Die Kritiker: «Polizeiruf 110 - Und vergib uns unsere Schuld»

Im neuen «Polizeiruf 110» um Hanss von Meuffels geht es nicht so sehr um juristische Schuld als um psychologische. Und das funktioniert außerordentlich gut:

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Matthias Brandt als Hanns von Meuffels
Karl Markovics als Jens Baumann
Sebastian Griegel als Tim Haffling
Lola Dockhorn als Miriam
Andre Jung als Rösner
Stefan Merkl als Konrad Springer

Hinter der Kamera:
Produktion: Wiedemann & Berg Television GmbH
Drehbuch: Alex Buresch und Matthias Pacht
Regie: Marco Kreuzpaintner
Kamera: Philipp Haberlandt
Produzenten: Max Wiedemann und Quirin Berg
Tim Haffling soll 2006 die damals 16-jährige Miriam ermordet haben. Seit neun Jahren sitzt er deswegen in Haft und wird von den Mitgefangenen drangsaliert, wo es nur geht. Er scheint ein sensibler junger Mann zu sein. In seiner Zelle hängt neben Fotos von Miriam und seiner Mutter auch eine beachtliche Menge an Heintje-Postern. Als er die unablässigen Quälereien der anderen Häftlinge nicht mehr erträgt, nimmt er sich das Leben.

Kurz darauf wird ein Herr mittleren Alters bei Kommissar von Meuffels vorstellig. Er will zu Protokoll geben, damals Miriam im Affekt erschlagen zu haben und bittet um seine Verhaftung. Ein Spinner, denkt von Meuffels zuerst, der Haffling damals selber überführt hat. Doch der Mann hat Täterwissen und schildert ein glaubwürdiges Szenario, obwohl er einige Details offensichtlich verschweigt und verfälscht. An Meuffels nagen die Gewissensbisse, vielleicht einen Unschuldigen hinter Gittern und dadurch in den Suizid getrieben zu haben. Er rollt den Fall neu auf.

In diesem Fall geht es nicht so sehr um juristische Schuld. Es geht um psychologische, ethische Schuld. Und es ist der Figur von Meuffels (und primär natürlich den Autoren Alex Buresch und Matthias Pacht und den Redakteuren, die sie ließen) zu verdanken, dass daraus kein pathetisches Alle-machen-mal-Fehler-Gedöns wird. Meuffels interessiert es nicht, wenn ihn Kollegen schon von vornherein exkulpieren. Damit, dass bei 3900 Spuren etwas durchrutschen kann, dass die Indizien damals tatsächlich auf Haffling gedeutet hatten und dem Szenario der Ermittlungsbehörden durch alle gerichtlichen Instanzen hindurch geglaubt wurde. Meuffels interessiert seine höchstpersönliche Schuld, der er sich mit schonungsloser Offenheit, mit geradezu brutaler Ehrlichkeit stellen will. Mit Matthias Brandts feinsinnig-fragilem Spiel ergibt sich daraus eine großartige Tour de Force.

Der Münchner «Polizeiruf» ist ein sehr leises Format, von Meuffels eine eher ruhig-bedachte Figur. Wenn er einmal tobt, wird es wirklich ernst. Und auch der Duktus der Inszenierung lässt stets klar den Focus auf dem Beobachtenden. Das hat nicht immer funktioniert, denn oft läuft man mit einer solch dezidiert leisen Erzählweise, die sich oft auf Andeutungen konzentrieren muss, Gefahr, zu suggestiv zu erzählen, vielleicht zu behäbig, manchmal auch zu nichtssagend. Zu einem Stoff wie diesem passt dieser beobachtende, zurückhaltende Duktus hingegen ganz hervorragend.

Denn „Und vergib uns unsere Schuld“ ist weniger ein Krimi als ein stimmiges, vielschichtiges Psychogramm, das zwar genregemäß nach und nach den wahren Tathergang offen legt, aber darauf nicht so sehr das Augenmerk lenkt. Gleichzeitig – auch das gefällt außerordentlich – verwehrt man sich, aus dieser Geschichte ein didaktisches Lehrstück über Justizirrtümer zu machen. Meuffels wird weder exkulpiert noch verurteilt, sondern muss mit seiner Schuld zurechtkommen. Der hier gezeigte Fall will nicht exemplarisch sein, er will nicht krampfhaft für irgendetwas Größeres stehen, er will nicht belehren, sondern nur erzählt werden. Und dabei schaut man gebannt zu.

Das Erste zeigt «Polizeiruf 110 – Und vergib uns unsere Schuld» am Sonntag, den 17. Januar um 20.15 Uhr.
16.01.2016 12:30 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/83197