Der deutsche Tarantino heißt Justus von Dohnányi und sein Film, die Gangsterkomödie «Desaster» wird auch den letzten Skeptiker belehren: Das deutsche Genrekino ist nicht tot!
Saint-Tropez: zwei alternde Profikiller am Strand. Ihr Auftrag? Einen Schweizer Anwalt beschützen. Sein Name: Dr. Jürg Würsch (Stefan Kurt). Dieser ist nach Südfrankreich gereist. Gegen Belohnung soll er dem skrupellosen Gangsterboss Mischa (Milan Peschel) Justizgeheimnisse verraten. Und obendrein erhofft sich Würsch ein kleines Schäferstündchen mit Mischas attraktiver Gattin Lydia (Anna Loos). Der Haken? Würsch weiß nicht, dass Lydia ein doppeltes Spiel spielt. Mischa und Lydia wiederum wissen nicht, dass der Anwalt ebenfalls eigene Pläne verfolgt und genau deshalb zu seinem Schutz die beiden Profikiller Ed (Justus von Dohnányi) und Mace (Jan Josef Liefers) angeheuert hat. Dumm nur, dass sich Ed als penetranter Macho-Proll herausstellt und den Plan von Würsch durch sein dämliches Verhalten völlig durcheinander bringt. Niemand spielt mit offenen Karten. Intrigen werden gesponnen, Fallen werden gestellt. Als Ed aus Versehen Mischas Mutter (Angela Winkler) von der Brüstung der Finka schubst, nimmt das Desaster unaufhaltsam seinen Lauf. Nur so viel ist klar: Hier hat jeder Dreck am Stecken.
Regisseur Justus von Dohnányi, der auch eine der Hauptrollen spielt, sowie sein Kollege und Ko-Produzent Jan Josef Liefers konnten sich es sich bei den Dreharbeiten zu «Desaster» so richtig gut gehen lassen.
Ohne jene, möchte der geneigte Kinozuschauer meinen, kann ein Film doch eigentlich nicht funktionieren. „Kann er doch!“, behauptet die Verfasserin dieser Zeilen, die hinzufügen möchte, dass «Desaster» in den Vorabvorstellungen für die Presse durchgehend gespalten aufgenommen wurde. Während sich die Herren der Schöpfung an den Eskapaden der Ganovenrotte kaum sattsehen konnten, hielten sich die Damen mit ihrem Lob zurück. Ein Beweis für die «Desaster»-Einordnung als eine Art „Männerfilm“, denn sowohl vor als auch hinter der Leinwand zeichnet vorzugsweise das „starke Geschlecht“ verantwortlich. Die Ausnahme von der Regel bildet die Rolle von Anna Loos («Anatomie») als verführerische Femme Fatale, die sich ihrem heißblütigen Image jedoch nicht unterwirft, sondern ihre ganz eigenen, durchaus feministisch geprägten Pläne schmiedet. Bis es soweit ist, stehen allerdings die philosophischen Ausschweifungen Von Dohnányies sowie die pragmatischen Lebensentwürfe Liefers‘ im Mittelpunkt. Es wäre zu simpel, die Figurenzeichnungen beider mit bereits existenten Hollywoodcharakteren zu vergleichen; Clive Owens verboten cooler Smith aus Michael Davis‘ Kult-Actioner «Shoot ‘Em Up» könnte noch als einer der Ersten für einen direkten Vergleich taugen, doch im Grunde verbietet es die Originalität von «Desaster», Ed und Mace lediglich als Abwandlung bekannter Schurkenfiguren zu betrachten. Jan Josef Liefers und Justus von Dohnányie machen ihre Protagonisten zu einzigartigen, nicht selten an der Grenze zur Karikatur schrammenden Kunstfiguren, die mithilfe knackiger One-Liner das Zeug haben, in wenigen Jahren Kult zu sein. Stefan Kurt (demnächst auch in «Ich und Kaminski» zu sehen) brilliert als in Extremsituationen seiner Schweizer Herkunft verfallene Anwalt, dessen kaum einschätzbare Aura durchaus Anlass zu der Frage gibt, wie sehr man seiner Figur vertrauen kann, und Milan Peschel («Schlussmacher») beweist, dass er entgegen seines zuletzt bevorzugten Tollpatsch-Typus weitaus besser besetzt ist, wenn auch er endlich einmal von der Leine gelassen wird.
Trotz einer insgesamt sehr hohen Gagdichte ist jedoch auch «Desaster» nicht davor gefeit, die eine oder andere Pointe durchaus zu versemmeln. Doch anstatt die üblichen Faktoren für derartige Fauxpas zurate zu ziehen, die sich bisweilen in einem mangelnden Timing-Verständnis wiederfinden oder in der simplen Erklärung, Regisseur und Drehbuchautor würden Dinge witzig finden, die dem Publikum vollends abgehen, so liegt hier der Eindruck nahe, Justus von Dohnányi hätte sich der Authentizität wegen immer mal wieder bewusst zurückgehalten, um aus «Desaster» keine herkömmliche Sketch-Parade zu machen. Dafür ist die Krimikomödie technisch von einem wesentlich ausufernden Stil geprägt und verlässt sich auf Musik und Kameraarbeit als zusätzliche Erzählebene. Wenn Milan Peschel zu dröhnendem Heavy Metal durch einen spärlich beleuchteten Autobahntunnel fährt, kann ein derartiges Bild nur dann zur vollen Entfaltung finden, wenn sämtliche Faktoren im Einklang sind. Peschels Gestus, die aggressiven, jedoch nicht minder paralysierenden Bass- und Gitarrenklänge sowie die fiebrige Bildsprache treiben das Tempo in derartigen Szenen bis zum Anschlag hoch und knallen dem Zuschauer die kompromisslose „Alles ist möglich“-Intention voll in die Fresse. «Desaster» ist keine Spazierfahrt und nimmt auf nichts und niemanden Rücksicht. Und genau deshalb hat die deutsche Filmlandschaft diesen Film so dringend gebraucht.