Dissens im Ländle

Die Kritiker: "Der Inder", die neue «Tatort»-Folge aus Stuttgart, unternimmt den Versuch, Stuttgart 21 zu thematisieren. Mit begrenztem Erfolg...

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Richy Müller als Thorsten Lannert
Felix Klare als Sebastian Bootz
Thomas Thieme als Busso von Mayer
Robert Schupp als Jürgen Dillinger
Katja Bürkle als Petra Keller
Gabriela Lindlova als Gabriela Lindlova
Ulrich Gebauer als Rubert Heinerle

Hinter der Kamera:
Produktion: SWR und Maran Film GmbH
Drehbuch und Regie: Niki Stein
Kamera: Stefan Sommer
Produzenten: Sabine Tettenborn und Nils Reinhardt
Stuttgart 21 ist auch Jahre nach den umfangreichen Protesten und nach einem grün-roten Regierungswechsel immer noch ein Brennpunkt im Ländle. Es zu einem Kernthema im neuen «Tatort» aus der baden-württembergischen Landeshauptstadt zu machen, scheint da nur folgerichtig.

Ein Staatssekretär im Bauministerium hatte einem dubiosen indischen Investor millionenschwere Bürgschaften des Landes zugeschanzt, damit der zusammen mit einem Architekten namens Busso von Mayer auf den durch die Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs frei werdenden Flächen ein riesiges Bauprojekt hochziehen kann. Doch der indische Investor entpuppte sich als mittelloser Hochstapler, von Mayer wanderte in den Knast und der Staatssekretär wurde vor einen Untersuchungsausschuss des Landtags gezogen, dessen Vorsitzende ihn genüsslich demontiert. Bei einer anschließenden Stellungnahme für die Presse wird er von einem Anti-Stuttgart-21-Aktivisten mit einem Farbbeutel beworfen, und wenig später, als er mit dem abgewählten Ministerpräsidenten Heinerle wie üblich joggen gehen will, von einem dubiosen Killer erschossen.

Bootz und Lannert bekommen klare Anweisungen: Sie sollen den Ex-Landesvater aus den Ermittlungen – und vor allem aus den Presseberichten – raushalten. Dafür besucht Lannert öfter den verknackten Architekten in der JVA, der ein kleines geistiges Katz-und-Maus-Spiel mit ihm anfängt und ihn auf die Spur einen Komplotts amerikanischer Großkonzerne (vulgo „Heuschrecken“) bringt.

Die Debatte um Stuttgart 21 wird in Baden-Württemberg vor allem von den Gegnern des Projekts seit Jahren mit geradezu missionarischem Eifer geführt. Auf beiden Seiten sind die Gemüter schon lange so erhitzt, dass eine sachliche Diskussion kaum noch möglich ist. Keine leichte Ausgangsposition für „Der Inder“ also. Noch dazu, weil implizit glasklar Position bezogen wird, wenn die Figuren gekünstelt und nur mit Mühe in Dialogform gebrachte Exposition abladen müssen. Der Tenor: Stuttgart 21 ist ein schweineteures Wahnsinnsprojekt, für das allerhand unkalkulierbare Risiken eingegangen werden, nur damit die Züge von München nach Frankfurt eine Viertelstunde weniger brauchen. Kann man so sehen. Muss man aber nicht. Und hört sich oft nach Stimmungsmache und billigem Populismus an.

Zumal Politiker in diesem «Tatort» nur als völlig lächerliche oder zwielichtig-taktierende Figuren vorkommen: Zum Einen der abgewählte Ministerpräsident, der das Wählervotum nur schwer verkraftet, was seinem Größenwahn aber keinen Abbruch tut, und der bei all der überkandidelten Zuspitzung jedwede Glaubwürdigkeit als Figur verliert. Und zum anderen die Vorsitzende des Untersuchungsausschusses aus einer den Grünen nachempfundenen Öko-Partei, deren Politikstil sich nur graduell von dem der etablierten Konservativen unterscheidet und eben – anders als für die Außenwirkung behauptet – nicht prinzipiell.

Doch das ist schon das Maximum dessen, was der neue «Tatort» aus Stuttgart an politischer Komplexität so zulässt. Man bleibt bei den klischeebeladenen Allgemeinplätzen, die schon viele Krimis schwer erträglich gemacht haben: Die düsteren Machenschaften straff organisierter Hedgefonds sind düster, das aufgeblasene Geplauder ihres geleckten Geschäftsführers ist aufgeblasen, die ganz netten Bauernopfer sind eigentlich ganz nett und das dreckige Polit-Geschäft ist eben – Sie haben es erraten! – dreckig.

Wir erinnern uns an letzte Woche: Erst da scheiterte wieder mal ein «Tatort» am suggestiven Einflechten kontroverser gesellschaftlicher und politischer Debatten, weil man aus den Figuren maßlos überzeichnete Karikaturen machte. Bis auf die anderen Rollennamen, die anderen Spezifika (Stuttgart 21 statt Offshore-Windparks) und die Verlagerung des Spielorts von der Küste Bremerhavens runter ins schwäbelnde Stuttgart ist am kommenden Sonntag nicht viel anders.

Nicht, dass noch Heiner Geißler schlichten muss…

Das Erste zeigt «Tatort – Der Inder» am Sonntag, den 21. Juni um 20.15 Uhr.
19.06.2015 13:42 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/78959