Vergangene Woche heimste Todd Haynes Liebesdrama «Carol» fünf Golden-Globe-Nominierungen ein, womit der Film zu den größten Award-Favoriten der Saison gehört. Doch die Geschichte um die Liebe zweier ist nur auf dem Papier so sensibel wie es die Prämisse verspricht.
«Carol» lebt von zwei Protagonistinnen und obwohl der Filmtitel es anders andeutet, ist nicht die von Cate Blanchett verkörperte Upper-Class-Lady die Schlüsselfigur der Erzählung, sondern die zurückhaltende Therese. Es grenzt schier an ein Unding, dass das verantwortliche Studio bei der Oscar-Promotion in Haupt- und Nebendarstellerin unterteilt (immerhin bei den Golden Globes hat man Blanchett und Mara gemeinsam in einer Kategorie nominiert). Dass dieser Schritt von der Befürchtung herrührt, die Performances der beiden Damen könnten sich im Abstimmungsverfahren gegenseitig die Stimmen klauen, ist zwar per se ein nachvollziehbarer Gedanke, doch gerade für die um einiges stärker agierende Rooney Mara, die obendrein eine wesentlich komplexer geschriebene Figur verkörpert, ist dieses Prozedere ein Schlag ins Gesicht. Es ist nicht zu leugnen, dass der Charakter der Carol auf eine ausladendere Präsenz angelegt ist; wo sich Rooney Mara in subtiler Gestik übt und ein einziger Blick ihrerseits genügt, um von Verzweiflung in Verdruss und schließlich in schüchterne Hoffnung umzuschlagen, verlässt sich Cate Blanchett lieber auf ein Spiel, das sich einmal mehr nahe am Overacting befindet. Dabei ist es weniger der sehr affektierte Gestus der 46-jährigen Australierin, der jedweden Anklang von subtiler Emotion vermissen lässt. Es ist allen voran die ihrerseits stets aufgesetzt wirkende Art der Verständigung, die dem Zuschauer negativ auffällt. Dies bezieht sich beileibe nicht nur auf die Momente des Dialogs, sondern gerade auf jene, in der Kommunikation ohne Worte stattfindet.
In Szenen, in welchen sich Carol und Therese mit Blicken und Berührungen austauschen, lässt «Carol» sämtliches Knistern der sich zwischen den Zeilen abspielenden Romanze im Keim ersticken. Wenn Cate Blanchett innerhalb der ersten Szene ihre Hand auf die Schulter von Schauspielkollegin Mara legt, setzen die Macher diese feinfühlige Geste so aufdringlich in Szene, dass «Carol» ab diesem Moment keinen Raum für Interpretationen lässt. Todd Haynes nimmt das rührende Skript, um es von jedweder Feinfühligkeit freizusprechen und stattdessen so zu inszenieren, dass der Zuschauer die subtile Message des Filmes nicht ergründen muss, sondern aus jeder erdenklichen Perspektive vorgekaut bekommt. Es scheint Haynes zu genügen, dass sein Film nicht gespürt, sondern lediglich angesehen werden braucht, damit sich das Optimum seiner emotionalen Bandbreite in Gänze erfassen lässt. Denn genau diese ist nicht so breit gefächert, wie man es von einer komplexen Charakterstudie zu erwarten hat. Haynes‘ Charaktere offenbaren ein recht ansehnliches Spektrum möglichst niedergeschlagener Befindlichkeiten, doch abseits dessen fehlt ihnen ein zumindest ansatzweise spürbares Gegengewicht. Und schaut man auf die (männlichen) Nebenfiguren, bedient man sich gar an Stereotypen; der eine klammert, der andere setzt unter Druck – doch ein Fundament, das die Charaktere glaubhaft als solche etablieren würde, gibt es nicht.
Natürlich darf gerade in Bezug auf ein solch komplexes Thema die Frage gestellt werden, ob ein Film wie «Carol» überhaupt bestrebt ist, eine Geschichte zu erzählen, die von Aktionen und Reaktionen lebt. Todd Haynes geht es im Grunde nicht darum, eine Handlung zu inszenieren, die ein bestimmtes Ziel hat. Stattdessen möchte er einen Einblick in das Seelenleben von zwei Frauen geben, die auf ganz unterschiedliche Weise mit derselben Situation umgehen. Was sich diesem Vorhaben in den Weg stellt, ist die Nahbarkeit der Charaktere. Während sich Maras sensibles Spiel positiv auf jene ihrer Figur auswirkt und sich der Zuschauer gut in ihre Lage versetzen kann, geht Blanchetts Carol jedwede Form der Zugänglichkeit ab. Ihre Figur bleibt Staffage in einem Film, der von komplexen Gefühlsregungen lebt respektive leben müsste ist. Wie auch die Handlung eine Reise der Selbstfindung thematisiert, versteht sich auch «Carol» inhaltlich als eine Der-Weg-ist-das-Ziel-Inszenierung, doch den Weg mit dieser Figur der von Blanchett so anstrengend verkörperten Carol zu begehen, dazu erfordert es den unbedingten Willen, diesen Film besser zu reden als er ist. Wer nun daran appellieren möchte, dass man sich als Zuschauer gern auch mal über seine eigene Bequemlichkeit hinwegsetzen solle, seinem Filmerlebnis nicht mehr als reine Berieselung zuzutrauen, dem lässt sich an dieser Stelle entgegensetzen, dass eine Figur, die einen nicht berührt, einem vielleicht auch einfach deshalb egal ist, weil ihre Charakterisierung lediglich an der Oberfläche kratzt. Arme Rooney Mara – denn sie ist hier diejenige, die nicht nur die eigentliche Hauptrolle spielt, sondern die den Film schlussendlich sogar oft retten muss.