Die Kino-Kritiker: «The Danish Girl»

Oscar-Favorit: Tom Hooper erzählt in «The Danish Girl» die Geschichte eines Mannes, der gern eine Frau wäre. Zu einer Zeit, in der das nicht sein durfte.

Filmfacts: «The Danish Girl»

  • Kinostart: 7. Januar 2016
  • Genre: Drama
  • FSK: 12
  • Laufzeit: 119 Min.
  • Kamera: Danny Cohen
  • Musik: Alexandre Desplat
  • Buch: Lucinda Coxon
  • Regie: Tom Hooper
  • Darsteller: Eddie Redmayne, Alicia Vikander, Amber Heard, Matthias Schoenaerts, Adrian Schiller, Emerald Fennell, Henry Pettigrew, Ben Whishaw
  • OT: The Danish Girl (UK/DE/USA 2015)
Es ist ziemlich genau ein Jahr her, als Eddie Redmayne für ein Filmdrama in die Haut eines Menschen schlüpfte, dessen Lebensgeschichte sich als derart interessant und nachwirkend erwies, dass aus einem Buch über sie schließlich auch ein Film wurde. In «Die Entdeckung der Unendlichkeit» dokumentierte Regisseur James Marsh das Schicksal des Genies Stephen Hawking und den parallel dazu verlaufenden Leidensweg seiner Frau Jane. 365 Tage später sieht sich der Zuschauer mit «The Danish Girl» mit einer ähnlichen Konstellation konfrontiert. «Les Misérables»-Regisseur Tom Hooper portraitiert einen Mann, der im Kopenhagen des frühen 20. Jahrhunderts lieber eine Frau wäre. Zu einer Zeit, in welcher das Gefühl, im falschen Körper geboren worden zu sein, von der Gesellschaft noch als Krankheit missverstanden wurde, gestaltete sich der Weg der Selbstfindung für Einar (und später: Lili) Wegener als von fehlgeleiteten Ärzten und rückständischer (zu damaliger Zeit jedoch gesellschaftsfähiger) Ablehnung geprägter Spießroutenlauf, den Wegener mit seiner ganzen Kraft, Hoffnung und dem Mut zur Demaskierung bezahlen musste. Doch wie schon in «Die Entdeckung der Unendlichkeit» findet sich die wahre Geschichte gar nicht unbedingt in der Beobachtung der von Redmayne gespielten Hauptfigur wieder. Stattdessen geht es Hooper wie auch schon Marsh verstärkt um jene Person, die im Hintergrund wirkte: die Frau – oder in diesem Fall das titelgebende ‘danish girl‘.

Einar Wegener (Eddie Redmayne) und seine Frau Gerda (Alicia Vikander) arbeiten beide als Künstler. Er wird für seine Landschaftsmalerei geschätzt und verehrt. Gerda ist weniger bekannt, wird aber regelmäßig als Porträtistin prominenter Kopenhagener Persönlichkeiten beauftragt. Ihre Ehe ist liebevoll und hat trotz ihres unterschiedlichen Erfolges ein starkes Fundament. Doch eines Tages nimmt ihre Geschichte eine völlig andere Wendung, als Gerda dringend ein nicht vollendetes Porträt abliefern soll. Gerda bittet unter Zeitdruck ihren Mann, das Kleid des Models anzuziehen, um das Bild fertigstellen zu können. Gerda und Einar taufen das neue Model zunächst scherzhaft "Lili". Doch diese Erfahrung löst in Einar eine grundlegende Veränderung aus. Denn er spürt, dass "Lili" zu sein, ein Ausdruck seines wahren Selbst ist, womit sein Leben als Frau beginnt…

Natürlich ist es der nächstliegende Ansatz, schon beim Titel «The Danish Girl» (und nicht zuletzt auch beim Design des Hauptplakats, auf welchem das Antlitz von Eddie Redmayne alias Lili zu sehen ist) darauf zu schließen, dass es sich bei ebenjenem dänischen Mädchen um Einars weibliches Alter Ego handelt. Zugegeben: weit hergeholt ist das keineswegs und der erzählerische Fokus liegt definitiv auf dem inneren Kampf der (zunächst) männlichen Hauptfigur. Doch Tobe Hooper gibt sich damit nicht zufrieden. So ist es zwar nur eine Beobachtung im Detail, doch als Einars Ehefrau Gerda bei einem Termin ohne Umschweife als ‘danish girl‘ vorgestellt wird, offenbart sich, dass die im Kern nur nebensächlich erläuterte Geschichte um Gerdas Schicksal mindestens gleichbedeutend mit jener von Einar ist – wenn nicht gar noch tragischer. Alicia Vikander («Codename U.N.C.L.E.») legt in «The Danish Girl» eine äußerst nuanciert beobachtende Spielweise an den Tag. Ihr innerer Kampf zwischen aufopferungsvoller Unterstützung gegenüber ihrem Mann und dem Wunsch nach Selbstverwirklichung offenbart eine emotionale Spannbreite, der sich auch Eddie Redmayne trotz einer beeindruckenden Leistung nur schwer entgegenzusetzen weiß, der sich aufgrund seiner von Natur aus sehr femininen Züge als stimmige Besetzung erweist.

Trotzdem erwecken Gestikulation und Minenspiel beim Zuschauer zunächst den Eindruck einer eher grobmotorischen und weniger subtilen Performance. Doch das Skript spielt mit den unterschiedlichen Vorstellungen von weiblicher und männlicher Wahrnehmung. Wenn sich Einar Wegener in Frauenkleidern vor dem Spiegel betrachtet, käut sein Handeln lediglich Klischees wieder. Er beschränkt sich auf einen Gestus, der – in einem anderen Kontext – vermutlich als das affektierte Auftreten von Klischee-Homosexuellen verstanden werden könnte. Doch als Transsexueller, der sich mitten in einem Geschlechterwandel befindet, wirkt ein derartiges Verhalten lebensecht. Ohne jedwede Vergleiche zurate ziehen zu können, muss sich Einer Wegener zwangsläufig von jenem Frauenbild beeinflussen lassen, das die Gesellschaft für ihn bereithält. Eine aus Unwissenheit resultierende Grobmotorik also – und damit eine solche, die «The Danish Girl» zu einer ungeahnten Authentizität verhilft.

Solch kleiner Beobachtungen zum Trotz werden die Beweggründe, welche Einar zu seiner Entscheidung bewegen, allenfalls marginal umrissen. Der Zuschauer muss das Gezeigte akzeptieren, ohne auch nur einen Bruchteil der Ereignisse vollständig nachvollziehen zu können. Mithilfe einer zurate gezogenen Figur aus Einars Vergangenheit (von einer charmanten Kühle: Matthias Schoenaerts) versucht sich Drehbuchautorin Lucinda Coxon («Wild Target») zu helfen, indem sie im Dialog von Vergangenem berichtet. Das hilft zwar, das Geschehen einzuordnen, doch Einars Figur selbst kommt dem Zuschauer nie so nah, wie sie könnte.

Gleichwohl hat genau dieser Umstand aber auch seine positiven Seiten. Tom Hoopers Vita offenbart mit «The King’s Speech» und «Les Misérables» zwei Filme, die ihre Emotionalität ganz unterschiedlich verpacken. Ist die Leinwandadaption des französischen Musicals ein theatralischer Overload von Gefühlen, entfaltet sich die Geschichte rund um den stotternden König als sehr feine Studie zwischenmenschlicher Beziehungen. Trotz einer technisch eher melodramatischen Ausstattung, sehr warmen Bildern, weichgezeichneten Kontrasten, einem sehr süßlichen Score von Alexandre Desplat, trägt eine derartige Inszenierung nicht dazu bei, dass die auf den Zuschauer übertragenen Gefühle verfälscht werden. Die Story selbst besitzt durch und durch tragische Züge. Doch Tom Hooper verzichtet darauf, jene über zu betonen. Stattdessen findet sich in der Aufbereitung jene warme Atmosphäre wieder, von welcher auch die Malerei des Wegener-Ehepaares geprägt ist. «The Danish Girl» ist ein berührender Film, dessen Tragik Hooper über das wesentlich detailliertere Gesamtbild der Figur Gerda an den Zuschauer heranträgt. Während er für Einar nur grobe Züge findet, dringt der Regisseur mit der Zeit immer tiefer in die komplexe Gefühlswelt jener Frau ein, die ihre Belange nie über die ihres Mannes gestellt hat. So auch in «The Danish Girl»: Auf den ersten Blick überlässt Vikander Redmayne die Bühne, doch im Kern offenbart sich, dass das prägendere Schicksal von dieser Frau durchlebt wurde, die nicht nur ihre eigenen, sondern auch die Leiden ihres Mannes durchleben musste.

Fazit: «The Danish Girl» erzählt die Geschichte eines dänischen Mädchens, das miterleben musste, wie ihr Mann sich nach und nach von sich und seinem vorgeschobenen Ich lösen musste, um er selbst zu werden. Ein interessanter Film, der mehrere Sichtungen rechtfertigt.

«The Danish Girl» ist ab dem 7. Januar in den deutschen Kinos zu sehen.
05.01.2016 11:00 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/82965