'Ein vorangegangener internationaler Erfolg wirkt wie eine Beruhigungstablette'

«Das große Schlüpfen» an Ostern war der erste Ausflug der Firma wellenreiter.TV zum Genre Primetime-Show. Mit «Mich täuscht keiner» geht es nun weiter. Geschäftsführer Alessandro Nasini und Executive Producer Ralf Stauf haben mit uns über die Chancen von ungewöhnlichen Ideen gesprochen, über das Ende von «Schlag den Raab» und über steigende Unkreativität bei den ganz großen Playern.

Zu wellenreiter.TV

wellenreiter.TV ist als Produzent bislang vor allem bei öffentlich-rechtlichen Formaten in Erscheinung getreten. Neben «Dem großen Schlüpfen» macht das Unternehmen auch die WDR-Sendung «Frau Heinrich kommt» oder ZDFneos «Wahr oder was?». Zum Factual-Portfolio gehören Sendungen wie «Mit Bock durchs Land» oder «Die Haushaltsprofis».
Was sagt Alessandro Nasini, einer der beiden Geschäftsführer von wellenreiter.tv, und Ralf Stauf, Executive Producer bei wellenreiter.tv denn zu der immer wieder geteilten Annahme, die große Showwelle, auf der einst etwa «Wetten, dass..?» schwamm, sei zu Ende? Kommt die Ebbe?
Alessandro Nasini: (Bild links) Man muss das differenziert sehen. Wenn man nur danach geht, dass eine Show diese Millionen-Reichweiten holt, die früher möglich waren, dann ist die Welle sicher vorbei. Ich glaube nicht, dass noch einmal zwölf Millionen Zuschauer für eine Show möglich sind. Aber das heißt ja nicht, dass die Zeit für Primetime-Shows generell vorüber ist.

«Wetten, dass..?» ist schon vorbei, kurz vor Weihnachten verabschiedet sich auch «Schlag den Raab». Welche Show werden Sie mehr vermissen?
Nasini:
Das ist schwer. Ich werde beides auf seine Art vermissen. Ich habe «Wetten, dass..?» gerne geschaut – und auch «Schlag den Raab». «Wetten, dass ..?» mit meinen Eltern und «Schlag den Raab» mit meinen Kindern. Alles hat seine Zeit.

Ralf Stauf: (Bild rechts) «Wetten, dass..?» war bei mir lange Zeit immer ein TV-Erlebnis. Ich habe auch viel mehr «Wetten, dass..?» geschaut als «Schlag den Raab». Raab war mir immer zu lang, auch wenn ich mit dieser Meinung ziemlich alleine da stehe. Ich finde aber, dass «Schlag den Raab» auf sehr hohem Level abtritt, während «Wetten, dass..?» am Ende seinen Zenit schon überschritten hatte.

Jetzt sitzen Sie als verhältnismäßig kleine Firma in Gesprächen mit den großen Sendern und konkurrieren somit in einem Markt, der immer mehr von riesigen Playern dominiert wird. Wie schwer ist es, als mittelständisches Unternehmen genügend Gehör zu bekommen?
Nasini:
Gar nicht. Wir sprechen mit verschiedenen Häusern, darunter natürlich auch dem ZDF, über neue Ideen und Formate. Und wir stellen fest, dass der Bedarf an eben solchen unverbrauchten Ideen unglaublich groß ist.

Je größer das Unternehmen ist, desto unkreativer wird man. Es geht dann noch mehr um Umsätze. Das hat zur Folge, dass nur noch die großen Flaggschiffe, die in sehr großer Stückzahl und in mehreren Ländern laufen können, bedient werden. Diese großen Flaggschiffe lassen sich aber eben nicht zwangsläufig auch in Deutschland einbringen.
Ralf Stauf, Executive Producer bei wellenreiter.TV
Ralf Stauf: Es ist eigentlich eine sehr positive Zeit für uns. Sie haben recht: Die großen Produktionsfirmen werden immer noch größer. Ich kenne das aus meinen zehn Jahren bei Endemol. Aber ich habe dort schon gemerkt: Je größer das Unternehmen ist, desto unkreativer wird man. Es geht dann noch mehr um Umsätze. Das hat zur Folge, dass nur noch die großen Flaggschiffe, die in sehr großer Stückzahl und in mehreren Ländern laufen können, bedient werden. Diese großen Flaggschiffe lassen sich aber eben nicht zwangsläufig auch in Deutschland einbringen. Ein deutscher Sender hat keine Garantie auf einen Erfolg, wenn er ein solches Format erwirbt. Als kleine Firma geht man stattdessen viel mehr auf die Wünsche der Kunden ein – und liefert am Ende ein von vorn bis hinten maßgeschneidertes Format. Ich sehe das also als große Chance.

Nasini: In diesem Zusammenhang sind wir dem ZDF auch wirklich sehr dankbar, dass sie uns im Frühjahr das Vertrauen geschenkt haben, mit «Das große Schlüpfen» unsere erste Primetime-Show umzusetzen – und dann gleich live.

Nach wie vor kommen viele internationale Adaptionen – denken wir mal an die BBC-Formate, die nun auch vermehrt Deutschland erreichen.
Ich spüre aber, dass die Bereitschaft – auch bei privaten Sendern wie RTL, RTL II oder VOX – wieder deutlich größer geworden ist, auch eigene Ideen zu probieren. Das ist ein Trend, der nach «Rising Star» eingesetzt hat. Damals hat man sich bei RTL sicherlich von den tollen Trailern blenden lassen. Jetzt schaut man bei der Entwicklung schon über diesen Tellerrand hinaus, geht mehr in die eigentliche Substanz einer Idee.
Ralf Stauf, Executive Producer bei wellenreiter.TV
Stauf:
Ich spüre aber, dass die Bereitschaft – auch bei privaten Sendern wie RTL, RTL II oder VOX – wieder deutlich größer geworden ist, auch eigene Ideen zu probieren. Das ist ein Trend, der nach «Rising Star» eingesetzt hat. Damals hat man sich bei RTL sicherlich von den tollen Trailern blenden lassen. Jetzt schaut man bei der Entwicklung schon über diesen Tellerrand hinaus, geht mehr in die eigentliche Substanz einer Idee. Wo sind die emotionalen Fallhöhen einer solchen Show wirklich? Die Chancen sind so groß, dass sogar Sender direkt auf uns zukommen und nachfragen, ob wir gemeinsam etwas entwickeln wollen. Die Offenheit ist auch enorm groß. Vielmehr glaube ich, dass es eine gewisse Skepsis gegenüber den großen Playern gibt.

Nasini: Bei Lizenzformaten hört man ja immer von Risikominimierung. Natürlich ist der Invest bei einer neuen Showreihe für den Sender erst einmal sehr groß. Und ein vorangegangener internationaler Erfolg wirkt da gerne mal wie eine Beruhigungstablette. Aber die Wirkung lässt nach, sobald das Format für den deutschen Markt übersetzt werden muss. Am Ende ist es Handwerk. Das gilt für Lizenzformate genauso wie für Neuentwicklungen.

Mit «Wetten, dass..?» und «Schlag den Raab» verliert die deutsche Fernsehunterhaltung Flaggschiffe. Und jetzt buhlt jeder darum, beim ZDF die große Lücke und bei ProSieben an die 15 Primetime-Sendeplätze pro Jahr zu füllen?
Nasini:
Das ist definitiv so. Das Ende von «Wetten, dass..?» hat sehr große Möglichkeiten eröffnet. In der öffentlichen Wahrnehmung hat die Show beim ZDF ja einen Raum eingenommen, der immens war. Ähnlich wird das bei ProSieben nun nach Raab sein. Solche Abschiede bringen Bewegung in den Markt, die positiv ist.

Sie haben «Das große Schlüpfen» schon angesprochen. Wundern Sie sich eigentlich manchmal über Medienjournalisten, die ja immer und immer mehr Mut und mehr Risiko fordern und dann nach einer Show wie dem «großen Schlüpfen» absolut baff sind wie ungewöhnlich das jetzt war?
Nasini: Ich fand die öffentliche Meinung zu unserer Show sehr interessant. Keiner hat uns in den Boden gestampft. Vielleicht haben sich manche laut gefragt, was die sich jetzt mit dieser Show gedacht haben. Die Sendung war sauber produziert und hat eine gute Aufmerksamkeit bekommen. Bei den Fernsehzuschauern und im Netz. Das zählt. Es geht um vieles und nicht nur um eine Handvoll Kritiker, die das Format ein bisschen ins Lächerliche gezogen haben.

Stauf: Es gab wenig Kritik aus den Medien. Wenn ich mich erinnere, was Quotenmeter.de dazu geschrieben hat, dann war das sehr fair. Ich meine, dass ich allgemein eine Offenheit der Journalisten für diese neue Idee gespürt habe. Von Senderseite her hätten die Reaktionen übrigens nicht besser sein können. Ich erinnere mich an einen tollen Anruf von RTL. Am meisten belächelt wurden wir – und das verstehe ich bis heute nicht – übrigens von Produktionskollegen. Die aber kämpfen doch eigentlich auch dafür, dass mal neue Ideen den Weg auf den Bildschirm finden.

Jetzt kommt mit «Mich täuscht keiner» eine neue Show, die auch das Potential für eine serielle Produktion hat. Und das wäre für Sie ja nicht ganz schlecht…
Stauf:
Moment! Es kann immer noch «Das noch größere Schlüpfen geben».

Stimmt. Auch 2016 soll Ostern wieder in den Kalendern auftauchen.
Nasini: «Das große Schlüpfen» war immer als Eventprogramm angekündigt. Sie haben Recht, «Mich täuscht keiner» bietet da mehr Möglichkeiten einer seriellen Produktion.

Und auch diese Show ist insofern mutig, als dass solche Formate bislang abseits von Ranga Yogeshwar nicht die ganz hohen Marktanteile geholt haben.
Nasini:
Wir haben mit Dirk Steffens einen starken Moderator, der eine große Kompetenz mit ins Studio bringt. Seine Erfahrungen aus vielen Expeditionen und seine wissenschaftliche Expertise sind etwas Besonderes. Dazu kommt ein Spiel, das sich um unsere Sinne dreht. Wissenschaftlich faszinierend, aber auch einfach verblüffend und witzig. Unsere wunderbaren Gäste haben uns dafür den ersten Beweis geliefert. Sie hatten im Studio jede Menge Spaß ihre Sinne auf die Probe zu stellen.

Welches Potential sehen Sie in Dirk Steffens, der nun seine erste Primetime-Show macht?
Nasini:
Ein sehr großes. Man spürt, dass es ihm Spaß macht sein Wissen in die Showspiele einzubringen und unsere Kandidaten mit seiner sympathischen Art in die Irre zu führen. Das ist eine Kombination, die Erfolg verspricht.

Wie sieht die Zukunft von Unterhaltungsshows aus? Über was werden wir 2018 sprechen?
Nasini:
Künftig werden zwei Dinge wichtig sein. Zum einen Ideen zu entwickeln, die seriell produzierbar sind. Und zweitens muss es aber auch Eventprogramme geben, mit denen unsere Zuschauer immer wieder aufs neue überrascht werden. Dafür gibt es bei uns im Development mehrere gute Ansätze, über die man hoffentlich 2018 sprechen wird. Aber die verrate ich Ihnen jetzt noch nicht. (lacht)

Ich stelle fest, dass es im TV momentan wenige Kinder-, Tier- oder Reiseshows gibt. Und es fehlt an unterhaltsamen Wissens-Sendungen. Da sehe ich Chancen.
Ralf Stauf, Executive Producer bei wellenreiter.TV
Stauf: Ungewöhnliche Ideen werden dann noch wichtiger sein. Ich habe heute schon kein Verständnis für Doubletten-TV. Da hat man eine gute Marke und macht dann eine zweite Sendung dieser Art nur um das Original zu beschädigen. Ich stelle fest, dass es im TV momentan wenige Kinder-, Tier- oder Reiseshows gibt. Und es fehlt an unterhaltsamen Wissens-Sendungen. Da sehe ich Chancen. Es kommt aber auch genauso darauf an, wie ich solche Sendungen ausstatte. Künftig wird es wichtiger werden, dass der Zuschauer weiß, warum ich diesen Promi jetzt eingeladen habe. Promis brauchen in Primetime-Shows einen tieferen Sinn. Es wird nicht mehr reichen, dass sie in beliebiger Leidenschaft auf dem Sofa sitzen und nach der Show 10.000 Euro einstreichen und wieder heimgehen. Der Umdenkprozess, dass der komplette Cast eines solchen Formats ungemein wichtig ist, hat schon begonnen. Zum Cast zählt natürlich auch der Moderator. Auch da ist es eine wichtige Aufgabe, neue Gesichter aufzubauen.

Sehen Sie Chancen für Primetime-Shows mit ganz normalen Kandidaten, also weg von den Promis?
Nasini:
Absolut. Es wird in diesem Zusammenhang aber immer auf die Gesamtkomposition und nicht so sehr auf ein einzelnes Detail ankommen.

Zum Abschluss: Wird 2016 die erste Showproduktion von wellenreiter.tv im Privatfernsehen das Licht der Welt erblicken?
Stauf:
Wir sind konkret mit einem Sender in der Entwicklung. Und wir sind in diesem Zusammenhang guter Dinge.

Das wird dann auch ein ungewöhnliches Projekt?
Nasini: Ungewöhnlich vermutlich schon deshalb, weil man uns ja eher bei öffentlich-rechtlichen Sendern verortet. Nein, das sind aktuell tolle Gespräche. Am Ende der Tage muss ein Produkt dabei heraus kommen, das zu wellenreiter.tv passt und auch zu dem entsprechenden Sender. Wenn da alles stimmt, dann kann das 2016 sehr gut passieren.

Danke für das Gespräch.
08.11.2015 12:32 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/81794