#SorryNotSorry – «True Detective» und der Mythos von der Serienrevolution

Es ist Zeit, Klartext zu sprechen! In unserer neuen Reihe #SorryNotSorry bekommen unsere Redakteure die Gelegenheit, Ihre ganz persönliche Meinung gegen den vorherrschenden Konsens zu vertreten. Den Anfang macht Antje Wessels, die ihre Hassliebe zu «True Detective» zu begründen versucht.

Über «True Detective»:

«True Detective» handelt von den Polizisten Rustin Cohle und Martin Hart. Die beiden arbeiten erst seit kurzem zusammen, nehmen sich jedoch schon am Anfang der Serie einem ritualisiert wirkenden Mord an, der die beiden noch 17 Jahre auf Trab halten soll. Während Cohle nach dem Tod seiner Tochter und damit einhergehender Alkohol- und Drogensucht eher introvertiert ist, verkörpert Hart den Familienvater mit strenger Moral, der allerdings ebenfalls fehlerbehaftet ist...
Es war der 12. Januar des Jahres 2014. Auf dem US-amerikanischen Privatsender Home Box Office, kurz: HBO, ertönen die Klänge von Far from Any Road des Alternative-Country-Duos The Handsome Family. Das Bild zeigt eine perfekt auf den Beat abgestimmte Bildmontage in surrealistischem Gewand. Beste David-Lynch-Manier mit Köpfen und Quallen, die ineinander verschmelzen, mit brennenden Frauenkörpern und antiquiert anmutenden Telefonen, in Gestalt einer uns bislang (noch) unbekannten Frau. Bedeutungsschwanger inszenieren, das kann der Kalifornier Cary Fukunuga, der für sämtliche Folgen der insgesamt acht umfassenden, ersten Staffel der Thriller-Serie «True Detective» verantwortlich zeichnet. Und die Serienwelt frohlockt! Ganz so mag es sich der Schöpfer Nic Pizzolato vorgestellt haben, denn für sein Format heimste der auch als Hochschullehrer tätige Drehbuchautor nicht nur das Lob der weltweiten Fachpresse ein, sondern wird zugleich auch als Urheber einer neuen Serienrevolution gefeiert. «True Detective» hat Formate wie «Mad Men» oder «Breaking Bad» an der Spitze des Fernseholymps abgelöst. Die zweite Season, in welcher die Hollywoodstars Colin Farrell («Nicht auflegen!»), Vince Vaughn («Die Hochzeits-Crasher») und Rachel McAdams («Sherlock Holmes») in die übergroßen Fußstapfen von Matthew McConaughey («Dallas Buyers Club») und Woody Harrelson («Die Tribute von Panem») treten werden, startete am Sonntag in den USA. Winzige Bildausschnitte, Trailerankündigungen und erste Auszüge des Plots legen regelmäßig Social-Media-Dienste wie Twitter lahm und breiten sich in Windeseile in der fachbezogenen Timeline aus. Und wieder frohlockt sie – die neue Generation leidenschaftlicher Seriengucker, die dachte, mit «Game of Thrones» und «Broadwalk Empire» sei das qualitative Optimum längst erreicht.

Doch wo es eine Regel gibt, da ist die Ausnahme nicht weit. Denn eine, die kann sich den Hype um die hierzulande bei Sky ausgestrahlten Serie nicht erklären, geschweige denn die Euphorie teilen. Dass sie damit ziemlich alleine ist, hindert sie nicht daran, etwas zu dem Thema in die Zeilen zu tippen, die Sie, liebe Leserin, lieber Leser, hier lesen dürfen. Denn wo ein Konsens ist, da muss auch etwas existieren dürfen, was diesem Einhalt gebietet. Die Verfasserin dieses Berichts möchte sich an dieser Stelle wohlweislich nicht mit den unzähligen «True Detective»-Liebhabern anlegen; respektiert sie die Serie trotz des inneren Widerstands gegen das Einstimmen in die Lobhudelei doch als handwerklich sehr gut gemachtes und inhaltlich wohl durchdachtes Fernsehen. Doch die stille Hoffnung der Redakteurin ist die, dass es da draußen vielleicht noch eine Handvoll mehr Serienliebhaber gibt, die sich skeptisch mit dem Format auseinandersetzen und ebenso unschlüssig darüber sind, wie es die philosophischen Eskapaden der Detectives Cohle und Hart zu einer solch überschwänglichen Fanbase bringen konnten. So ist dies hier keine Kriegserklärung! Dies ist ein Denkanstoß!

Geurteilt wird viel, wenn der Tag lang ist. Erst recht dann, wenn es an vergleichbarer Konkurrenz zum zu bewertenden Produkt mangelt. Eines müssen aber auch schärfste Kritiker – sollte es neben der Autorin dieses Artikels denn überhaupt solche geben – neidlos anerkennen: «True Detective» füllte 2014 eine inhaltliche Lücke. Eine Serie wie «Twin Peaks» hatte in den Neunzigerjahren durch ihr stetes Genre-Wechselspiel das Serienfernsehen revolutioniert. Leider hat es der Zukunft dadurch aber auch vielfältige Überraschungsmomente geraubt, denn durch David Lynchs Kultformat weiß der Kenner heute eines ganz sicher: Alles kann passieren, denn die Serie hat das unkonventionelle Storytelling längst auch im Fernsehen etabliert. So ist das Publikum vor einem etwaigen Aha-Effekt mittlerweile immun. Ebenjenen mag die Verfasserin dieses Artikels zwar auch in «True Detective» nicht zu erkennen, aber immerhin schaffte es Nic Pizzolato über viele Folgen hinweg, sein Publikum in einer solch emotionalen Schwebe zu halten, wie es der Zuschauer im herkömmlichen Fernsehprogramm nicht mehr gewohnt war.

Womit auch bereits das erste von vielen «True Detective»-Kuriosa angesprochen sei. Das Crime-Format spielt mit einer Atmosphäre, die den Zuschauer lange Zeit darüber im Unklaren lässt, wie stark die seriellen Geschehnisse in der Realität verwurzelt sind. Angesichts der bereits zurate gezogenen Lynch-Odyssee «Twin Peaks» steht eines außer Frage: Neu ist das Ganze nicht, wenn auch immerhin selten. Doch wo der surrealistische Tausendsassa in den Neunzigern Twist auf Twist folgen ließ, die Zuschauer zuhause vor Unnahbarkeit schier in den Wahnsinn trieb und hinter den vielen Andeutungen ein wohl durchdachtes Konzept steckte, dessen schrittweise Auflösung zur Phänomenbildung beitrug, so schnappt sich Schöpfer Pizzolato respektive Regisseur Fukunuga lediglich die undurchsichtige Oberfläche und denkt diese nicht zu Ende. Viele loben die stets im Raum stehende Frage, ob «True Detective» irgendwann ins Mystische kippen wird, oder ob die Schöpfer an einer ebenso logischen wie realistischen Inszenierung festhalten werden. Doch die Verfasserin dieser Zeilen stellt sich da die Frage: Wozu wirft man inhaltlich irrelevante Fragen auf, wenn sich die Nichtbeantwortung ebenjener auf nichts auswirkt? Das Spiel mit zurückgehaltenen Informationen beherrscht niemand so gut wie David Lynch; und diesem scheint der «True Detective»-Schöpfer zwar nachzueifern, berücksichtigt dabei aber nicht, dass sein Format den inhaltlichen Fokus auf ganz andere Dinge legt, als es «Twin Peaks» und vergleichbare Serien- wie Filmproduktionen tun. Die angedeuteten, übernatürlichen Elemente verpuffen nicht nur, ihre Spuren laufen ins Nichts und nehmen bewusst Tempo aus der ohnehin schon äußerst zurückhaltend voranschreitenden Story. In «Twin Peaks» standen die Mysterien der gleichnamigen Stadt im Mittelpunkt. Die Serie war ein Phänomen, weil der im Fokus stehende Mord an Laura Palmer schon innerhalb der Auftaktepisode an den Rand gedrängt und von der Frage übernommen wurde, was für ein Geheimnis die obskure Dorfgemeinschaft birgt. «True Detective» verpasst die Verschiebung des erzählerischen Mittelpunkts; Hauptanliegen der Serie bleibt die Aufklärung des Mordes durch die beiden Detectives. Alles andere ist bis zum Finale nicht mehr als schmuckes Beiwerk.

Werfen wir auf jene Ermittler doch sogleich einen ausführlichen Blick. Die Verpflichtung von zwei A-Liga-Hollywoodstars ist nicht nur vermarktungstechnisch ein raffinierter Schachzug, er verschafft der Serie schon einen Image-Push, bevor sie überhaupt etwas geleistet hat. Immer mehr Filmschauspieler wenden sich dem US-Serienfernsehen zu; der Ruf, auf der Leinwand bekäme man heute nur noch Zweitklassiges zu sehen, eilte «True Detective» zwar längst voraus, doch die Liebhaber der Serie sehen sich durch die Performances von Oscar-Preisträger Matthew McConaughey und dem Academy-Award-Nominierten Woody Harrelson noch zusätzlich in ihrer These bestärkt. Betrachten wir die Schauspielleistungen selbst doch erst einmal ganz nüchtern: Ja, beide Akteure agieren auf ihrem gewohnten Niveau. Gewohnt heißt für Harrelson und McConaughey: stark. Sehr stark. Doch das Verschmelzen mit mehrdimensionalen Rollen ist für beide nichts Neues. Die beachtliche Leistung in «True Detective» entspricht ihrem Hollywood’schen Leistungsstand. Eine Auszeichnung für ihre Darbietung ist angesichts der tiefschürfenden Rollenzeichnung also wenig verwunderlich. Was hingegen verwunderlich ist, ist der Verfasserin dieser Zeilen zufolge der Applaus für die vermeintlich hochintellektuelle Figurenzeichnung. Womit wartet «True Detective» denn eigentlich auf? Die Hauptfiguren sind zwei charakterlich vollkommen unterschiedliche Ermittler – Standardrepertoire in gängigen Cop-Filmen und -Serien. Beide haben nicht nur im Job Probleme, sondern stehen auch privat auf wackeligen Beinen – ebenfalls Genre-Standard. Beide ermitteln zusammen in einem Mordfall. Es bleibt nach wie vor Standard. Wodurch sich die Serie allerdings ihr Alleinstellungsmerkmal erarbeitet, sind zwei Dinge: Die Dialoge der Detectives kommen mit vermeintlich philosophischer Dichte daher und das Storytelling macht sich nicht bloß eine Zeitebene zunutze, sondern gleich zwei.

Widmen wir uns den erfolgbringenden Faktoren nacheinander. Kommen wir zunächst auf das zu sprechen, was die zwei Ermittler während ihrer acht Stunden umfassenden Odyssee von sich geben: Die Drehbücher sämtlicher «True Detective»-Episoden bestehen zu einem Großteil aus bedeutungsschwangeren Gedankengängen der Detectives Hart und Cohle, die sich – auf den Kern herunter gekürzt – damit befassen, wie bitterböse der Mensch ist. Zugegebenermaßen lässt sich darüber auch weitaus weniger hintersinnig schwadronieren, als es sich Nic Pizzolatto für seine beiden Antihelden überlegt hat, doch schlussendlich bleibt die Erkenntnis, dass Kino und Fernsehen schon seit Jahrzehnten die Faszination für das Böse im Menschen vereinnahmt haben. David Finchers «Sieben» ist einer der Wegbereiter für kinematografische Unterhaltung, die ein solch düsteres Weltbild zeichnet, dass sich der Zuschauer trotz aller Abscheu nicht ihrer Faszination entziehen kann. Des besseren Vergleichs wegen noch eine kurze Aufzählung von TV-Formaten, die mit selbiger Intention an ihr Tagwerk gehen, jedoch weitaus weniger aggressiv gehyped, sondern einfach „nur“ gelobt werden: «Hannibal» findet so etwas wie Poesie in Mord und Totschlag und macht die Gedankengänge eines Kannibalen zu so etwas wie Hochkultur. «The Wire» dokumentiert die Arbeit US-amerikanischer Cops ohne jedwede Romantisierung, was das Böse auf einer Augenhöhe mit dem Zuschauer belässt. Und selbst das sonst eher für Spaß und opulente Bildgewalten stehende Fantasykino hat mit «Game of Thrones» längst ein unterhaltungsbefreites Pendant gefunden. All diese Serien gehören zweifelsohne zum Non Plus Ultra des aktuellen Serienfernsehens; gerade letztgenanntes Format darf sich je nach Tagesform auch immer mal wieder mit dem Titel „Beste Serie aller Zeiten“ schmücken. Doch hier sieht die Verfasserin dieses Artikels ebenjene Revolution, die sie in «True Detective» eben nicht erkennen kann.

Es folgt der Blick auf die Zeitebene: Zum Konzept von «True Detective» gehören regelmäßige Wechsel zwischen dem Ist-Zustand im Jahr 2012, sowie Rückblenden ins Jahr 1995. Dieser Kniff ist ein interessanter Ansatz, um die Geschichte abwechslungsreich aufzubereiten und da beide Zeitebenen auch für sich allein stehend gut funktionieren, erweist sie sich als lohnenswerte Form der Inszenierung, um einen mehrere Jahrzehnte überdauernden Fall seriell aufzubereiten. Die Äußerung, «True Detective» würde dadurch bisher nie da gewesenes Terrain betreten, ist allerdings falsch, denn in Serienhandlungen eingebaute Zeitsprünge zwecks Suspense-Steigerung gab es schlicht schon mehrmals und das auch in bekannten Formaten. «Alias» nutzte diese Methode im Rahmen der dritten Staffel, genauso wie «Desperate Housewives» in einer späteren Season. Hinzu gesellen sich unter anderem «Californication», «Sherlock» und «Ghost Whisperer». Dass diese Formate nicht innerhalb sämtlicher Folgen zwischen einzelnen Zeiten hin- und herspringen, ist zwar korrekt – dafür muss man sich schon gezielt «Lost» zuwenden. Doch der Effekt – das Vorantreiben der Story durch die Zuhilfenahme unterschiedlicher Handlungszeitpunkte – ist derselbe.

Was bleibt also übrig, wenn eine Skeptikerin wie jene, die diesen Artikel geschrieben hat, «True Detective» auf ihr Grundgerüst herunter kürzt? Es bleibt eine sehr gut gespielte US-Crime-Serie, deren technische Aufmachung beeindruckt und die handwerklich von einem herausragenden Niveau ist. Doch das war’s. So sei noch einmal erwähnt, dass es nicht der Zweck dieses Artikels sei, Liebhaber der Serie umzustimmen. Aber vielleicht ist er das Sprachrohr für jene, denen der Hype in letzter Zeit auch ganz schön auf die Nerven ging.

In friedlicher Absicht:

Antje Wessels
23.06.2015 12:00 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/78945