialien haben, auf denen diese Kunstform gründet. Niemand käme auch nur im Traum auf die Idee, jungen Malern Farbe und Leinwand wegzunehmen, bloß weil iPads leichter zu transportieren sind. [...] Alles, was wir mit HD machen, ist ein Versuch, die Ästhetik von Film nachzuahmen. Film bietet selbst jetzt eine reichhaltigere visuelle Bandbreite als HD. Zudem ist Film weiterhin die beste und am meisten erprobte Form der Konservierung unserer Produktionen. Niemand kann garantieren, dass digitale Dateien erhalten bleiben, bei Film dagegen wissen wir es, so lange eine angemessene Bewahrung und Pflege gegeben sind.
Martin Scorseses offener Brief zum Thema Negativfilm (2014)
Bewährt ist das neue Modern: Noch in den Jahren 2013/14 mussten Hollywoodgrößen wie Martin Scorsese, J. J. Abrams und Quentin Tarantino Kodak beknien, weiterhin Negativfilm zu produzieren. Für wenige Monate schien die Geschichte von Filmen, die auf dem Material gedreht wurden, welches dieser Medienform überhaupt ihren Namen gegeben hat, so gut wie vorbei. Aber wie unter anderem die Renaissance von Vinylplatten bewiesen hat: Totgesagte leben länger – auch in der Welt der Medien. Mit Quentin Tarantinos Geniestreich «The Hateful Eight» startet aktuell nicht nur eine Produktion, die auf Film gedreht wurde, sondern bei der sich der Regisseur obendrein dafür stark gemacht hat, dass sie in ausgewählten Kinos ganz traditionell aufgeführt wird: Als analoge Filmkopie.

Schon 2015 war ein ertragreiches Jahr für die Kunst, auf Film zu drehen: «Star Wars: Das Erwachen der Macht» und «Jurassic World», die zwei kommerziell erfolgreichsten Produktionen des Jahres, wurden auf Film gedreht. Und diese zwei Werke stehen nicht für sich alleine: «SPECTRE» wurde nahezu vollständig auf 35mm-Film gebannt, ähnlich wie «Mission: Impossible – Rogue Nation» bloß in wenigen, extrem effektlastigen Szenen auf digitale Kameras zurückgriff. Darüber hinaus beschloss Kenneth Branagh, sein Disney-Realfilmmärchen «Cinderella» analog zu drehen, um so an den handgezeichneten Disney-Trickklassiker zu erinnern. Außerdem führte Komödienregisseur Judd Apatow seinen Feldzug für das analoge Filmemachen fort und verwirklichte seinen Kritikererfolg «Dating Queen» komplett auf klassischem Wege.

Und selbst das von Hollywood sträflich vernachlässigte 16mm-Format feierte ein Comeback: Der erste Akt von «Steve Jobs» wurde auf 16mm gedreht, während das Romantikdrama «Carol» in Super 16mm glänzt. Kameramann Ed Lachmann erläuterte gegenüber dem Branchenportal ‚The Hollywood Reporter‘: „Ich sehe es wie eine zweite Haut [über der Darstellung von Cate Blanchett und Rooney Mara]. Das körnige Bild erschuf eine besondere emotionale Ebene. Ich glaube, dass die Zuschauer so auf «Carol» reagieren, liegt an der durch Film erreichten Körnigkeit, der Textur und am dazugehörigen Gefühl.“

Nicht nur Lachmann spricht Analogfilm besondere Qualitäten zu. Auch wenn Digitalkameras die Vorteile mit sich bringen, dass sie bei Nacht lichtempfindlicher sind, sich zumeist leichter transportieren lassen und im Regelfall eine besonders hohe Bildschärfe erlauben, hat traditioneller Film andere Pluspunkte. Regisseur David Ayer etwa beschloss, sein hierzulande Anfang 2015 gestartetes Kriegsdrama «Herz aus Stahl» auf 35mm zu drehen, weil dieser Prozess bestimmte Farbbereiche in einer stärkeren Bandbreite einfinge: „Die Farbpalette der Uniformen und des Rosts ist sehr subtil, und wir haben daraus eine Welt kreiert, die beim digitalen Testdreh nur noch aus knalligem Schwarz und matschigen Grüntönen bestand, die nicht so reichhaltig war wie auf Film“, erörtert er gegenüber ‚Indie London‘ seine Entscheidung.

Kinoproduktionen von 2015/2016, die auf Film gedreht wurden (Auswahl)

  • «Joy – Alles außer gewöhnlich»
  • «Am grünen Rand der Welt»
  • «Irrational Man»
  • «Black Mass»
  • «The Big Short»
  • «Bridge of Spies – Der Unterhändler»
  • «Batman v Superman: Dawn of Justice»
  • «Suicide Squad»
Angesichts solcher Aussagen ist bei Kodak ist von der Weltuntergangsstimmung, die vor wenigen Jahren noch herrschte, nichts mehr zu spüren. Anfang Januar 2016 wurde daher sogar eine „Super 8 Revival“-Initative gestartet, um auch dem Schmalspurfilm zu einem zweiten Frühling zu verhelfen. Seine größeren Brüder stehen wohl schon kurz davor: In den vergangenen zwölf Kalendermonaten starteten annähernd 100 Kinoproduktionen, die auf Kinoformat-Negativfilm des alteingesessenen Konzerns gedreht wurden. Selbst wenn deutlich mehr digitale Produktionen anliefen, ist dies ein klarer Anstieg gegenüber 2014. Steve Bellamy, Präsident der Film- und Entertainment-Abteilung von Kodak, verneigt sich daher in einem offenen Brief vor Quentin Tarantino und Christopher Nolan, die sich in den vergangenen Jahren besonders laut für Negativfilm ausgesprochen haben und so dieses Umdenken mitprägten. Tarantinos «The Hateful Eight» feiert Bellamy gar als „zeitloses, kunsthandwerkliches Meisterstück“ und als „neuen Höhepunkt des Analogen“.

Daher empfiehlt er allen Filmliebhabern, «The Hateful Eight» in der analogen Roadshow-Fassung zu sehen, sollten sie die Möglichkeit dazu zu haben: „Jedes einzelne Bild auf der Leinwand ist einfach atemberaubend! Verbinde dies mit unfassbaren Darstellungen, wunderschönen Sets und Kostümen, einer himmlischen Musikuntermalung und einem neuen Hoch an Tarantino-Dialogen, und wir haben eine schlichtweg einmalige und glorreiche Kinoerfahrung!“ Bellamy mag voreingenommen sein und unter den Teppich kehren, dass in den USA durch den im Umgang mit 70mm-Kopien unerfahrene Vorführer einige Pannengeschichten aufgetaucht sind, allein steht er mit seiner Meinung allerdings wahrhaftig nicht dar. Und da «The Hateful Eight» auch in Deutschland als Roadshow zu sehen ist, können alle Nostalgiker und interessierte, junge Filmfreunde ganz einfach selber nachprüfen, ob in Bellamys Worten mehr als nur ein Körnchen Wahrheit steckt.

«The Hateful Eight» ist ab dem 28. Januar 2016 in vielen deutschen Kinos zu sehen. Im Zoo Palast in Berlin, im Savoy in Hamburg, in der Essener Lichtburg und in der Schauburg in Karlsruhe gibt es zudem exklusiv die längere Roadshow-Fassung als analoge Vorführung zu sehen.
27.01.2016 18:03 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/83422