'Wir können weder mit Facebook, noch mit dem Handy gesund umgehen'

«Männerherzen»-Regisseur Simon Verhoeven begibt sich mit seinem Genredebüt «Unfriend» erstmals auf Horrorfilmterrain. Ein Anlass für unsere Kinojournalistin Antje Wessels, ein wenig mit ihm fachzusimpeln.

Zur Person:

Am 20. Juni 1972 in München geboren, begann der seit 2011 nur noch als Regisseur tätige Simon Verhoeven seine Schauspielkarriere 1995 in Daisy von Scherler Mayers Komödie «Crazy Party Girl», eh er hierzulande vorzugsweise in Fernsehfilmen und -Serien zu sehen war. Der studierte Filmregisseur lieferte 2001 mit der Partysatire «100 Pro - Heute Nacht geht was» sein Debüt als Filmemacher; der große Durchbruch folgte 2009 mit «Männerherzen». Die episodenhaft erzählte Komödie zog eine Fortsetzung nach sich. «Unfriend» stellt sein Horrorfilmdebüt dar.
Simon, man kennt dich bisher ja als Schauspieler und Regisseur deutscher Produktionen und hast Dich mit «Unfriend» erstmals auf internationales Terrain begeben. Gleichzeitig ist es Deine erste Horrorfilmproduktion. Wie kam das?
Eine Überlegung oder eine Strategie steckte nicht dahinter. «Männerherzen 3» wollte ich nicht machen, was vermutlich das Naheliegendste gewesen wäre. Die Idee zu «Unfriend» kam, wie alle Ideen, an denen ich arbeite, relativ spontan zu mir. Ich saß abends zuhause und habe ein wenig auf Facebook herumgesurft und bin dabei auf das Profil eines Bekannten gestoßen, von dem ich wusste, dass dieser die vorherige Woche gestorben war. Das Profil war immer noch online und ist auch nach wie vor online, weil es nach wie vor von seinen Freunden gepflegt wird. Als ich auf dieses Profil schaute, dachte ich mir plötzlich, wie unfassbar es wäre, wenn ich jetzt eine Nachricht von dem bekäme. So simpel fing das für mich an, weil ich mir in dem Moment gedacht habe, dass das ein gutes Thema für einen Film ist. Das Thema kann jeder nachvollziehen, es ist aktuell und es macht mir totale Angst, darüber nachzudenken (lacht). Man kann das natürlich auch in die romantische Richtung ziehen, dann wird es irgendwie «PS: I Love You - Nachricht aus dem Totenreich» oder so. Es gibt ja auch solche Filme. Aber so habe ich einfach angefangen, darüber nachzudenken. Es war also nicht die Entscheidung, ich muss jetzt unbedingt etwas ganz Anderes machen, sondern es hat mich einfach fasziniert und dann habe ich mit ein paar Leuten darüber gesprochen und so ging’s dann los.

Dann war es also purer Zufall, dass parallel zu Eurem Projekt «Unknown User» in der Mache war?
Da habe ich auch schon von gehört, natürlich. Damals hieß der Film ja noch «Cybernatural». Und wir wussten während der Castingphase schon, dass es ein anderes Projekt mit ähnlicher Thematik gibt. Wir haben sehr früh davon gehört. Aber was hätten wir da großartig gegen machen sollen? Die waren natürlich durch ihre Produktion schneller. Es war auch so, dass unsere Schauspielerin Alycia Debnam-Carey bei denen im Casting war und die sie eigentlich wollten, lustigerweise. Insofern wussten wir also von der Produktion. Sobald ein Drehbuch bei einer Castingagentur im Umlauf ist, weiß auch der Rest von Hollywood, dass dieses Projekt existiert. Und damals hieß es noch «Cybernatural» und sollte vollständig vor der Webcam gefilmt stattfinden. Insofern habe ich mir ganz ehrlich gar keine Gedanken darum gemacht. Es kursierten alle möglichen Drehbücher plötzlich. Es ist ja generationsmäßig oft so, dass man sich eigentlich ausrechnen kann, dass, wenn man so eine Idee hat, einen solchen Horrorfilm zu machen, der mit dem Social Network zu tun hat, dass man nicht der einzige Mensch auf der Welt ist, der diese Idee momentan verfolgt. Das ist bei so einer Idee einfach so. Gerade von jungen Autoren kursieren auch Drehbücher in Hollywood, die alle nicht verfilmt worden sind. Das Thema war ein heißes Thema zu der Zeit, als wir auch angefangen haben, mit der Diskussion.

Ich weiß, dass unser Trailer gerade ziemlich gut ankommt, aber letztlich ist es dann gerade im Horrorbereich immer mehr die Frage: Gehen die Leute vom Sofa hoch und sagen, ich geh heute Abend ins Kino und schau mir einen Horrorfilm an, wenn sie ja auch ein paar Wochen später schon die DVD schauen könnten. Das ist gerade in dem Genre schwer zu sagen. Es ist schwer geworden, Leute zu mobilisieren, ins Kino zu gehen.
Simon Verhoeven über die Chance, mit 'Unfriend' einen Kassenschlager zu landen
Da wird ja vermutlich in den nächsten Jahren auch noch viel zu dem Thema kommen...
Es gehört halt jetzt dazu. Egal ob es Horror ist, oder ob es eine Komödie ist – das Leben mit Twitter, mit Facebook mit WhatsApp, mit mobilen Devices mit Social Networks ist halt einfach ein anderes geworden. Und natürlich werden diese Themen in allen Genres viel mehr aufgegriffen werden, aber ich finde, es bietet sich gerade im Horrorbereich ganz gut an. Es ist schon etwas, wo man den Verlust von Kontrolle über sein Profil, das Eindringen in die Privatsphäre, das Anschauen, einer anderen Person, ihre Bilder, Träume, die Stalkinggefahr, das sind viele Dinge, die sich einfach anbieten, wenn man über Facebook ein bisschen länger nachdenkt. Aber es war für uns natürlich nicht schön, als «Cybernatural» dann von Universal Pictures genommen wurde und schließlich auch noch umgetitelt wurde in «Unfriended». In Deutschland durften sie den Film so nicht nennen. Die ganze Geschichte war ein wenig confusing (lacht). Aber auf der anderen Seite muss man es natürlich auch respektieren, dass es ein solch anderes Projekt gibt. Denn die Idee, einen Film vollständig vor der Webcam spielen zu lassen, ist natürlich eine sehr gute und da habe ich dann auch enormen Respekt vor. Ich habe auch nicht das Gefühl, die haben jetzt genau das Gleiche gemacht. Aber die Thematik ist natürlich ähnlich und die sind schneller dran gewesen, klar.

Das war auch mein erster Gedanke. Ich habe das natürlich auch alles mitbekommen mit den Titeln, der Frage, wie welcher Film in welchem Land heißt und so weiter. Und dann kam ja noch hinzu, dass bei «Unfriend» ein deutscher Regisseur hinter steht. Da kann man – wenn man sich nicht so sehr mit der Marterie befasst – natürlich auf den ersten Blick auch auf die Idee kommen, dass man es da mit einem Remake zu tun haben könnte.
Ich denke, sobald man sich den Trailer anschaut, realisiert man aber, dass es eine völlig andere Bildsprache ist. Aber selbst wenn es so ist, wenn man ein wenig was über Produktion weiß, dann weiß man natürlich auch, wie lange solche Sachen dauern. Da wäre das schon sehr, sehr schnell gewesen, in so kurzer Zeit einen Film zu drehen, zu schneiden und ins Kino zu bringen. Wir waren ja schon lange ready. Das Problem war nur, wir konnten nicht vor ihnen ins Kino kommen. Und hätten wir den Film direkt nach «Unknown User» ins Kino gebracht, dann wäre das für uns noch viel schlimmer gewesen. Dann wäre die Verwechslungsgefahr noch größer gewesen.

Das Gute ist natürlich, dass «Unknown User» überraschenderweise so gut gelaufen ist. Vielleicht zieht Ihr mit Eurem Film da ja auch einen gewissen Nutzen raus, dass dadurch vielleicht ein neuer Trend eingeläutet wird.
Die Hoffnung kann man natürlich haben. Auf der anderen Seite kann man natürlich auch genau entgegengesetzt argumentieren, dass die Leute vielleicht erstmal genug davon haben. Ich weiß, dass unser Trailer gerade ziemlich gut ankommt, aber letztlich ist es dann gerade im Horrorbereich immer mehr die Frage: Gehen die Leute vom Sofa hoch und sagen, ich geh heute Abend ins Kino und schau mir einen Horrorfilm an, wenn sie ja auch ein paar Wochen später schon die DVD schauen könnten. Das ist gerade in dem Genre schwer zu sagen. Es ist schwer geworden, Leute zu mobilisieren, ins Kino zu gehen. Die Leute werden ihn sich schon anschauen, nur schauen die ja heutzutage vermehrt zuhause.

Das stimmt. Als der Trailer vor ein paar Tagen erschienen ist, habe ich mich auch in den sozialen Netzwerken ein wenig umgehört, wie der Trailer denn so ankommt, bei den Zuschauern. Und oft fiel der Vergleich mit «Ring». Das würde ich unterstützen und zwar nur im positiven Sinne, weil ich ein absoluter «Ring»-Fan bin…
«Ring» ist ein Meisterwerk! Das ist Gore Verbinski, das basiert auf einer Novelle und auf einem Film. Da steckte also sehr viel dahinter, sehr viel Substanz – allein die Original-Novelle ist großartig. Ich bin ein riesiger «Ring»-Fan, eigentlich wie jeder, der intelligenten und eleganten Horror liebt. Das ist für mich einfach ein Meisterwerk, wie sie nur ganz selten vorkommen. Deshalb ist für mich natürlich so ein Vergleich sehr schmeichelhaft. Aber ich würde ihn nicht wagen – niemals (lacht). Es ist natürlich besser, als mit irgendeinem Schrott verglichen zu werden. Aber ich kann mich noch erinnern, als ich «Ring» das erste Mal gesehen habe, war das wirklich so ein tiefer Eindruck für mich im Nachhinein. Auch das Ende hat mich regelrecht verstört. Und das kommt sehr selten vor.

Ich kam vor allem deshalb auf den Vergleich, weil ein Film wie RING heutzutage ja vor allem über die sozialen Medien funktionieren würde. Der erste Teil spielte sich ja genau in der Übergangsphase von VHS zu DVD ab und der Fluch war ja eben auf einer VHS-Kassette gebannt.

Und es war damals schon ein wenig veraltet.

Und da sind teilweise Profile drauf, wo du dir einfach denkst: Wer ist das? Warum postet jemand diese Sachen? Was hat das eine Bedeutung für den? Und so ist das auch in den Film mit eingeflossen, weil wir unserer Umwelt durch die Videos, die wir posten, durch die Hinweise, die wir geben, mittlerweile ein Persönlichkeitsbild vermitteln, sodass dann natürlich auch ein dunkles, ein böses Profil Hinweise geben kann, die man entschlüsseln muss.
Simon Verhoeven über seine Recherchearbei bei Tumblr
Genau. Und zum Anderen ist da natürlich diese visuelle Ebene, die Spielereien mit den Bildern und Elementen im Film, das spielt ja auch in diesen Vergleich mit rein.
Das bietet sich in so einem Film auch total an. Ich bin mir auch sicher, oder besser: ich befürchte auch ein wenig, dass das beim neuen «Ring» so gemacht wird. Ich weiß jetzt nicht genau, worum es da geht, aber auf der anderen Seite soll es ja ein Prequel sein, soweit ich weiß. Dann könnte es natürlich sein, dass wir Glück haben und dass das nicht so sehr im Vordergrund spielt. Aber eigentlich war das auch so mein Gedanke. Es ist ja auch so: Als ich begonnen habe, mich mit dem Thema zu beschäftigen, habe ich mir auch viele Tumblr-Profile angeschaut. Nicht nur Facebook, sondern ganz im Gegenteil: Tumblr. Und da sind teilweise Profile drauf, wo du dir einfach denkst: Wer ist das? Warum postet jemand diese Sachen? Was hat das eine Bedeutung für den? Und so ist das auch in den Film mit eingeflossen, weil wir unserer Umwelt durch die Videos, die wir posten, durch die Hinweise, die wir geben, mittlerweile ein Persönlichkeitsbild vermitteln, sodass dann natürlich auch ein dunkles, ein böses Profil Hinweise geben kann, die man entschlüsseln muss. Das war auf jeden Fall etwas, von dem ich ganz früh gesagt habe, das muss auf jeden Fall als Element da drin sein. Dass das dann auch in Verbindung gebracht wird mit «Ring» oder man es vom System her mit «Ring» in Verbindung bringen kann, ist mir dann auch im Nachhinein aufgefallen, als ich mir später nochmal «Ring» angeschaut habe. Vermutlich würde man den Film, würde man ihn heutzutage noch einmal drehen, auch mittels eines Social Network Videos aufziehen.

Das Gute ist natürlich, dass der nächste «Ring»-Film tatsächlich ein Prequel sein soll, der sich mit der Vorgeschichte des Mädchens Samara befasst. Da besteht also wohlmöglich gar keine Gefahr, dass das aufgegriffen wird. Hattet Ihr denn anderweitig Inspiration für Euren Film?
Ich schaue mir sowieso grundsätzlich sehr viel an. Ich hatte da nicht das Gefühl, dass man nochmal speziell recherchieren muss. Ich habe mir sowieso die Filme, die sich andere auch im Kino anschauen, angeguckt und muss auch sagen, dass es tatsächlich auch recht unterschiedlich ist, was momentan im Genre so erscheint. Da gibt es Oldschool-Schocker wie «Conjuring» oder «Insidious». Dann gibt es natürlich noch die «Paranormal»-Filme, die immer noch sehr modern sind. Ich habe das Gefühl, es gibt mittlerweile eine solche Bandbreite, sodass man gar nicht wirklich sagen kann, was zeitgeistig ist. Auch klassischer Oldfashion-Style kann heutzutage total zeitgeistig sein, weil die jungen Leute dann vielleicht denken, sie haben mal wieder Bock, einen Film zu sehen, der nicht mit ‘ner Webcam gefilmt ist, übertrieben ausgedrückt. Mittlerweile sind so viele Strömungen vorhanden, dass es gar keinen großen Sinn macht, sich zu überlegen, was jetzt gerade angesagt ist, glaube ich. Ich glaube, das Horrorpublikum ist sehr offen in dem, was es anschaut.

Gerade das Horrorgenre ist ja eigentlich seit Jahrzehnten immer von einem Trend geprägt. Aber momentan ist gar kein Trend vorherrschend. Wir hatten zuletzt diese sehr brutale Slasher-Welle mit «Saw», «Hostel» usw. Aber seither gibt es ja gar keinen richtigen Trend.
Ja, schau Dir doch mal die Remakes an. «Poltergeist» ist auch sehr oldfashioned oder «Evil Dead» – eine Geschichte über Leute in einer Hütte im Wald, die von Dämonen besessen sind. Oldschooliger geht’s überhaupt nicht. Aber es gibt natürlich auch Filme wie «Blair Witch Project» oder «Unknown User», das sind dann aber nicht die einzigen, bei denen die Horrorfans sagen: Das schaue ich mir jetzt an. Zumindest bei mir war es so, dass mir Found-Footage irgendwann total auf die Nerven ging. Bei dem ganzen Kameragewackel und hier und da sind natürlich auch brillante Filme dabei, keine Frage. Aber eben nicht alle. Irgendwann wird es dann auch ermüdend. Und natürlich lag es für «Unfriend» auch nah, dass man das als Technik durchaus benutzt. Dass man die Ereignisse mit dem Handy oder einer Webcam filmt. Und das finde ich auch eine absolut schlüssige und stimmige Idee, aber bei mir war das Nachdenken über den Film in einer Zeit, in der ich es schade fand, dass so viele Filme so erzählt werden. Es war eine Art Overkill für mich.

Man muss einfach schauen, ob die Found-Footage-Inszenierung in den Kontext passt. Aktuell ist ja der neueste und vermutlich letzte «Paranormal Activity»-Film im Kino, der in 3D gefilmt wurde, was vollkommen mit der Found-Footage-Idee kollidiert...
Absolut! Aber gleichzeitig kann man auch sagen: «The Visit» zum Beispiel, der letzte Film dieser Sparte, den ich gesehen habe, der hat mir sehr gut gefallen. Das ist ja auch Found-Footage, da hätte man auch sagen können, dass es durchaus an den Haaren herbeigezogen ist, dass die Kinder das immer filmen müssen.

Bei «The Visit» machte es in dem Zusammenhang ja total Sinn. Erstrecht, weil der Regisseur in dem Film auch ziemlich gekonnt mit unfairen Kritikern abrechnet. Und dazu brauchte es eben die beiden Figuren – den kleinen Jungen und das kleine Mädchen – die beide den Filmemacher repräsentieren in ihren unterschiedlichen Denkweisen. Und da kann Found Footage durchaus hilfreich sein.
Shyamalan wurde von den Journalisten ja auch wirklich fix und fertig gemacht. Bei ihm war es ja fast schon ein Sport, zu schauen, wer ihn noch mehr beleidigen und fertig machen kann. Mein Hauptproblem bei Kritikern ist einfach, wenn da Häme mitspielt. Wenn der Kritiker wirklich ganz sachlich sagt, was warum an einem Film eventuell nicht funktioniert hat, dann ist das aushaltbar für den Regisseur. Und da sagt ein Regisseur vielleicht dann auch mal, dass der Kritiker hier und da durchaus Recht gehabt hat. Nur manchmal ist das eben leichter gesagt als getan. Aber wenn dann so eine Häme in die Kritik reinkommt, wo man als Leser merkt, der Schreiber will sich persönlich an einem abreagieren und erfreut sich auch richtig daran, dass er dich fertig machen kann, dann sagt das für mich mehr über den Kritiker aus als über den Film. Und ich versteh das dann auch nicht. Die Verweise von Shyamalan an die Kritiker sind mir beim Schauen auch aufgefallen und ich bin mir sicher, du hast Recht, dass das für ihn durchaus auch ein Anliegen war. Denn keinem wurde in den letzten zehn Jahren so übel und zu Unrecht übel mitgespielt. Natürlich ist ihm nach seinen ersten Erfolgen nicht alles gelungen. Aber das ist absolut kein Grund, den Typen so fertig zu machen.

Man darf einfach nicht alles am größten Erfolg messen. Jeder Filmemacher hat nun mal einen größten Erfolg, an dem er gemessen wird. Aber eigentlich wollten wir ja über «Unfriend» reden und nicht so viel über «The Visit»…
«The Visit» ist aber ein gutes Beispiel für diese Thematik. Es ist eine gelungene Mischung aus einer modernen Stilistik und einem eigentlich recht altmodischen, fast schon märchenhaften Thema. Man geht in das Haus der bösen Großeltern – das hat fast etwas „Hänsel und Gretel“-mäßiges.

Nun haben wir darüber gesprochen, weshalb du nicht in Found Footage gedreht hast…
Ich bin natürlich auch ein Kind der Siebzigerjahre, das darf man auch nicht vergessen. Ich bin jemand, der bei den Sachen, die ich toll fand, an Filme mit großen Bildern denkt. Im Horrorgenre denke ich da zum Beispiel an «Das Omen». Da ist man natürlich auch immer von geprägt.

Du hast ja schon über deine Recherchen gesprochen. Darüber, dass Du bei Facebook und gerade auch bei Tumblr rumgeklickt hast. Was glaubst Du denn, wie nah dieser Film abgesehen von den teilweise surrealistischen Elementen an der Realität ist? «Unknown User» hatte ja auch eine interessante Message, was das Thema Mobbing angeht. Was glaubst Du: Wenn ein Teenie ins Kino geht und «Unfriend» anschaut, wird er was daraus mitnehmen?
Ich denke, er wird mitnehmen, was man mitnehmen kann. Ich glaube auch gar nicht, dass «Unknown User» eine Message haben wollte. Aber man kann auf jeden Fall ein da herauslesen. Bei uns könnte man eher sagen, dass es um diese Vielzahl von Freunden geht. Es geht nicht so sehr um Mobbing. Natürlich ist es wahr, dass Facebook Stalker anzieht, dass man Menschen anzieht, die sich in ein Profil hineinsteigern können. Dass die plötzlich denken, es sei eine echte Freundschaft, eine tiefe Freundschaft, obwohl da eigentlich gar nichts ist, außer eines Klicks. Das ist eine Gefahr auf Facebook, dass man sich wirklich in einen anderen Menschen hineinsteigern kann. Das hatte man natürlich früher nicht so. (lacht) Es ist auch eine kulturelle Veränderung des Wortes „Freund“. Das fanden wir sehr kurios, dass man heutzutage davon spricht, dass man 700 Freunde hat, oder keine Ahnung, wie viele Facebook-Freunde die Kids von heute so im Durchschnitt haben. Und das ist auch fast schon eine Art Sammelsucht bei manchen Menschen vorhanden. Dadurch wird der Begriff Freund auch entwertet. Man muss differenzieren zwischen richtigen Freunden und Facebook-Freunden. Aber wenn man diese Differenzierung eben nicht macht, wenn das jemand auf der anderen Seite ernst nimmt, dann wird es gefährlich. Stell Dir vor, du befreundest Dich mit jemandem bei Facebook und für Dich ist das halt ein Facebook-Friend. Und diejenige oder derjenige sieht das aber anders und dem bedeutet das wirklich viel. Da können natürlich auch ungemeine Enttäuschungen und böse Dinge entstehen.

Das erinnert mich an einen Satz aus einer Romantic Comedy, in der es heißt: Wenn man heutzutage eine Abfuhr bekommt, dann bekommt man die nicht – wie früher – nur im Real Life, sondern man wird auch noch bei Facebook entfreundet, bei Twitter entfolgt, ne SMS bekommt man am besten auch noch. Das ist ja durchaus vergleichbar.
Wenn Du jemandem 'ne Abfuhr im Real Life gibst, weil Du merkst, Du hast nicht das Interesse an ihm, kann derjenige trotzdem, wenn Ihr Facebook-Freunde bleibt, sich anhand deines Profils aufladen. Er nimmt an deinem Leben teil, sieht vielleicht auch mal, wenn Du Dich mit einem anderen Mann fotografierst oder so und die Potenziale, die sich da entladen können, sind natürlich unglaublich groß und dunkel. Damit spielt der Film ja auch. Der Film spielt mit diesem Begriff des „Unfrienden“.

Das gab es ja früher auch nicht. Man hat sich ja nicht entfreundet. Man hat irgendwann einfach nicht mehr miteinander gesprochen.
Genau. Aber heute muss man offiziell auf einen Knopf drücken, wenn man das will. Und das ist dann natürlich auch schon ein ganz schöner Akt. Und es kann immer sein, dass es für den anderen eine sehr schlechte, sehr schmerzhafte Bedeutung hat, die sich dann wiederum gegen dich wenden kann.

Wie handhabst Du das selbst als Person, die in der Öffentlichkeit steht? Bist Du tatsächlich auch irgendwie bei Facebook und nutzt das abseits der Öffentlichkeitsarbeit, die man damit betreibt? Oder hat sich das durch den Film vielleicht sogar geändert?
Ich hab mich da beruflich sehr zurückgenommen. Beruflich habe ich kein Facebook-Profil. Ich hatte mal eine Fanpage, die ich dann aber auch habe herunternehmen lassen. Ich muss es jetzt vielleicht irgendwann mal machen. Aber ich selbst bin nicht der obsessive Facebooker. Ich poste selbst wenig. Ich lass mich davon anregen. Ich klicke gerne darauf, was andere Leute posten. Aber ich bin da selbst sehr zurückhaltend. Ich finde Vorsicht ist bei Facebook sehr wichtig. Wenn man empfänglich ist für okkulte Dinge oder abergläubisch ist, dann finde ich es umso förderlicher, dass man auch bei Facebook eine gewisse Skepsis hat. Man stellt seine Fotos online: Wenn eine Hexe dich früher hätte verfluchen wollen, dann hätte sie damals vielleicht deine Haarlocke genommen. Aber heute reicht da vielleicht ne Facebook-Connection. Vielleicht könnte sie heute durch dein Foto direkt in deine Seele gucken, mithilfe deines Profils. Für mich ist das System des World Wide Webs nicht technisch, sondern organisch. Das sind Gedanken, das sind Ströme von Impulsen, das ist Energie von Millionen von Menschen, Milliarden von Menschen, deren Träume da drinstecken. Und ich finde, gerade wenn man an Okkultismus interessiert ist, dann darf man nicht sagen, dass das ja alles nur rein technisch, rein materialistisch ist. Es ist ein Kreislauf und ein energetisches System, das sehr wohl auch Okkultismus in sich bergen kann. Rein faktisch ist das natürlich Quatsch, was ich da sage. Aber gefühlt - als Horrorfan - stehe ich diesem des Webs hier so gegenüber, wie einem großen dunklen Wald.

Die Kommunikation hat sich über die sozialen Medien ja auch grundlegend verändert…
Eigentlich sind wir überhaupt nicht ready, diese Technologien gesund zu benutzen. Wir können nicht mit Facebook gesund umgehen und wir können auch nicht mit dem Handy gesund umgehen. Wir müssen immer wieder schauen, was hat sich getan in den Netzwerken. Es ist einfach immer noch etwas so Reizvolles und Neues, dass wir alle noch in einem Zustand sind wie ein Kind, das nicht genug vom Zucker kriegen kann. Und so gehen wir auch damit um. Es hat sich noch nicht so richtig eingependelt, wie wir gesund mit all den Gefahren umgehen. Wir werden einfach überrollt.

"Unfriend“ ist ein feiner Horrorfilm, der ein Thema beleuchtet, das uns alle angeht. Die unendlichen Weiten des Internets könnten gruseliger nicht sein – vermutlich hätte sich das gruselige Brunnenmädchen Samara heute genau so ihren Weg in unser Leben gebahnt. Absolut sehenswert!
Unser Fazit zu 'Unfriend'
Eben, denn wäre es normal, dann würden wir ja eben nicht alle fünf Minuten auf unser Handy gucken und nachsehen, ob sich etwas getan hat. Denn wenn man mal ehrlich darüber nachdenkt, sind das ja schon fast krankhafte Züge, die man da an den Tag legt.
Aber wir sind alle krank, das ist das Tröstliche daran (lacht), Aber vielleicht hat sich das in zwanzig Jahren schon wieder entspannt, wenn Kinder da so natürlich mit aufwachsen, wie es mein Sohn gerade tut.

Dann nun nochmal zum Abschluss: Ich hab aus dem Gespräch herausgehört, dass Du selbst auch Horrorfan bist, sonst hättest Du ja die ganzen Sachen nicht gesehen…
Horrorfilme und Komödien waren immer auch schon als Kind das, was ich mir am liebsten angeschaut hab. Beide Genres sind auch ähnlich. Beides sind überhöhte Realitäten. Beide haben eben auch viel mit Timing zu tun: Wann delivert man eine Pointe oder einen Jump-Scare? Ich glaube, es gibt schon eine Menge Leute, die beide Genres gerne mögen.

Beide Genres ziehen am meisten auf das subjektive Empfinden des Zuschauers ab. Dramastoffe berühren ab einem gewissen Grad alle Leute. Aber worüber man lacht oder wovor man sich erschrickt, das ist ja sehr subjektiv. Daher kann ich das nachvollziehen. War denn deine erste Regiearbeit jetzt so, dass du schon absehen kannst, dass du da erstmal bleiben willst?
Nein, ich bereite jetzt gerade eine Komödie vor, die sich mit einem aktuellen Thema befasst. Dann habe ich tatsächlich auch ein anderes Horrordrehbuch in Entwicklung mit Amerikanern zusammen, ich habe einen Coming-of-Age-Film – man weiß ja auch nie so wirklich, was man finanziert bekommt. Aber ich bin sicherlich jemand, der sich überhaupt nie festlegen lassen würde. Schauen wir mal, wie es weitergeht!

Vielen Dank an Simon Verhoeven für dieses sehr sympathische Gespräch!
03.01.2016 10:00 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/82836