«Big Brother 12»: Ein Rückschritt in vergangene TV-Zeiten?

Medial findet «Big Brother» - anders als die Promi-Show des Großen Bruders - eher untergeordnet Beachtung. Und auch die Zuschauerzahlen hätten höher ausfallen können. Manuel Weis, der den großen Bruder seit 15 Jahren begleitet, analysiert den Zustand der Mutter aller Realitys.

28. Februar 2000. Ein Tag aus einer fast schon anderen Welt. Einer Zeit noch vor den schlimmen Anschlägen von 9/11, einer Zeit kurz nach der großen Panik, viele Computersysteme würden wegen der Umstellung auf’s neue Jahrtausend den Geist aufgeben. Und ein besonderer Tag für Percy Hoven, der mit dem Satz „Die Tür ist geschlossen, «Big Brother» hat begonnen“ Geschichte schrieb und eine damals im Vorfeld unfassbar diskutierte Reality-Show nach Deutschland brachte. Zehn Menschen würden 24 Stunden – also wirklich rund um die Uhr – beim Leben beobachtet werden. Die Politik mischte sich ein, Produzent Endemol musste täglich eine Stunde lang in einem Raum die Kameras ausschalten, damit die Bewohner immerhin ein Minimum an Privatsphäre hatten. 102 Tage lang zeigte RTL II jeden Tag zur besten Sendezeit das normale Leben.

Millionen von Fans sahen die Freundschaft von Jürgen und Zlatko wachsen, sie sahen Streits, den ersten freiwilligen Auszug nach nur sechs Tagen und John im Juni 2000 als ersten «BB»-Sieger Deutschlands aus dem Haus spazieren. 15 Jahre und gute sechs Monate sind seitdem vergangenen. In Deutschland liefen zehn weitere Staffeln. Insgesamt kommt der große Bruder bisher auf knapp 1.730 Tage «Big Brother». Elf Staffeln lang lief die Erfolgsshow bei RTL II, bis dieser im Jahr 2011 mit dem gescripteten «Berlin – Tag & Nacht» spannendere und extremere WG-Geschichten aufzubieten hatte.

Mit dem neuen Sender sixx ging bei «Big Brother» auch eine inhaltliche Kehrtwende einher. Von den letzten RTL-II-Staffeln, die teils durch extremen Krawall auffielen (vor allem Staffel zehn ist hier zu nennen), hat sich das Endemol-Shine-Germany-Format mittlerweile doch deutlich weg bewegt. Vielmehr orientiert man sich in Köln an den ersten drei Staffeln, die teilweise sogar beim großen RTL zu sehen waren und als Reality in Reinform gelten.

Weitere Einbußen am Wochenende

Das dritte Sendewochenende war für «Big Brother» bei sixx das Schwächste. Am Freitagabend rutschten die Quoten ab kurz nach 22.00 Uhr auf schwache 0,9 Prozent Marktanteil bei den Umworbenen ab. Insgesamt schauten 0,21 Millionen Leute ab drei Jahren zu. Tags drauf (wegen der Absetzung von «Mila» ebenfalls um 22.10 Uhr - und nicht wie angekündigt um 22.25 Uhr) fiel die Quote bei den Umworbenen gar auf ein Staffeltief von 0,7 Prozent und war somit nur noch halb so hoch wie der derzeitige sixx-Schnitt. Erstmals schauten etwas weniger als 200.000 Menschen insgesamt zu.
Die Änderungen ab der vierten Staffel kamen aber aus gutem Grund
Dabei hatte der Produktionsriese in der Vergangenheit immer wieder erklärt, für «Big Brother» gebe es quasi kein Zurück zu den Anfängen. Zu sehr habe sich die TV-Landschaft verändert. Und recht hatte man damals bei Endemol: Wer heute eine Ausgabe aus den ersten drei «BB»-Staffeln anschaut, wird sich leichtsam langweiligen. Konflikte und Beziehungen entwickelten sich langsam und zaghaft – von «Big Brother» vorgegebene Diskussionsrunden nahmen einen nicht unwesentlichen Teil ein. Matches oder Challenges gab es nicht und zumeist herrschte im Haus wirklich Friede und Freude. Nur Eierkuchen gab es aufgrund der beschränkten Mittel nicht.

Des großen Erfolgs wegen schickten die Macher die dritte Staffel der Sendung nur rund einen Monat nach dem Ende der zweiten Runde auf Sendung, erfüllten damals die großen Erwartungen nicht. Schon damals hatte man aber erkannt, vorsichtig an einigen Stellschrauben drehen zu müssen. Heimlich eingeschleust wurde ins Haus ein Maulwurf, der im Auftrag der Produzenten Verschiedenes sabotieren sollte. Den Quoten half dieser Kniff nicht. Erst die Trennung der Lebenswelten in „arm“ und „reich“ ab Staffel 4 und der neue Sendeplatz (19 Uhr) hauchte dem Reality-Riesen wieder neues Leben ein.

Staffel 7 probierte sich noch einmal an einem gemeinsamen Wohnbereich, verzichtete auf die Spaltung zwischen „oben“ und „unten“, „arm“ und „reich“ – aber eben nur eine Staffel lang. Insofern ist es erstaunlich, dass die Crew der Show um den erfahrenen Rainer Laux diesmal den Mut hatte, auf diese Fallhöhe zu verzichten. Vermutlich orientierte man sich hier vor allem an den Vorbildern in Übersee. In Amerika etwa ist die Show seit Jahren im Sommerprogramm ein großer Erfolg. Dort ist «BB» aber weniger Voyeur-Fernsehen, sondern mehr ein Format, das zum ausgelügelten Taktieren einlädt. Da werden Seilschaften vereinbart, Gegner ausgemacht und gemeinsam auf die Exit-Liste gesetzt. Vielleicht hat man sich in Deutschland Ähnliches erhofft und wird aktuell ein wenig enttäuscht. Der einzige, der die Spielidee in diese Richtung interpretiert, ist der Österreicher Hans-Christian, der im Haus allerdings viele Gegensprecher hat.

Nimmt der Trash doch Überhand?
Um den Eindruck zu verschleiern, im – offenkundig kleineren Haus als in den Jahren zuvor – ginge es um kaum etwas, unterstreichen die Produzenten in ihren Tageszusammenfassungen derzeit vor allem die Konflikte, die bis dato gerne zwischen H.-C. mit seinem Kompagion Tim und dem Rest der Truppe ausgetragen wurden. Dass der Zorn dabei hauptsächlich um Einsatzpläne für das Bestehen einer Wochenaufgabe und somit um die Einteilung für das Sitzen auf zwei Stühlen entstand, mag für zahlreiche Zuschauer wenig nachvollziehbar sein. Dadurch entsteht aber auch die Erkenntnis: Die Kandidaten haben in der Tat nichts anderes, woran sie sich reiben können. Im Mikrokosmos «Big Brother» sind schon immer eigene Probleme gezüchtet worden. In den Staffeln mit Bereich-Trennung war dies vor allem der Neid auf den Luxus der anderen und ein Gefühl von Mitleid mit denen, die seit langem im Kargen ihr Dasein fristen müssen.

Doch wirkliche Sympathie kommt diesmal nur mit den wenigsten Kandidaten auf – zu sehr wird deutlich, dass es einer Vielzahl von ihnen nicht um das Spiel «Big Brother» geht, sondern um das daraus entstehende Medienecho. Quasi alle sind in der TV-WG, um sich ab 2016 selbst zu vermarkten, mehr Klicks für ihre Accounts zu sammeln oder gar eine eigene Sendung irgendwo in der TV-Landschaft zu bekommen. Das ist nicht die Schuld des Produzenten, sondern wohl ein Rad, das kein Macher der Welt mehr zurückschrauben kann.

Bei «Big Brother» 1 war das noch anders, auch noch während der vierten und fünften Staffel, als Bewohner sich zwar ebenfalls einen gewissen Medienrummel erhofften, immerhin aber noch einige Leute mit normalen Berufen ihren Fuß über die Schwelle der TV-WG setzten. Auch deshalb erscheint das aktuelle «Big Brother» wie ein Relikt aus einer Fernsehzeit, die längst überholt ist. Wie ein Rückkehrer in die Gegenwart, der vergänglich werden könnte.

Das Spiel mit der Taktik
Dass die Macher auf Kandidaten mit Vorkenntnissen in der Medienbranche setzten, könnte auch einen Selbstzweck erfüllen. Der Wunsch Endemol Shines, dass Taktisches dieses Mal mehr denn je eine Rolle spielt, ist quasi unübersehbar. Schon nach acht Tagen etwa führte man erstmals in der Formatgeschichte in Deutschland Joker ein, die einem zusätzliche Nominierungsstimmen bringen, ein Team von der Wochenaufgabe befreien oder vor dem Strafbereich schützen. Besonderen Zündstoff lieferte vor allem ein Joker, mit dem man einen anderen Joker „klauen“ kann. Die Joker scheinen sich derzeit als beste neue Idee der Staffel zu entpuppen. Und trotzdem bleibt immer das Bild der TV-Show, die 15 Jahre auf dem Buckel hat.

Lässt das Konzept denn bahnbrechende Änderungen zu?
Innerhalb seiner strengen Richtlinien erfindet sich der große Bruder eben nicht spielend leicht einfach mal neu. Die letzte bahnbrechende Änderung war die Einführung eines Secret Hauses in Staffel zehn und liegt somit mehr als fünf Jahre zurück. Der damalige „Messie-Bereich“ sorgte prompt für steigende Quoten, ließ sich aber aus inhaltlichen Gründen nur kurz aufrecht erhalten. Alle anderen von außen herangebrachten Ideen, «Big Brother» mehr für die Außenwelt zu öffnen, wurden nicht umgesetzt. Wie schwer das ist, zeigte zuletzt auch «Newtopia», das die grundsätzliche «BB»-Idee in die Jetzt-Zeit verfrachten wollte, in zahlreichen Ländern außerhalb Hollands aber zum Scheitern verurteilt war.

Und so steht den Machern des großen Bruders wohl mehr Arbeit ins Haus, als manch einer gedacht hatte. Allein die Tatsache, etliche YouTuber mit gewisser Fanbase in die WG zu stecken, reicht 2015 nicht mehr aus, um einen großen Buzz zu erzeugen. Die Joker sind der Schritt in die vollkommen richtige Richtung; und angesichts einer verbleibenden Laufzeit von noch über 75 Tagen dürfte in dieser Staffel noch genug Zeit bleiben, weiteres Neues zu erfinden und auszutesten. Die Kreativität wird nötig sein, um die Menschen für weitere Staffeln der Mutter aller Reality-Shows zu überzeugen.
Woran liegen die miesen «Big Brother»-Quoten?
Das Grundkonzept ist langweilig, es bräuchte z.B. wieder zwei Bereiche
21,3%
Die Kandidaten gefallen mir nicht.
32,4%
Das Haus ist zu klein und nicht schön designed.
1,4%
Es liegt an der Sendezeit. «BB» gehört für mich auf 19 Uhr gesetzt.
30,2%
Es liegt am Sender. Wer schaut schon sixx?
14,8%
12.10.2015 09:09 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/81190