Wie DJs den 80ern den Garaus machen

Klassische AC-Radiostationen verzichten immer mehr auf Musik aus den 80ern. Nur noch die absoluten Highlights finden ihren Weg in die Playlist. Stattdessen gibt es derzeit einen Boom aktueller Musik.

Es galt lange Zeit als schier undenkbar, dass die großen Hits der 80er Jahre wirklich aus dem deutschen Radio verschwinden. Nachwievor schaffen es Evergreens wie "Tainted Love", "The Final Countdown" oder "Manic Monday" in die Playlists der großen Radiostationen. Viele Sender, und darunter vor allem die führenden, haben den Anteil an Hits aus den 80er Jahren speziell in der Primetime aber deutlich reduziert. Stattdessen setzen die großen „Hitradios“ noch mehr als früher auf aktuelle Charthits, die je nach Station alle zweieinhalb bis vier Stunden wiederholt werden.

Galt früher noch als ungefähre Faustregel, dass ein 80er pro halbe Stunde eingesetzt wird, dazu zwei ganz aktuelle Hits und der Rest mit Songs aus den 90ern oder frühen 2000ern befüllt wird, nehmen aktuelle Hits mittlerweile vor allem am Morgen in der reichweitenstarken Stunde nach 7-Uhr mehr als die Hälfte der Playlist ein. Die Frequenz der 80er-Jahre-Songs ist zurückgegangen. In einer Vielzahl an Fällen läuft einer pro Stunde. Der Reduzierung sind gerne gehörte, aber eben nicht ganz zur Spitze zählende Hits zum Opfer gefallen. Es sind die Songs von a-ha, Midge Ure, Tears for Fears, Kim Carnes oder Cyndi Lauper, die nun einen deutlich schwereren Stand haben. „Der bundesweit zu erkennende Trend, vermehrt junge, aktuelle Titel einzusetzen, spiegelt sich auch in der Musikauswahl der NRW-Lokalradios wider“, erklärt Jens Kopel, der Musikchef des Senderverbunds radio NRW. „Parallel ist die Begeisterung unserer Hörer für Songs aus älteren Dekaden aber immer noch sehr hoch“, betont der Radiomacher.

Die Musikplanung passiert inzwischen bei keinem Sender mehr zufällig, sondern ist Ergebnis einer immer umfangreicher werdenden Markt-Analyse-Struktur, die die Sender betreiben, um bei den zwei Mal im Jahr veröffentlichten Radioquoten einen guten Stand zu haben. Hinter der Musikplanung steckt mittlerweile ein richtig ausgeklügeltes System, das möglichst viele Informationen über die Beliebtheit von Musikstücken sammelt – etwa durch Telefonumfragen erworbene Kenntnisse, wie gefragt ein Hit ist. Bevor ein neuer Hit den Weg ins Programm findet, wird er auf Herz und Nieren getestet. „Im Moment sind grundsätzlich aktuelle Titel gefragter als ältere. Aber die Bedeutung der 80er- und 90er-Songs dürfen wir als Musikplaner auf keinen Fall unterschätzen. Ältere Titel sind auf Grund ihres Alters oft emotionaler aufgeladen und wecken bei den Hörern leichter Erinnerungen als die aktuellen Charts“, erklärt Köpel. Und noch etwas lässt die Herzen der Programmmacher höher schlagen, wie etwa Mario A. Liese, Geschäftsführer und Programmdirektor von radio SAW im Gespräch mit Quotenmeter.de sagt: „Junge Menschen bleiben über aktuelle Musik dem Radio treu und bauen einen Bezug zu ihrem Heimatsender auf.“

Aktuelle Songs mit einem hohen Melodie- und Rhythmusanteil testen laut Liese derzeit sowohl in jungen als auch älteren Zielgruppen gut. Heißt: Die Hits von Robin Schulz oder David Guetta, die eigentlich aus der Dance-Szene kommen, nachts in Clubs die Bässe dröhnen lassen, ihre Hits aber auch als radiotaugliche Versionen anbieten, spülen den Programmen die von manchen schon als verloren geglaubten Zielgruppen zu.

„Wenn sich dies mit den Bedürfnissen der älteren Zielgruppen verträgt, umso besser. Am Beispiel von radio SAW kann man erkennen, dass ein Radiosender sehr wohl in fast allen Zielgruppen von jung bis alt Marktführer sein kann,“ meint Liese, der aber wie sein Kollege von radio NRW betont, dass 80er und 90er weiterhin einen hohen Stellenwert genießen würden. „Allerdings sehen wir an der eigenen Marktforschung, dass aktuelle Songs klar auf dem Vormarsch sind“, sagt der radio SAW-Boss. Das sei übrigens etwas, das zumindest für den Musikchef in NRW nicht ganz ungewöhnlich ist. „Es ist eine automatische Entwicklung, dass am jüngeren Rand eines AC-Formats die älteren Titel nach und nach an Stellenwert verlieren und die neueren mehr und mehr nachrücken“, erklärt er.

Dennoch ist ein (kleiner) neuer Trend erkennbar: War es früher noch üblich, dass neue Hits erst einmal „warmgespielt“ werden müssen, würden Neueinsteiger inzwischen quasi direkt vom Hörer akzeptiert werden. Das ist ziemlich gut für die Plattenindustrie, ist das Radio doch nachwievor ein guter Werbeträger für neue Releases. Hits, die Mancher aber „gerne mal wieder hören“ würde, ziehen dem momentanen Trend zufolge demnach aber schlichtweg den Kürzeren. In Anbetracht dessen ist es also durchaus denkbar, dass Soft Cell und a-ha künftig zunehmend ein Schattendasein bei den mainstreamorientierten Radiostationen fristen werden - und die Aviciis und Felix Jaehns dieser Welt noch öfter gespielt werden als ohnehin schon.
19.01.2016 12:23 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/83247