Die 88. Oscar-Nominierungen: Zahlen, Überraschungen und Vielfalt

Unsere Analyse der Nominierungen zu den Academy Awards 2016: Welche Bestwerte wurden gebrochen, und wie kann der Oscar optimiert werden?

Fünf positive Überraschungen

  1. «Ex Machina» ist für die besten Effekte nominiert. Wie die Filmemacher Alicia Vikander in einen Droiden verwandelt haben, ist erstaunlich – erfolgte aber viel kostengünstiger, als beim Oscar gewohnt.
  2. «Mad Max: Fury Road» hat zehn Nominierungen ergattert – allem Actionfilm-Bias zum Trotz.
  3. Tom Hardy ist für seine tolle Leistung in «The Revenant – Der Rückkehrer» nominiert, obwohl ihm Experten keine Chancen eingeräumt haben.
  4. Die beiden Animationssparten sind sehr stark besetzt und decken alle großen Trickfilmmedien ab.
  5. Die Academy ließ sich nicht von der durchwachsenen US-Rezeption ihres Films «Joy – Alles außer gewöhnlich» trügen und nominiert Jennifer Lawrence verdient als beste Hauptdarstellerin.
John Williams erhielt für «Star Wars: Das Erwachen der Macht» seine 50. Oscar-Nominierung. Wenn er noch neun weitere Academy-Award-Nennungen erhält, zieht der Komponist mit Walt Disney in der Liste der am häufigsten nominierten Personen gleich.

Cate Blanchett und Kate Winslet verwandeln sich in echte Oscar-Zwillinge: Beide Schauspielerinnen wurden insgesamt sieben Mal nominiert – jeweils drei Mal als beste Nebendarstellerin und jeweils vier Mal als beste Hauptdarstellerin.

«Star Wars: Das Erwachen der Macht» ist (seit der Farbfilm eingeführt wurde) die erste Nummer eins der ewigen US-Hitliste der einträglichsten Kinoproduktionen, die keine Oscar-Nominierung für den besten Film erhalten hat.

«Ex Machina» ist mit einem Budget von gerade einmal 15 Millionen Dollar der kostengünstigste Film, der seit den 55. Academy Awards für den Effekt-Oscar nominiert wurde. Damals wurden die 10-Millionen-Dollar-Produktionen «E.T. – Der Außerirdische» und «Poltergeist» für den Goldjungen vorgeschlagen.

Keine andere Person stürmte in einem jüngeren Alter zu vier Oscar-Nominierungen in den Schauspielkategorien als Jennifer Lawrence: Der Superstar erhielt seine vierte Nennung im Alter von nur 25 Jahren. Bisherige Rekordhalterin war Jennifer Jones, die 27 Jahre alt war, als sie 1947 ihre vierte (und letzte) Nominierung erhalten hat.

Drei negative Überraschungen

  1. Weder «Straight Outta Compton» noch «Alles steht Kopf» wurden in der Hauptkategorie nominiert.
  2. Die "Bester Song"-Kategorie ist vollkommen belanglos besetzt.
  3. Sowohl Alicia Vikander für «The Danish Girl» als auch Rooney Mara für «Carol» müssten eigentlich als Hauptdarstellerinnen antreten, wurden aber ungerechtfertigt als Nebendarstellerinnen eingestuft.
Im „Beste Regie“-Feld wurde einzig und allein Alejandro G. Iñárritu zuvor für die dort ausstehende Trophäe vorgeschlagen. George Miller hat bereits einen Oscar und zwei weitere Academy Awards, dies aber in anderen Kategorien, die anderen drei Regisseure sind erstmals im Oscar-Wettrennen.

«Theeb» ist erst der zweite Film, den Jordanien für den Oscar einreicht – und der erste Film aus diesem Land, der eine Nominierung erhält.

«Mustang» beendet eine sechsjährige Dürreperiode, in der Frankreich nicht für den besten fremdsprachigen Film nominiert wurde – eine so lange Wartezeit musste unser Nachbarsland noch nie durchstehen.

«Carol» ist mit sechs Nominierungen der Film mit den meisten Oscar-Chancen, ohne in der Hauptkategorie erwähnt zu werden, seit «The Dark Knight» zwar acht Mal vorgeschlagen wurde, nicht aber für den besten Film.

Auf der nächsten Seite: Unser Kommentar bezüglich der Hauptkategorie und dem Thema der Vielfalt ...

Wie ein Schritt zurück die Oscars weiter nach vorne bringen könnte
In einer Hinsicht hatten die 82. und 83. Academy Awards den diesjährigen Oscars vieles voraus: Das Feld in der Sparte „Bester Film“ umfasste exakt zehn Nominierungen und hatte genügend Raum für große Mainstream-Blockbuster («Avatar – Aufbruch nach Pandora»), Dramen, die jüngere schwarze Geschichte behandelten («Precious – Das Leben ist kostbar»), Animationsfilme («Oben» und «Toy Story 3») sowie frauenzentrische Dramen («The Kids Are All Right», «Winter’s Bone» und «An Education»). Letztere Sparte ist dieses Jahr zwar ebenfalls vertreten (mit «Brooklyn» und «Raum»), allerdings ist sie insgesamt seit einschließlich den 84. Oscars unterrepräsentiert. Dieses Jahr fragt sich sowohl aufgrund des handwerklich makellosen Riesenerfolgs «Star Wars: Das Erwachen der Macht», des laut gefeierten Animationsmeisterwerks «Alles steht Kopf» und des Musik- und Rassendramas «Straight Outta Compton» (Foto rechts): Wieso hat es damals für ähnliche Filme zur Nominierung gereicht, heute aber nicht?

Selbstredend hätten es so oder so nicht alle drei genannten Produktionen in das auf maximal zehn Nennungen beschränkte Feld geschafft (es sei denn, ein tatsächlich nominierter Film wäre für eine von ihnen rausgefallen). Aber für mindestens zwei von ihnen wäre ja theoretisch noch Platz gewesen. Was seit den 84. Oscars aber anders läuft als in den zwei Jahren zuvor, sind zwei Aspekte des Nominierungsprozesses: Bei den 82. und 83. Academy Awards war das Feld in der Hauptkategorie auf zehn gesetzt, statt optional von fünf bis zehn zu reichen. Außerdem wurden Academy-Mitglieder in besagten Jahren gebeten, zehn Filme zu nominieren. Einige Mitglieder beschwerten sich aber, dass dies zu aufwändig sei, sie zwingen würde, auch Filme zu nennen, für die sie nicht so sehr Feuer und Flamme sind wie für ihre Top Five, und so weiter …

Die Academy-Leitung gab nach und seither werden von den stimmberechtigten Mitgliedern nur noch fünf Filme abgefragt. Die Folge dessen liegt, man blicke nur auf das „Bester Film“-Feld der vergangenen Jahre, auf der Hand: Auch wenn Produktionen wie «Mad Max: Fury Road» den Sprung ins ganz heiße Oscar-Rennen schaffen, mangelt es an der Vielfalt der zwei Jahre mit jeweils zehn Nominierungen. Filme, die der durchschnittliche Academy-Voter (männlich, weiß, über 60 Jahre alt) vielleicht sehr respektiert, aber nicht innig liebt, haben es schwerer, in deren Fünf-Filme-Listen zu rutschen. Also: Adieu, schmissiger, jung besetzter «Star Wars: Das Erwachen der Macht». Bye-bye, «Straight Outta Compton».

Um den Nominierungen einen neuen Drive zu verleihen, wurde Mitte 2015 die Academy um 322 neue, junge, ethnisch vielfältige Mitglieder erweitert, die das Blickfeld der Oscars erweitern sollten (in den Vorjahren wurden stets weniger als jeweils 280 Mitglieder begrüßt). Dieser erste Schritt war begrüßenswert und angesichts dessen, das viele von ihnen, darunter Edgar Wright, öffentlich die Oscar-Werbetrommel für «Mad Max: Fury Road» rührten, womöglich sogar in Teilen erfolgreich. Aber um sich völlig ausdrücken zu können, brauchen diese Mitglieder letztlich doch das größere Nominierungsfeld wie bei den 82. und 83. Academy Awards – und auch die Durchschnitts-Academy-Voter sind, wie bei diesen Oscars klar wurde, fähig, über ihren Tellerrand hinauszublicken. Jedenfalls wenn sie genügend Raum haben, mehr zu feiern, als ihre persönlichen Favoriten. Daher ist deutlich, dass die Academy zu den Regeln von vor wenigen Jahren zurückkehren sollte, um weitere Auslassungen wie sie dieses Mal vorgekommen sind, leichter zu vermeiden.

Und angesichts dessen, dass auch allmählich immer mehr gute Rollen für Schauspielende angeboten werden, die nicht wie der Durchschnittsvoter männlich und/oder weiß sind, bieten sich auch entsprechende Regeländerungen – also eine Erweiterung des Feldes über die üblichen Fünf hinaus – bei den Darstellerkategorien an. Academy-Präsidentin Cheryl Boone Isaacs zumindest erkennt, dass es ein Problem dahingehend gibt, wie die Oscars die größten Leistungen Hollywoods widerspiegeln: „Wir müssen vorankommen“, sagt sie gegenüber ‚Deadline Hollywood‘ im Hinblick auf mehr Vielfalt. „Natürlich bin ich enttäuscht, dennoch soll das nicht von der Klasse der nominierten Filme ablenken.“

Selbst wenn da wohl die bemühte Diplomatie einer Organisationsvorsitzenden aus Isaacs spricht, so hat sie Recht: Es wurden viele, starke Leistungen nominiert. Und daran sollte niemand rütteln. Zukünftig dürfen es nur gern noch mehr großartige Leistungen sein, die Anerkennung erhalten.
15.01.2016 11:11 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/83185