'Wir haben sehr viel Selbstreflexion betrieben'

Quotenmeter.de hat «Alles steht Kopf»-Regisseur Pete Docter und -Produzent Jonas Rivera im Roundtable-Interview getroffen: Wie ist der neue Pixar-Hit entstanden, wie ticken ihre Kollegen aus der Trickfilm-Traumfabrik und verstehen Kinder das intellektuelle Konzept des Films?

Über «Alles steht Kopf»

«Alles steht Kopf» ist der 15. abendfüllende Trickfilm der Pixar Animation Studios und handelt von den fünf Emotionen in unserem Kopf: Freude, Kummer, Wut, Angst und Ekel. Regisseur Pete Docter und Produzent Jonas Rivera erzählen mit diesen personifizierten Gefühlen eine lustige, spannende und rührende Geschichte darüber, wie wir Menschen uns in emotional schwer zu begreifenden, fremden Situationen verhalten. Der deutsche Kinostart ist der 1. Oktober 2015.
Gratulation zu diesem herausragenden Film! Die Story von «Alles steht Kopf» ist wirklich einzigartig. Wie ist sie entstanden, und wie kam es zu all den anderen kleinen Ideen, die den Film ausmachen?
Pete Docter: Als erstes ist mir das grundlegende Konzept in den Sinn gekommen, eine Geschichte über personifizierte Emotionen zu erzählen. Von dem Punkt aus kamen dann alle anderen Aspekte nach und nach hinzu: Freude sollte die Hauptfigur werden. Dennoch sollte der Film Elemente einer Ensemblekomödie beinhalten. Und so kam der Ansatz, dass wir Spaß damit haben wollen, wie sich alle über Kleinigkeiten zanken … Die Essenz des Ganzen ist, dass der Film im Laufe von fünf Jahren Stück für Stück von einer riesigen Gruppe an Künstlern erschaffen wurde, die Jonas und ich angeführt haben. Unsere Hoffnung ist, dass der komplette Film so wirkt, als sei er das Produkt eines einzigen nächtlichen Gedankenblitzes. Dabei entstand er durch ständiges Arbeiten, Schaffen, Grübeln, Hinzufügen, Wegnehmen und, und, und …

Jonas Rivera: Der Fairness halber sei gesagt, dass sämtliche Filme durch mühselige Arbeit entstehen. Das für mich Einzigartige an Pete ist aber, dass er über das Talent verfügt, aus heiterem Himmel Ideen zu entwickeln, die jeder auf Anhieb begreift. Es sind Ideen, bei denen dann jeder im Studio sofort begeistert mit dem Kopf nickt. Auf dieser Basis beginnt dann die große Schufterei.

Welche Erkenntnis hat Sie bei der Recherche zum Film besonders beeinflusst?
Pete Docter: Eine sehr interessante Sache stammt von Dacher Keltner, einem Psychologen, mit dem wir zur Vorbereitung gesprochen haben. Er meinte: „Sämtliche Emotionen haben ihre guten und ihre schlechten Seiten.“ Gefühle wie Wut und Angst, die wir normalerweise als negativ betrachten, haben gute Seiten, und genauso hat selbst Freude potentiell negative Folgen. Das wollen wir im Film auch zum Ausdruck bringen.

Jonas Rivera: Ja, das fand ich spannend! Aufzuzeigen, dass negativ behaftete Gefühle sehr wohl einen Zweck haben, zählt für mich zu den Aspekten, die mir an diesem Film am meisten zugesagt haben.

Pete Docter: In früheren Entwürfen hatten wir zudem noch Gefühle wie Stolz und Hoffnung, die Freudes Optimismus geteilt haben. Uns wurde aber schnell klar, dass die Geschichte besser funktioniert, wenn sich anfangs alle Emotionen gegen Freude wenden und sie alleine dasteht. So wirkt am Ende die Erkenntnis eindringlicher, dass sich Gefühle eben nicht strikt in gut und schlecht aufteilen lassen.

Eine der Emotionen, die raus geflogen sind, ist die Schadenfreude. Wie sah Schadenfreude in eurer Vorstellung aus?
Pete Docter: Oh je … (lacht peinlich berührt) Er war ein richtig schlechtes Klischeebild eines Deutschen in Lederhosn … Er war aber stets nur für eine sehr kleine Rolle vorgesehen. Selbst ganz am Anfang des Schreibprozesses wussten wir: Wenn wir an die 27 Emotionen im „Headquarter“ stehen haben, verlieren wir nur die eigentliche Geschichte aus dem Blick. Deshalb hing er mit einigen Anderen in der Ecke herum und fragte (in deutschem Akzent): „Gibt es heute Arbeit für uns, Freude?“ Und Freude entgegnete: „Ich sag euch, wenn es etwas zu tun gibt! Ist das für dich in Ordnung, Neid?“ Und Neid hat dann: (winkt mit genervtem Blick ab) … Das waren alles Randfiguren, die sozusagen von der Auswechselbank zugeguckt haben. Jedenfalls, bis sie gestrichen wurden.

Wir haben sehr viel Selbstreflexion betrieben und lange Diskussionen geführt, die im Autorenraum praktisch zu kleinen Therapiesitzungen ausgeartet sind!
Jonas Rivera
Mussten Sie aufgrund des Themas für diesen Film tiefer in sich hineinhorchen als sonst?
Jonas Rivera: Ja. Ich finde, dass dies sogar zu den besonders ergiebigen Aspekten an der Produktion von «Alles steht Kopf» gehört! Wir haben sehr viel Selbstreflexion betrieben und lange Diskussionen geführt, die im Autorenraum praktisch zu kleinen Therapiesitzungen ausgeartet sind! Und all das, um den Kern der Geschichte zu begreifen: „Was passiert mit uns, wenn wir als Kinder erstmals die Welt mit anderen, emotional reiferen Augen erblicken? Wann und wo ist es bei uns jeweils dazu gekommen? Wieso ändern wir uns?“ Dem wohnt auch eine Tragik inne. Erst recht für uns als Eltern, wenn wir auf unsere Kinder blicken und diese Entwicklungen beobachten. Meine Töchter sind drei und fünf Jahre alt, und wenn ich könnte, würde ich für sie die Zeit einfrieren. Dabei wäre das ganz offensichtlich keine gute Sache. Es wäre eine völlig falsche, selbstsüchtige Entscheidung! Und über genau solche Dinge haben wir während der Produktion gesprochen.

Pete Docter: Ein weiterer Grund, weshalb wir bei «Alles steht Kopf» tief in uns gehen mussten, ist das Thema des Designs. In der Vergangenheit haben wir etwa Filme über Fische oder Autos gemacht – und das Gute daran ist, dass man dabei Recherche treiben kann. „Oh, super, so soll das also aussehen!“ Und dem verleihen wir dann halt noch unseren eigenen Touch. Aber bei diesem Film?! (lacht) Wir hatten keinen Schimmer, wie Angst, Wut und all die anderen kleinen Kerlchen aussehen. Wir haben zu Recherchezwecken darüber, wie der Verstand aufgebaut ist, zwar mit Wissenschaftlern gesprochen, doch das Aussehen der Figuren entstammt den Köpfen unserer fantastischen Charakterdesigner. Wie etwa Albert Lozano und Chris Sasaki. Sie sind in Verbindung mit ihrer Wut und ihrer Angst getreten, um auf diese tollen Ideen zu kommen.

Standen für den Look der fünf Emotionen dennoch auch Persönlichkeiten Pate?
Pete Docter: Zum Teil sind sie alle von diversen Elementen inspiriert, also auch durch die eine oder andere Person. Der Schlüsselgedanke hinter dem Aussehen der Emotionen entstammt allerdings einem Bild, das Albert [Lozano] gezeichnet hat: Eine Gegenüberstellung abstrakter Formen. Freude war darauf ein Stern. Angst sah dagegen wie ein freigelegter Nerv aus, sehr verwinkelt … Und Kummer wurde durch eine auf dem Kopf stehende Träne symbolisiert. Diese simplen Formen haben uns nicht nur geholfen, die Gefühle an sich besser zu verstehen, sondern auch sicherzustellen, dass sie gemeinsam als Gruppe gut aussehen.

Schlussendlich wurden die Emotionen fast schon zu einer Art 'Greatest Hits'-Sammlung aller Menschen, die wir lieben oder über die wir sehr intensiv nachdenken
Jonas Rivera
Jonas Rivera: Pete, wenn du schon Kummer ansprichst, fällt mir aber noch etwas Konkreteres auf die Frage ein, ob die Emotionen durch bestimmte Personen inspiriert wurden. Denn schlussendlich wurden die Emotionen fast schon zu einer Art „Greatest Hits“-Sammlung aller Menschen, die wir lieben oder über die wir sehr intensiv nachdenken. Albert etwa hat im Zusammenhang mit Kummer viel über seine Mutter gesprochen. Sie ist eine ungeheuerlich süße, zuvorkommende Frau. Wäre sie jetzt hier, würde sie alles dafür tun, um sicherzustellen, dass wir alle hier im Raum gut versorgt sind! (In einer Mütterchenstimme:) „Möchte jemand noch einen kleinen Snack, oder schon sein Mittagessen“? Sie ist sehr liebevoll und fürsorglich. Und ich habe beim Zeichnen von Kummer angefangen, immer an ihren sorgvollen Gesichtsausdruck zu denken …

Pete Docter: Das wusste ich gar nicht!

Jonas Rivera: Doch, doch! Und Ekel hat etwas von Production Manager Dana Murray. Sie ist eine bildhübsche Frau, immer perfekt gestylt, und sie hat diese Manierismen …

Pete Docter: (lacht) Ja, allein wie sie „Üäääh ...“ sagt!

Jonas Rivera: Genau, das ist bei Ekel mit eingeflossen. Kurzum: Die Figuren sind alle zu einem Sammelsurium von Menschen geworden, die uns wichtig sind.

Auf der nächsten Seite sprechen Pete Docter und Jonas Rivera unter anderem über die Originalsprecher von «Alles steht Kopf» und über Pixars „Brain Trust“ …

Haben auch die Originalsprecher der Figuren eine Rolle in der visuellen Gestaltung gespielt? Beim Kleidungsstil von Wut kann man schon auf den Gedanken kommen, dass er an Lewis Black angelehnt ist …
Pete Docter: Im Fall von Lewis Black ist es so, dass er uns schon sehr früh vorschwebte. Bereits als ich das generelle Konzept vorgestellt habe, meinte ich: „Und nun überlegt mal, wie lustig es wäre, wenn wir Lewis Black als Wut bekommen würden!“ Das war so ein Moment, in dem alle meinten: „Oh, ja, das ist super!“ Es könnte also schon sein, dass unterbewusst Blacks Auswahl an Hemden im Designprozess auf Wut abgefärbt hat. Aber nahezu das gesamte Sprecherensemble kam erst an Bord, nachdem wir die Designs festgelegt haben.

Das heißt aber nicht, dass die Sprecher keinen Einfluss auf den Film an sich hatten. Am ersten Arbeitstag von Amy Poehler, der Originalstimme von Freude, haben wir keine einzige Sekunde an Tonmaterial aufgenommen. Stattdessen haben wir mit ihr als Autorin zusammengearbeitet. Ihr kamen viele wundervolle Ideen, wie Freude etwas ausdrücken würde. Einige von Freudes besten Kommentaren entstanden an diesem Tag. Überhaupt hat Amy einen wertvollen Beitrag geleistet. Denn es war sehr schwer, Freude als Figur richtig hinzubekommen. Daher war uns jede Hilfe, die uns geboten wurde, sehr willkommen! Ganz am Anfang in der Entwicklung des Films war Freude noch unentwegt glücklich und überschäumend! Man wollte einfach nur vor ihr davonlaufen. Oder ihr eine reinhauen! Amy war essentiell darin, dieses Problem zu überkommen. Um aber wieder auf die eigentliche Frage zurückzukommen: Auch wenn die Sprecher beim Design keinen Einfluss dargestellt haben, ist es so, dass wir die Sprecher im Tonstudio aufnehmen. Und die Animatoren lassen sich dann von den der Mimik, den Gesten und auch von den kleinen Macken der Sprecher inspirieren. Insofern hatten sie also schon einen Einfluss darauf, wie sich die Figuren auf der Leinwand geben.

Pixars "Brain Trust"

Sämtliche Filme der Pixar Animation Studios werden im Laufe ihrer Produktion regelmäßig mit Argusaugen von den führenden Kreativköpfen des Studios geprüft. Diese Gruppe nennt sich der "Brain Trust" und besteht aus Studio-Mitgründer John Lasseter, «Findet Nemo»-Regisseur Andrew Stanton, «Alles steht Kopf»-Regisseur Pete Docter, Lee Unkrich, «Ratatouille»-Regisseur Brad Bird, Sound-Genie Gary Rydstrom, «Oben»-Macher Bob Peterson und Produzent Brad Lewis.
Die Art, wie Pixar Filme produziert, ist generell sehr faszinierend. Insbesondere der sogenannte „Brain Trust“. Ich frage mich seit jeher, wie die Interaktion zwischen Ihnen allen ist, wenn der Trust einen in der Produktion befindlichen Film analysiert. Ich kann mir nur von zwei Mitgliedern ein Bild machen: Basierend darauf, wie sie in Making ofs auftreten, würde ich Brad Bird als den Aufbrausenden dieser Gruppe einschätzen und Andrew Stanton als den Grübler ..?
Pete Docter: In Wirklichkeit ist es genau anders herum.

Jonas Rivera: Ja! Sehr interessant, dass die Beiden nach außen so anders wirken.

Pete Docter: Andrew kommt sehr oft extrem wütend rüber. Er läuft knallrot an, wenn er sich in etwas verrennt. Und dann gestikuliert er auch wild herum, und man schreckt erst einmal vor ihm zurück. Wenn man ihn aber kennt, weiß man, dass er das nur macht, weil er mit solcher Passion dabei ist. Er ist sehr hitzköpfig. Brad ist zwar auch sehr passioniert, und es kann vorkommen, dass er sich auf den Tisch stellt, wenn er was loswerden will, aber bei ihm klingt es nicht so wütend. (schmunzelt) Der Brain Trust ist generell eine sehr hingebungsvolle und meinungsstarke Gruppe, aber sie alle konzentrieren sich auf ein gemeinsames Ziel. Nämlich darauf, aus diesem unkonkreten Etwas einen starken Film zu machen. Niemandem geht es darum, sich zu profilieren, alles dreht sich um gute Arbeit. Selbst wenn es für Außenstehende nicht immer so aussehen dürfte, wenn sich der Brain Trust zankt.

Wir hatten schon Fälle, dass Besucher nach einer Besprechung zu mir kommen und fragen: „Wow, das war hart! Geht es dir gut?“ Aber meine Antwort ist dann stets: „Na klar!“, denn selbst wenn es vielleicht so aussieht, als würden wir uns persönlich angreifen, ist uns im Brain Trust bewusst, dass wir alle an einem Strang ziehen. Selbst wenn das nicht immer Spaß macht.

Jonas Rivera: Ja, es wird mit harten Bandagen gekämpft. Aber es ist letzten Endes stets sehr hilfreich. Und, um auf die Frage zurückzukommen: In meinen Augen betrachtet Andrew Dinge nahezu durchgehend aus der Sicht eines Autoren. Er sagt so etwas wie: „Ich weiß nicht, wieso ich mich um deine Figur sorgen sollte. Da stimmt etwas nicht!“ Er deckt Fehler auf, die meistens mit der Charaktierisierung oder Struktur zu tun haben. Bird agiert immer wie ein sehr passionierter Regisseur. Wenn du in einer Besprechung eine Idee ansprichst? Ehe du dich versiehst, hat er schon die Inszenierung für dich parat und er rennt durch den Raum: „Dann passiert dies, und wir zeigen das aus dieser Perspektive, und jenes ist dann wie in der einen Szene aus «Jäger des verlorenen Schatzes»!“ Er ist einfach dieses wandelnde Filmlexikon!

Und John Lasseter wiederum hat seinen Finger sprichwörtlich am Puls des Publikums. All seine Memos haben damit zu tun, wie das Publikum wohl reagieren wird, und was es denken oder fühlen sollte … Der Ruhige in der Gruppe ist Lee Unkrich, der Regisseur von «Toy Story 3». Er ist ein sehr wichtiges Mitglied, denn er denkt sehr präzise und cineastisch. So ergibt sich ein wunderbares Team, bei dem sich alle gegenseitig den Ball zu spielen! Dadurch erhalten wir richtig gute Rückmeldungen auf unsere Filme.

In Wahrheit gibt es nur selten eine generelle Übereinkunft oder eine demokratische Gruppenentscheidung. Am Ende des Tages sind es immer die jeweiligen Filmemacher, die entscheiden müssen, welche Rückmeldungen sie berücksichtigen.
Pete Docter über die Kollaboration innerhalb der Pixar-Studios
Pete Docter: Wobei es ab und zu auch dazu kommt, dass wir ein Meeting haben, und Brad sagt: „Ich will's Blau!“ Und dann meinen alle anderen: „Ja! Ja! Ja!“ Nur Andrew erwidert: „Ich will's Rosa!“ Plötzlich stimmen ihm alle zu: „Ja! Ja! Ja!“ Und wir kommen dann aus dem Meeting raus, und stellen uns weiter die Frage: „Soll es jetzt Blau oder Rosa sein?“ Es ist nicht immer so, dass der Brain Trust zu einem Konsens kommt. In Wahrheit gibt es nur selten eine generelle Übereinkunft oder eine demokratische Gruppenentscheidung. Am Ende des Tages sind es immer die jeweiligen Filmemacher, die entscheiden müssen, welche Rückmeldungen sie berücksichtigen.

Dank der breiten US-Berichterstattung sind ja bereits zahlreiche Geschichten über die verschiedenen Hürden, die Sie bei der Produktion nehmen mussten, bekannt. Doch nie redet jemand darüber, welche Dinge beim Filmemachen leicht fallen! Daher frage ich, ganz im Sinne von Freude: Was waren denn die fünf einfachsten Entscheidungen, die Sie während des Entstehungsprozesses von «Alles steht Kopf» fällen mussten?
Pete Docter: Lewis Black als Wut zu besetzen, gehörte zu den ersten Einfällen …

Jonas Rivera: Noch früher stand fest, dass Michael Giacchino die Musik komponieren wird!

Pete Docter: Ja, stimmt. Das wussten wir schon, bevor wir überhaupt die Idee zum Film hatten. (lacht) Das war wirklich ein No-Brainer! Und Richard Kind als Bing-Bong lag auch ziemlich nahe. Selbst wenn ich fürchte, dass sein Name dem deutschen Publikum kein Begriff sein wird. Aber er ist einfach wie geschaffen für die Rolle!

Jonas Rivera: Ansonsten gab es, glaube ich, keine einfachen Entscheidungen, aber dafür sehr viele, die einen glücklich gestimmt und Spaß gemacht haben. Ich habe Petes Idee von Anfang an geliebt, und daher war es eine Wonne, zu sehen, wie sie Gestalt annimmt und animiert wird …

Pete Docter: Wenn ich die eigentliche Frage etwas ummünzen darf, würde ich in dem Zusammenhang sagen, dass der Moment, in dem wir Freude zum ersten Mal haben Laufen sehen, zu den fünf glücklichsten Etappen der Produktion zählt!

Jonas Rivera (rechts im kleinen Bild): Definitiv! Nach zwei oder drei Jahren Arbeit kam der Punkt, an dem wir uns die Dailies angucken wollen, und die Animatoren auf uns zugekommen sind: „Schaut nur!“ Und dann spielten sie uns die erste fertige Szene vor, in der Freude geht … Da kam einfach alles zusammen. Unsere Hauptfigur bewegt sich, und sie hat einen individuellen Ausdruck und kann atmen, und ist einfach wunderschön geraten! Als ich diese Bilder gesehen habe, war das einer der glücklichsten Tage in meinem Leben.

Pete Docter: (nickt)

Jonas Rivera: Und dann würde ich noch die Musikaufnahme als einen der fünf glücklichen Momente im Produktionsprozess hinzufügen. Ich kann dieses Gefühl kaum in Worte fassen: Nach jahrelanger harter Arbeit sind wir zur Eastwood Scoring Stage bei Warner Bros gefahren, wo einst die Musik zu «Casablanca» eingespielt wurde. Und dann bittet Michael Giacchino das Orchester, das erste Stück zu spielen … Wir haben geheult wie Babys. Es gibt kaum emotionalere Momente für einen Filmemacher.

Pete Docter: Es fängt ja schon allein damit an, wie die Musiker zum Studio kommen. Man rechnet ja mit Männern im feinen Anzug, aber tatsächlich tragen sie nur schlabberige T-Shirts. Denn im Aufnahmestudio sieht sie ja kaum einer. Und dann sitzen die da herum, vertreiben sich die Wartezeit mit Kreuzworträtsel, bis Michael ihnen die Anweisung gibt: „Wir beginnen!“ Daraufhin holen sie ihre Instrumente heraus und spielen in Perfektion Kompositionen, die sie nie zuvor zu Gesicht bekommen haben, und die obendrein den Film so fantastisch ergänzen … Für uns, die im Animationsfilm im Schneckentempo arbeiten, ist das einfach der Irrsinn, wie diese Musiker rund 20 fertige Minuten pro Tag einspielen können.

Auf der nächsten Seite sprechen Pete Docter und Jonas Rivera darüber, wie Kinder auf ihren Film reagieren. Außerdem lebt Docter sein Muppet-Fansein aus!

Sind Sie nach den vielen Jahren Kleinstarbeit überhaupt fähig, den fertigen Film mit offenen Augen zu betrachten?
Pete Docter:: Nein, keineswegs. Ich versuche, während der Produktion einen offenen Blick zu bewahren, um nach all dem zu suchen, das wir verbessern müssen. Nach Fertigstellung denke ich aber andauernd nur an die Diskussionen zurück, die wir bei den jeweiligen Szene hatten. Oder an die Probleme, die wir bei der Umsetzung hatten. Es passiert auch häufiger, dass ich nach Start ins Kino gehe und dann immer wieder während des Films die anderen Zuschauer beobachte, um zu sehen, wie er ankommt. Dann sehe ich den Film zwar immer noch nicht selber mit offenen Augen, aber ich kann mir wenigstens anschauen, wie es anderen Kinogängern ergeht.

Jonas Rivera: Bei mir sieht es etwas besser aus: Ich habe ja zwei kleine Kinder, und ich konnte neulich den Film mit ihnen gucken. Ich glaube, bei mir hat es dann funktioniert, ihn durch ihre Augen zu sehen und mit ihnen neu zu entdecken.

Konnten Ihre Kinder den Film mit seinen klugen Gedanken überhaupt begreifen?
Jonas Rivera: Und wie! Wir haben «Alles steht Kopf» zu einem recht frühen Zeitpunkt bereits einmal all unseren Kindern gezeigt, weil wir diese Angst hatten, dass junge Zuschauer ihn nicht verstehen werden. Daher waren wir dann geschockt, wie gut sie ihn verstanden haben! Sie haben ihn fast schon besser verstanden als Erwachsene. Sie begreifen ihn auf einem emotionalen Level. Mein Sohn hat auch über die Witze gelacht, von denen wir dachten, dass sie über seinen Kopf hinwegfliegen werden. Es gibt zum Beispiel eine Szene über das abstrakte Denken, auf die wir sehr stolz sind. Da steckt sehr viel hinter, was an Erwachsene gerichtet ist – und das ist die Lieblingsszene meines Vierjährigen! Nur nennt er sie „Die Szene mit dem gruseligen Tunnel!“

Wir gehen den Film so akademisch an, aber unterm Strich verstehen ihn die Kinder dann eben doch!
Jonas Rivera
Pete Docter: (lacht)

Jonas Rivera: Und eigentlich hat er Recht! Aus erzählerischer Sicht ist das abstrakte Denken nichts Anderes als ein gefährlicher Platz, den unsere Figuren durchqueren müssen. Wir gehen den Film so akademisch an, aber unterm Strich verstehen ihn die Kinder dann eben doch!

Wie viel Sagen haben Sie über die internationalen Synchronfassungen? Segnen Sie alle fremdsprachigen Sprecher ab?
Jonas Rivera: Ich glaube, das dürften wir, wenn wir darum bitten würden …

Pete Docter: In der Welt da draußen gibt es so viel, das uns völlig unbekannt ist. Wir haben keine Ahnung von guten Künstlern in der Türkei, und fürs Übersetzen sind wir auch nicht gemacht. Aber es gibt da dieses großartige Team, das Disney zusammengestellt hat …

Jonas Rivera: Ja, Disney Character Voices International! Die Walt Disney Company beeindruckt mich immer wieder damit, was sie mit all ihren Zweigen bewerkstelligt hat, um unseren Film zu unterstützen. Aber Disney Character Voices International ist der wohl bemerkenswerte Teil dieses Konzerns! Wir haben vorab sehr viel Zeit damit verbracht, Figurenbeschreibungen für sie zu verfassen und zu erläutern, wie wir uns was vorgestellt haben – und die Leute von Voices International ziehen los und finden für jedes einzelne Land die entsprechende Stimme. Es ist wirklich unglaublich, wie treffend deren Besetzungen sind, wir sind jedes Mal baff, wenn wir uns die internationalen Sprecher anhören!

Zum Abschluss noch eine kleine, hoffentlich spaßige Aufgabe für Sie, Mr. Docter. In einem US-Interview haben Sie erklärt, dass die Figuren in Rileys Kopf „ein Haufen Muppets“ sind. Wenn Sie also ein Muppet-Remake von «Alles steht Kopf» besetzen müssten, welcher Muppet würde welche Rolle bekommen?
Pete Docter: (lacht) Oh, ja, das finde ich eine richtig gute Aufgabe! (überlegt) Ich fände es sehr spannend, zu sehen, wie Frank Oz mit Gonzo Angst spielen würde. Gonzo und Angst haben ja auch ein ähnliches Aussehen. Und Kermit wäre wohl, auch wenn er grün ist, Freude. Er hat diese Anführermentalität und auch Freudes Optimismus. Tier wäre Wut, das ist wohl ziemlich offensichtlich … Und Miss Piggy könnte Ekel spielen. Kummer … (denkt lange nach) Ich glaube, das könnte der Hausmeister machen, also Beauregard. Und Bing-Bong wäre natürlich Fozzie.

Jonas Rivera: Spitze! (lacht) Das klingt spaßig! Das Muppet-Remake will ich sehen!

Vielen herzlichen Dank für das tolle Gespräch!
«Alles steht Kopf» ist ab dem 1. Oktober in zahlreichen deutschen Kinos zu sehen. In 2D sowie in 3D.
24.09.2015 13:14 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/80972