Warum die Deutschen die Polizisten am Nachmittag so lieben

«Blaulicht Report», «Auf Streife» und Co: Polizei-Dokus boomen. Jetzt will RTL II ein Wörtchen mitreden und hat «Die Straßencops» gestartet. Mit einem Unterschied…

Was, die Polizei ist da? Gleich mal gucken?

Wie? Ein Unfall auf der Gegenfahrbahn? Fahr mal langsamer…


Ordnungshüter und ihre Arbeit haben eine seltsame Anziehungskraft auf einige – vermutlich sogar viele – Menschen. Es ist die pure Neugier, die dazu führt, dass Menschen gaffen, Absperrungen ignorieren und somit sogar den ein oder anderen Einsatz behindern. Das Fernsehen hat schon früh erkannt, dass Polizeieinsätze auf viel Interesse auch an den Bildschirmen stoßen. Die bekanntesten deutschen Streifencops sind wohl «Toto & Harry», die in Bochum ihren Dienst schoben und irgendwann derartige Helden waren, dass es polizeiintern nicht mehr so gern gesehen war, dass sie von Kamerateams bei der Arbeit begleitet wurden.

So mussten die TV-Macher erfinderisch werden; und stießen über den ein oder anderen Umweg auf die Idee, dass im gescripteten Nachmittagsprogramm nicht mehr nur Detektive und Anwälte auftauchen könnten, sondern auch Polizisten. Gewissermaßen ist es schon erstaunlich, mit welchen Belanglosigkeiten sich die Deutschen da Nachmittag für Nachmittag berieseln lassen. Etwa um 14 Uhr im RTLschen «Blaulicht Report» mit einem renitenten Rentner, der einem entgegen einer Einbahnstraße fahrenden Rettungswagen schlicht den Weg blockiert. Oder zwei streitenden Party-Girls vor einer Disco, die so lange angeben, sich nicht zu kennen, bis deren gemeinsamer Freund in Erscheinung tritt.

Oder – um ein Beispiel aus dem zeitgleich gezeigten Sat.1-Programm zu nennen – mit einem Mann, der mit einer Flugdrohne einen Jogger schwer am Kopf verletzt hat. Ja, das sind Lapalien – und streng genommen irgendwie das genaue Gegenteil davon, was die Autoren der einschlägigen Firmen filmpool, Constantin und Co. seit Jahren in ihren «Verdachts-» und «Betrugsfällen» erzählen.

Willkommen in der Normalität!
In der Tat sind diese Polizei-Dokus weniger realitätsfremd; in dem sie Geschichten nicht so aufbauschen. Es wird weniger überdramatisiert, was sämtliche Charaktere per se schon einmal glaubwürdiger macht. Zudem tun sich zahlreiche Laiendarsteller auch wirklich leichter. Filmpool etwa betont immer wieder, dass man reale Einsatzkräfte zeige, die aber eben Geschichten nach Drehbuch spielen. Heißt aber trotzdem: Die Darsteller sind mit der sich darlegenden Situation insofern vertraut, als dass sie sie von Berufswegen kennen und agieren deshalb meist deutlich weniger hölzern als in Sendungen wie «Verklag‘ mich doch!». Kurzum: Die Rettungskräfte führen sicher und galant durch das Format.

In der Kürze liegt die Würze
In einer Zeit, in der inzwischen auch im Nachmittagsprogramm mehr und mehr gezappt wird, in der bei YouTube das nächste Video nur zwei Klicks entfernt ist, haben es längere Formate – mit einigen Ausnahmen – immer schwieriger. «Familien im Brennpunkt» und andere Scripted Realitys, auch noch laufende Produktionen wie «In Gefahr», haben eine Geschichte in meist 48 Minuten erzählt. Die neuartigen Polizeidokus bringen in dieser Zeit meist vier oder fünf kürzere Einsätze unter. Es gilt das Prinzip, das auch «Die Höhle der Löwen» so erfolgreich macht – wer später einschaltet, kommt spätestens beim nächsten Fall mit. Und wem die Lust vergeht, der muss meist nicht lange auf das Ende einer Story warten.

Geht’s auch ein bisschen konstruierter?
Auf den Erfolgs-Zug der Polizei-Dokus will künftig auch RTL II aufspringen und probiert seit dieser Woche mit den «Straßencops» drei Wochen lang eine neue Scripted Reality, die in etwa so aussieht, wie man sie sich vom jungen RTL II vorgestellt hat. Die Ermittler tragen keine Uniform und bekommen es pro Folge mit mehreren meist eher schlecht deutsch sprechenden Kids zu tun. Oder wie der Off-Sprecher es zu Beginn der Pilotsendung erklärt: „Die Kölner Polizei hat eine Sondereinheit zur Bekämpfung von Jugendkriminalität geschaffen. Diese Einheit geht in zivil in die Brennpunkte. Ihr Revier: Die Straßen von Köln.“ Im Mittelpunkt steht dabei der Mittdreißiger Dennis Weber, der dem Coolness-Faktor wegen eine lässige Mütze während seiner Einsätze tragen darf. Das soll – so ist der Sprecher bemüht zu erklären – Vertrauen schaffen.

Harsche Worte, Gebrüll, Verfolgungen mit Wackel-Kamera – all das darf bei den «Straßencops» nicht fehlen. Und dennoch ist dort wieder etwas anders als bei «Auf Streife» und Co. Die Sondereinheit für Problem-Kids wirkt nicht so authentisch wie in die Streifencops in den anderen Formaten. Schon einmal ist RTL II und Produzent filmpool mit einem ähnlichen Konzept auf die Nase gefallen. Das hieß damals «Schmiede 21», begleitete Ermittler und Pädagogen, die in einer alten Halle eine gemütliche WG/Arbeitsatmosphäre geschaffen hatten. Damals wollte RTL II die WG-Erfolge von «BTN» und «Köln» mit den klassischen Ermittler-Formaten kombinieren und setzte vorsichtiger Weise nur ganz leicht auf durchgehende Geschichten. Dieses Mal fehlen diese ganz, was auch gut ist.

Dass man beim neuen Format nicht mutig oder um wirkliche Authentizität bemüht war, darf nicht gesagt werden. Gleich bei ersten Einsatz wird lange Zeit nur türkisch gesprochen; für die Zuschauer werden sämtliche Dialoge untertitelt – und dennoch ist da immer Mützenträger Weber im Bild und schon will keine Polizei-Atmosphäre mehr aufkommen. Ein bisschen weniger Klischee wäre hier gut gewesen. Abschreiben muss man «Die Straßencops» - auch aufgrund ihres doch recht offenen Konzepts – aber noch nicht. Es kann ja wahrlich niemand sagen, dass filmpool sich für Staffel zwei nicht Geschichten mit noch etwas authentischeren Charakteren ausdenkt.
22.09.2015 08:49 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/80915