Band Aids Don't Fix Bullet Holes.

MTV hat gesprochen: Taylor Swifts "Bad Blood" ist das Video des Jahres. Julian Miller mit einer inhaltlichen Analyse.

Die Londoner Innenstadt bei Nacht. Eines der oberen Stockwerke eines Bürogebäudes mit tollem Ausblick auf den Gherkin. Drinnen das kalte Neonlicht. Und Taylor Swift mit einer Mitstreiterin in Lack-und Leder-Kluft, die Anzug tragende Typen mit schwarzen Augenbinden verdreschen, wenn die Bürobubis nicht schon panisch durch die Gänge rennen. Bang. Bang. Bang, werden sie einer nach dem anderen von den Fäusten der Ladys oder ihrem gezielten Hieb mit einem silbernen Köfferchen ausgeknockt. Noch einmal schnell durchs Haar fahren – die Frisur sitzt.

Doch dann: Huch, da hält man sich am Smoothie fest. Taylors Mitstreiterin pustet ihr ein Pülverchen ins Gesicht, nimmt ihr das Köfferchen ab und schleudert sie aus dem Fenster. Taylor stürzt in die Tiefe und landet auf einem Autodach, das vom Einschlag ihres Körpers ganz zerdellt wird – ein Bild wie vom Cover eines amerikanischen Pulp-Heftchens aus den 40er Jahren. Now they got bad blood.

So geht es los, das Video des Jahres. Wie in einem high-level-Action-Film, als böge gleich Captain America um die Ecke und regele noch schnell den Rest.

Aber Taylor Swift braucht keinen Captain America. Sie kann das selber. Und, so kann man die weitere Handlung zumindest verstehen, baut sich eine Armee auf, um Rache zu nehmen. Bad Blood, bitches!

Wenn Taylor Swift anruft, würden im amerikanischen Showgeschäft derzeit wohl nicht viele Nein sagen. Und so verwundert es nicht, dass sich viele weltberühmte Schauspielerinnen, Musikerinnen und Models in die Taylor-Swift-Armee rekrutieren haben lassen und in kurzen Cameos im besten Musikvideo des Jahres auftreten.

Ellie Goulding. Cindy Crawford. Jessica Alba. Selena Gomez. Cara Delevingne und Lena Dunham – endlich vereint. In hautengen, zumeist aus Leder gefertigten Outfits marschieren sie mit strengen Blicken und in neun von zehn Fällen einer halbautomatischen Schusswaffe in der Hand durch eine futuristisch anmutende Militäranlage, die aussieht, wie man sich landläufig, inspiriert von jahrzehntelangen Einrichtungstraditionen angelsächsischer Agenten-Thriller-Stoffe, geheime CIA-Compounds vorstellt.

Das beste Video des Jahres ist wahrscheinlich auch das feministischste. Männer treten nur als unfähige Möchtegern-Ninjas auf, die von Taylor vermöbelt werden, oder in Form des gefeaturten Künstlers Kendrick Lamar, der im futuristischen Compound sitzt und ein bisschen was zu den Vorbereitungen auf den Kampfeinsatz rappt. Beiwerk.

Das Augenmerk liegt auf den kampfesmutigen Ladys, die den Krieg selbst in die Hand nehmen und am Schluss vor dem in Feuerwalzen aufgehenden London in die Schlacht ziehen. Noch mehr empowering geht es nicht.

Interessant ist da natürlich auch der außertextliche Hintergrund, vor dem der Song entstand. Wie allerorten betont wurde, entstand der Text mitunter als Kommentar auf Taylor Swifts Fehde mit Katy Perry, von der sie sich hintergangen fühlte, weil die einige Tänzer von ihr abgeworben hatte. Im Kontext zu diesem Video, dessen textliche Grundlage zumindest daraus entstand, heißt das nur eines: Der Bitchfight wird zum feministisch-emanzipatorischen Erlebnis, und aus den boulevardesken Schlammschlachten wird ein popkulturelles Kunstwerk, ein Stoff über Self-Reliance und Macht. Und der wird auch noch gut erzählt. Band aids don’t fix bullet holes. Was für ein Satz.

Und was für ein Video.
04.09.2015 12:30 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/80560