Alle Jahre wieder: Das «Traumschiff»-Phänomen

Seit fast 35 Jahren ist «Das Traumschiff» ein Quotengarant für das ZDF - Wir haben uns gefragt, warum die Serie sich seitdem zwar kaum verändert, aber trotzdem ihre Zugkraft behalten hat.

Quotencheck

  • «Das Traumschiff» bleibt trotz verschärftem Quotenkampf ein Fels in der Brandung für das ZDF.
  • Die letzten drei Episodenblöcke um Weihnachten & Neujahr erzielten verlässlich über 7 Mio. Zuschauer im Durchschnitt (Episode 68/69: 7,89 Mio, Episode 70/71: 7,68 Mio, Episode 72/73: 7,18 Mio).
  • Selbst über das Jahr verteilte Wiederholungen zur besten Sendezeit generieren weiterhin regelmäßig um die 5 Mio. Zuschauer.
Bereits seit 1981 legt «Das Traumschiff» eine schier unglaubliche Erfolgsgeschichte im deutschen Fernsehen hin – an Neujahr 2016 läuft bereits die 75. Episode.

Verlässlichkeit war und ist eine der großen Stärken der Reihe – so begrüßt die Zuschauer seit fast 25 Jahren die ikonische Titelmelodie von James Last und auch zum Einmarsch der Köche am Ende erklingt bis heute sein berühmter Dinnermarsch.

Doch auch unfreiwillige Veränderungen konnten dem Erfolg bisher keinen Schaden zufügen: So ist mit der MS Amadea schon das fünfte Schiff Handlungsmittelpunkt der Serie und in Sascha Hehn alias Viktor Burger hat man bereits den vierten Kapitän an Bord.

Worin liegt er also, der Reiz? Was machen die Traumschiff-Macher seit 35 Jahre derart richtig, dass das Format sich so wenig verbiegen muss, um auf Kurs zu bleiben?

Faktor 1: Das Fernweh
In unserem Interview mit Nick Wilder beschrieb der sympathische Darsteller des Dr. Sander es wie folgt: Man sitzt gemeinsam vor dem Fernseher und sagt „Mensch Hilde, genau da waren wir auch schon“ oder „Da möchte ich auch unbedingt mal hin“.

«Das Traumschiff» zeigt uns zwar regelmäßig die schönsten Orte dieser Welt, ist dabei aber kein stupides Tourismusvideo, sondern verbindet eine berührende Geschichte mit einer Sehnsucht, die uns alle betrifft: dem Fernweh. Gerade im Winter, wenn die Tage kürzer werden, die Temperaturen sinken und Grau in Grau den deutschen Alltag dominiert, erleben nicht nur die Reiseveranstalter ihre höchsten Zuläufe, dann schaut auch das Fernsehpublikum gerne zu, wie andere Menschen sich unter Palmen und in kristallklarem Wasser vergnügen. Sonne, Strände, gute Laune. Dazu exotisches Essen und ein tropischer Cocktail. Das Format spielt mit den Defiziten unseres Alltags und serviert sie uns als mundgerechte Wohlfühldosis zum Träumen. Beide Versatzstücke alleine würden vermutlich noch kein dauerhaft erfolgreiches Format generieren – in der Kombination sind sie jedoch ein potenter Erfolgsgarant.

Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert übrigens auch das berüchtigte «Dschungelcamp» bei RTL. Auch dort paart man schwüle Temperaturen, sattgrünen Urwald und den Reiz des völlig anderen mit einem unterhaltenden Faktor: Dem Voyeurismus.

Faktor 2: Ein bisschen heile Welt
Ich bewege mich mit diesem Vergleich natürlich auf dünnem Eis – dem einen oder anderen Traumschiff-Freund schrillen vermutlich bei solchen Worten direkt sämtliche Alarmglocken. Doch gibt es selbstverständlich einen elementaren Unterschied zwischen der RTL-Promisause und dem ZDF-Flaggschiff. Während im Dschungel an die niedersten Instinkte wie Schadenfreude oder Ekel appelliert wird, verwöhnt man uns auf dem Ozeanriesen durchweg mit positiven menschlichen Regungen: Mitgefühl, Verständnis, Freude und Liebe.

Wenn Nick Wilder alias Dr. Sander über seine Ansichten zu einem gesunden Miteinander in Partnerschaft oder Freundschaft spricht, redet er von gegenseitigem Respekt, sich Freiraum zu geben, Zuzuhören, gemeinsame Rituale und Erlebnisse zu pflegen, Probleme zu besprechen und zu klären. Dinge, die in unserem Land, das immer noch eine Scheidungsquote von 1/3 vorzuweisen hat, leider lange nicht selbstverständlich sind.

Die Vision, dass typische zwischenmenschliche Konflikte zwar auch auf dem Traumschiff existieren, aber am Ende immer lösbar sind, stellt einen elementaren Faktor für den Erfolg der Reihe dar.

Erfinder Wolfgang Rademann suchte und fand seit jeher Geschichten, in denen sich das eigene Leben widerspiegelt. Mit einem wunderbaren Bauchgefühl hat er diese, seine Welt erschaffen und bettete alltäglichen Geschichten in eine wunderschöne Kulisse ein - Situationen, in denen man seinen Problemen nicht entkommen kann, sie am Ende aber dennoch lösbar erscheinen. Man kann es dabei durchaus als oberlehrerhaft empfinden, wenn das Ergebnis der Geschichten am Ende vom Kapitän nochmal moralisch einwandfrei kommentiert wird, dennoch kann man darauf auch immer seine eigenen Probleme projizieren. Eine Art Kurz-Therapie: Eintauchen, sich selber reflektieren und mit einem guten Gefühl entlassen werden. Und das Ganze in nur rund neunzig Minuten.

Dabei decken die Autoren gerne das gesamte Spektrum ab. Auch einschneidende negative Entwicklungen wie Scheidungen, Krankheiten, Verluste, Trennungen oder Familienkrisen werden umgesetzt und finden ihre gefällige Auflösung. Die Serie spendet an solchen Stellen einen Funken Hoffnung in tristen Zeiten.

Dass man als Zuschauer dabei regelmäßig die Gelegenheit erhält, schlauer als das Drehbuch zu sein und inhaltliche Entwicklungen schon früh zu antizipieren, ist dabei keine pure Nachlässigkeit der Autoren, sondern durchaus Kalkül und ein weiterer Mosaikstein dieser Wohlfühlmixtur. Hier wird nicht überfordert, hier darf geschwelgt werden. Hier erspart man uns Schockeffekte und unvorhersehbare Wendungen zugunsten einer angenehmen Berieselung, die uns an die Hand nimmt, um mit uns ihre Erkenntnisse zu teilen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite etwas über die Gaststars, Traumschiff 3.0 und die Frage, ob man das Ganze vielleicht auch ein wenig kritischer sehen kann.

Faktor 3: Die kenn ich doch!
Doch wäre aller Inhalt nichts ohne diejenigen, die ihn uns präsentieren. Dabei verlässt man sich auch bei der deutschen Variante seit jeher auf das gleiche Prinzip, welches das US-Pendant «The Love Boat» zwischen 1977 und 1986 in fast 250 Episoden ebenfalls so erfolgreich getragen hatte.

Jahr für Jahr gibt sich das Who-is-Who der deutschen Fernsehunterhaltung ein Stelldichein. Ob Gaby Dohm, Evelyn Hamann, Heinz Hoenig oder Elmar Wepper. Grit Boettcher, Klausjürgen Wussow, Günther Pfitzmann oder Thomas Gottschalk. Sie alle brachten und bringen Abwechslung und Wiedererkennungswert in die Serie.

Dass einige Darsteller über die Jahre bereits in verschiedene Rollen schlüpfen durften, artet dabei nicht in Langeweile aus, sondern unterstreicht ebenfalls die Verlässlichkeit des Formats. Selbst TV-Gestalten ohne große schauspielerische Vorbildung finden ihren Weg in die Serie. So durfte man bereits Moderatorin Inka Bause sechs Episoden lang als Fitnesstrainerin bewundern und Harald Schmidt gibt sich dieses Jahr bereits zum siebten Mal als Kreuzfahrtdirektor Oskar Schifferle an Bord die Ehre (auch er hatte vorher bereits zweimal einen anderen Charakter gespielt).

Dabei spielt es noch nicht einmal eine Rolle, dass weder Bause noch Schmidt besonderes Schauspieltalent zu Tage fördern, sondern eher eine Version ihrer selbst zum Besten geben. Es reicht, dass man sie erkennt und sich an ihrer Mitwirkung erfreuen kann.

Ausblick: Traumschiff 3.0
Neben all den bekannten Faktoren bahnen sich aber auch immer wieder Neuerungen ihren Weg in die Serie. So wurde für die aktuellen Folgen erstmals komplett digital gedreht. Durch den Einsatz von Drohnen ergeben sich vollkommen neue Kameraeinstellungen und filmische Herangehensweisen. Die Serie wird also unter Einsatz aktueller technischer Möglichkeiten dezent aber merklich dem visuellen Zeitgeist angepasst. Laut Nick Wilder entstanden dadurch gerade in Bezug auf die Episode auf den Cook Islands mit ihren einsamen Inseln und Lagunen sensationelle Aufnahmen, die man nicht verpassen sollte. Auch wurde die Erzählweise eine Spur modernisiert. Das Format bleibt sich treu, aber geht dennoch mit der Zeit. Ein Mix, der der Serie in 35 Jahren immer gute Dienste erwiesen hat.

Nach den Episoden am 26.12.2015 und 01.01.2016 sticht die Crew im Februar schon wieder in See. Dann geht es in den wunderschönen Inselstaat Palau im Pazifischen Ozean - Ein Paradies für Taucher und Fernsehzuschauer mit Palmen und Relikten aus dem zweiten Weltkrieg. Als zweites Reiseziel wurde Kuba ausgewählt.

Die andere Seite: Ein Haar für die Suppe
Ohne Frage kann man alle angeführten Argumente auch problemlos gegen die Serie verwenden. Ein Strick ist schließlich schnell gedreht. Die Drehbücher sind aufs simpelste reduziert, die Dialoge erfüllen kaum Minimalkriterien. Bei den Darstellern zählt der Name mehr als die Leistung und Veränderungen bewegen sich im kaum messbaren Bereich - und wenn, kommen sie oft Jahre zu spät. Eine lebendige Fototapete zum Wegdämmern, die sicherste Lebensversicherung für Herzpatienten. Oder noch etwas deutlicher: Eine Produktion kurz vor scheintot.

Doch warum sollte man so argumentieren? Um etwas, was eine große Anzahl Menschen in diesem Land seit 35 Jahren liebt zu diskreditieren? Lieber sollte man einer Produktion, die handwerklich und organisatorisch, optisch wie akustisch derart kohärent daherkommt, den Maßstab angedeihen lassen, den sie verdient.

«Das Traumschiff» will unterhalten, Schauwerte bieten und eine Brücke heraus aus dem Alltag bauen – in all diesen Disziplinen kann man ihr ohne unnötigen Zynismus keinen Vorwurf machen. Deshalb genug davon. Ehre wem Ehre gebührt – die Serie hat sich ihren Stellenwert verdient.

Fazit
«Das Traumschiff» folgt weiter ihrer erfolgreichen Formel – weil man es sich leisten kann. Doch ist es auch ein Zeichen von Stärke, kleine Veränderungen nicht erst dann anzustoßen, wenn der Abgrund bereits in Sichtweite ist.

Die Serie bietet eine etablierte, starke Marke, die dem Sender absolut verlässliche Zahlen liefert und nebenbei durch ihre Historie ein sympathisches Zugpferd in einer zunehmend schnelllebigen Welt ist. Dass man sich Neuerungen und Zeitgeist dennoch nicht verschließt und immer wieder nach Möglichkeiten sucht, dem Format neue Impulse zu geben, ohne die Identität aus den Augen zu verlieren, kann und sollte man der Produktion durchaus hoch anrechnen.

Solange Menschen träumen wollen und sich nach aufmunternden Antworten auf die nicht ganz so leichten Fragen des Lebens sehnen, darf «Das Traumschiff» gerne fester Bestandteil der Feiertagsunterhaltung bleiben.
25.12.2015 11:30 Uhr  •  Björn Sülter Kurz-URL: qmde.de/82778