Mit «Gone Girl» gelang nicht nur David Fincher ein erneuter Welterfolg, auch für Gillian Flynn bedeutete der twistreiche Thriller einen rasanten Aufstieg des Marktwertes. «Dark Places: Gefährliche Erinnerung» ist der zweite Film, basierend auf einem Roman aus ihrer Feder.
Der Name ist Programm: «Dark Places» definiert sich tatsächlich vorzugsweise über die sehr düsteren Settings, die den Film in ein melancholisches, bisweilen jedoch auch behäbiges Gewand kleiden. Die Geschichte um Libby und den in ihrer Familie einst stattgefundenen Mordfall ist nicht unspannend. Wie man es von Gillian Flynns Büchern kennt, stecken sie voller Twists und doppelter Böden. Das weiß auch der Regisseur, der den Roman zwar nicht 1:1 auf die Leinwand bringt, auf die wichtigen Turn-Arounds innerhalb des Plots jedoch nicht verzichtet. Er weiß – und das sei an dieser Stelle betont, um bei aller Kritik an der Ausführung die Fähigkeit des Regisseurs nicht infrage zu stellen – ganz genau um die Einzigartigkeit der Geschichte und darum, was es wann und wie hervorzuheben gilt. Doch es ist auch spürbar, dass sich Paquet-Brenner nicht so viel Exzentrik zutraut, wie es etwa David Fincher tat. Während Finchers „Gone Girl“ so wirkte, als hätte er seinen Film filigran um den entscheidenden Wendepunkt herum gebaut (und damit riskiert, dass er seine Wucht auch tatsächlich nur bei erstmaliger Sichtung entfaltet), erweckt «Dark Places» den Eindruck, sich nicht so recht auf den inhaltlichen Effekt jener Twists verlassen zu wollen. Fast schon zaghaft schreitet das Skript über seine 113 Minuten voran, als müsse es Tretminen fürchten. Der Regisseur, der Flynn beim Drehbuch unter die Arme griff, legt das Hauptaugenmerk folglich auf Interaktion seiner Figuren und viel, viel Dialog. Ganz so, als müsse er sich für die Handlung rechtfertigen.
Für den Zuschauer bedeutet dies, dass sich auf der Leinwand selbst nur wenig abspielt. «Dark Places: Gefährliche Erinnerung» ist kein Film großer Schauwerte und damit erst recht keiner, der im Kino genossen werden muss. Die meiste Zeit über hängt Barry Ackroyds («Captain Phillips») Kamera an den Lippen der Protagonisten. Diese gehen von A nach B, vollziehen typische „Krimi-Arbeit“ und gehen bei ihren Ermittlungen überraschend konventionell vor. Das ergibt einen für das Publikum leider recht überraschungsfreien Film, denn trotz interessanter Figuren erweist sich die Szenerie stets als schwer zugänglich. Charlize Theron beweist nach ihrer Performance in «Monster» ein weiteres Mal Mut zur Hässlichkeit und verkörpert ihre Libby Day als gebrochene Frau ohne den Drang, sich mit ihrem Umfeld zu arrangieren. Das bekommt auch der Zuschauer zu spüren: Es fällt nicht leicht, sich auf die abweisende Frau als Identifikationsfigur einzulassen. Gleichzeitig lässt es sich ihr nicht absprechen, dass ihr Typus als solcher fasziniert. Nicholas Hoult («Mad Max: Fury Road») erweist sich da als wesentlich einfacher zu durchschauen, bleibt im Gegensatz zu seiner Kollegen allerdings auch deutlich blasser. Als besonders stark erweisen sich sämtliche Szenen mit «House of Cards»-Star Corey Stoll, der den im Gefängnis sitzenden Bruder von Libby verkörpert und eine einnehmende, unnahbare Aura versprüht, von welcher der Film zehrt. Ohne ihn würde es «Dark Places» vermutlich an jenem Biss fehlen, der das Publikum bei aller Lethargie immer noch dazu animiert, das Geschehen zu verfolgen.
Auf der Zielgeraden erweist sich «Dark Places: Gefährliche Erinnerung» somit als ein Film, der sich in wenigen Jahren möglicherweise nur im Zusammenhang mit der Vita des Regisseurs erschließt. Für Gilles Paquet-Brenner könnte sich dieses Experiment eventuell als das erweisen, was vor über 17 Jahren «Following» für Christopher Nolan war – aus heutiger Sicht eine Randnotiz. Der französische Regisseur hat mit seinem ersten „richtigen“ Thriller viel riskiert und dabei doch nicht genug. Das ist schade, denn in Ansätzen blitzt durch, dass Gillian Flynn auch als Drehbuchautorin weiß Gott keine Eintagsfliege ist. Es bleibt zu hoffen, dass Publikum und Kritiker «Dark Places» richtig einzuordnen wissen und die noch junge Kino-Karriere der Schriftstellerin nicht beenden, bevor sie richtig angefangen hat. Und Gilles Paquet-Brenner ist es zu gönnen, dass er sich beim nächsten Mal ebenso wenig um Konventionen schert, wie David Fincher und Co.