Die österreichischen „Housewives“ treiben es wild

Die Kritiker: Als Vorlage zur österreichischen Serie «Vorstadtweiber» diente offensichtlich das US-Format «Desperate Housewives». Eine bloße Kopie ist die ORF-Variante aber nicht.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Gerti Drassl («Das Wunder von Kärnten») als Maria Schneider, Juergen Maurer («Das Glück dieser Erde») als Georg Schneider, Gertrud Roll («Schicksalstage in Bangkok») als Anna Schneider, Johannes Nussbaum als Simon Schneider, Maria Köstlinger als Waltraud Steinberg, Simon Schwarz («Die Siebtelbauern») als Josef Steinberg, Martina Ebm als Caroline Melzer, Bernhard Schir («Typisch Sophie») als Hadrian Melzer, Nina Proll («Buddenbrooks») als Nicoletta Huber, Lucas Gregorowicz («Chiko») als Bertram Selig, Adina Vetter als Sabine Herold und viele mehr


Hinter den Kulissen:
Regie: Sabine Derflinger, Buch:Uli Breé, Musik: Stefan Schrupp, Kamera: Eva Testor, Schnitt: Bettina Mazakarini, Produktion: MR-Film

„Zeitgeistig und frech“ sollen die «Vorstadtweiber» sein. Das jedenfalls kündigte ORF-Fernsehdirektorin Kathrin Zechner im Vorfeld der Koproduktion von ihrem Sender mit der ARD an. Im Wiener Reichenviertel angesiedelt erzählt das Format von einer Gruppe Frauen, die sich vor allem über das Gehalt ihres Mannes definieren. Selbstredend will sich der ORF nicht vorwerfen lassen, damit Geschlechterklischees zu zementieren, weshalb der Sender die Produktion kurzerhand als Persiflage angekündigt hat. Die Frage, ob das tatsächlich gelingt, sei an dieser Stelle noch auf einen späteren Teil des Artikels vertagt. Aus Quotensicht ist es aber wahrlich eine Goldgrube, die man beim ORF aufgetan hat: Schon zum Auftakt schalteten im Nachbarland über 800.000 Zuschauer ein, womit man die stärkste fiktionale Produktion seit vielen Jahren war. In späteren Folgen waren es dann sogar über 900.000 Menschen vor den Schirmen.

Eine hohe Quantität an Zuschauern lässt aber ohne Zweifel nicht auf eine hohe Qualität schließen, zumal es ja ohnehin fraglich ist, inwiefern sich der Zuschauererfolg auf den deutschen Markt übertragen lässt. Es bleibt aber zumindest die Möglichkeit, auf das zu schauen, was die Produktion eigentlich bietet – und ein begeisterndes Bild sieht aus Kritikersicht jedenfalls anders aus. Zunächst einmal fällt nämlich auf, dass es quasi überhaupt nicht möglich ist, eine ordentliche inhaltliche Zusammenfassung darzustellen, weil die Charaktere schlicht und ergreifend so austauschbar sind, dass kaum etwas in Erinnerung bleibt. Nun wäre es in einem Format mit komödiantischem Unterhaltungsanspruch nicht weiter schlimm, wenn die Figuren als solche nicht besonders deep sind. Leichte Stereotypisierungen sind ganz im Gegenteil sogar oft sinnbringend. Das Problem ist viel mehr, dass sowohl annähernd alle weiblichen als auch annähernd alle männlichen Figuren den gleichen Stereotypen bedienen. Die Frauen nämlich sind teilweise deutlich jünger als ihre männlichen Counterparts, Treue wird bei ihnen nicht groß geschrieben und es dreht sich alles um Geld und Sex. Die Männer hingegen sind erfolgreiche Geschäftsmänner und scheren sich nicht besonders um ihre Gattinnen, außer es dreht sich um Geld und Sex. Und ja, es mag nun sein, dass eine der Frauen geschieden ist und die andere nebenbei immerhin arbeitet, indem sie Designerklamotten verkauft; genauso wie der eine Mann eher der Betrogene und ein anderer Kerl eher der Betrüger ist. Letztlich aber sind das immer nur verschiedene Entwicklungsstufen von ein und demselben Charakter.

Ein Potpourri des Immergleichen
Nichtsdestominder soll an dieser Stelle versucht werden, eine inhaltliche Zusammenfassung der Auftaktepisode zu bieten (was repräsentativ für den Rest der Serie reichen sollte). Dies geschieht allerdings ausdrücklich nicht aufgrund von gegebener Relevanz, sondern aus einem einfachen Grund: Dem Verständnis, welch riesiges Potpourri des Immergleichen die Story eigentlich ist. Aus vorgenannten Gründen sei an dieser Stelle erwähnt, dass diese Inhaltsangabe nur mit leichter Unterstützung des Pressedienstes der ARD entstehen konnte. Die gelangweilte Maria lädt in den Anfangsminuten der Reihe die Society-Ladies zur Dessousparty (zufällig veranstaltet von einer alten Freundin), wobei diese sich unheimlich verrückt vorkommen. Dass sie genau damit die Speerspitze der Spießigkeit darstellen, macht kurz darauf die Schwiegermutter von Maria klar. Als sie plötzlich in den Raum platzt, merkt sie an, dass man sowas ja früher nicht gebraucht hätte: „Wir haben es auch so überall getrieben.“ Diese Passage entwaffnet zwar die Damen ein Stück weit, szenisch will die Serie aber den Fokus darauf legen, dass die Omi über Sex geredet hat. Hihi. Wenn die persiflierte Realität also nicht in einer sechsten Klasse stattfinden sollte, dann wurde der Fokus hier selbstredend falsch gelegt.

Als die lustigen Sex-Witzchen dann passé sind, unterhalten sich die Frauen kurz über ihre Halbwertszeit als Begleiterinnen ihrer laufenden Geldbeutel. Anschließend trennen sie sich, damit eine der Damen Marias Teenie-Sohn zur Lateinnachhilfe empfangen kann, wobei der Begriff Lateinnachhilfe hier selbsterklärend für Geschlechtsverkehr steht. Eine andere Dame trifft sich unterdessen mit dem Geschäftsfreund ihres Mannes. Warum? Na sie wissen schon. Dass der dazugehörige Gatte während des Aktes sowohl seine Frau als auch den Kopulationspartner anruft, ist dabei tatsächlich noch der gelungenste Gag der Auftaktfolge. Die einzige unter den Society-Damen, die arbeitet, muss unterdessen feststellen, dass ihre Nobel-Boutique ausgeraubt wurde und bemüht sich kurzerhand halblegal um Ersatzware. Immerhin: Hier wird nur über Sex geredet, die Kleider bleiben aber alle an. Bei den Männern wird zur gleichen Zeit mit Insiderwissen ein hoch rentabler Deal eingefädelt, ein anderer der Herren gibt wiederholt vor, nach Dubai zu reisen, bleibt aber tatsächlich am Boden, um etwas Privates zu erledigen. Wie gesagt: Sie wissen schon. Geht ja eh immer um das Gleiche.

Überraschend reflektiert allerdings sind die Damen der Schöpfung immerhin, anders als es vielleicht zu erwarten stand. Immer wieder wird gezeigt, dass sie um ihre geistige Beschränktheit ebenso wissen, wie darum, dass sie für ihre Männer ein junges Spielzeug sind – und genau so, dass sie selbst nur auf die Kreditkarte des Mannes aus sind. Das lässt die Erzählweise ein wenig pointierter erscheinen, weil es aber zeitgleich an einer Einordnung oder Relativierung fehlt, wird die Grundidee einer tiefgründigen Persiflage eher pervertiert: Ohne fehlenden Gegenpart nämlich ist die Welt nur beschränkt. Vielleicht aber ist das auch einfach ein auszugsweises Abbild der Realität. Ob dies dann aber unreflektiert gezeigt werden sollte, wäre in dem Fall die nächste Frage. Auf diese Art und Weise erscheint es einfach sexistisch.

Trotz vieler Schwächen: Eines schafft die Produktion
Das Gleiche wie die «Desperate Housewives» sind die «Vorstadtweiber» damit nicht, auch wenn deutlich erkennbar ist, dass das Vorbild die US-Serie gewesen sein muss. Obwohl ORF und ARD zusammengearbeitet haben, ist der Production Value natürlich geringer als der vom US-Vorbild, gerade optisch macht sich das bemerkbar. Durch eine kluge Story und ein starkes Ensemble wäre das sicher auszugleichen gewesen. An der Geschichte mangelt es aber wie vorher beschrieben deutlich. Die Darsteller sind nicht wirklich mies, besonders stark ist aber auch niemand, was sicherlich auch an den seltsamen Büchern liegen mag. Vieles passt dann auch sonst einfach nicht zusammen. Wenn zum Beispiel in der dicken Karre einer Familie zum Abkleben des Herstellerlogos eine Prilblume verwendet wird, so wirkt das doch irgendwie konfus. Auch wenn eine der Damen bei ernsthaften Problemen ihre Teenie-Affäre um Hilfe bittet, glaubt der Zuschauer nicht an realistische Begebenheiten. Immerhin: Einen gewissen Wunsch, zu erfahren wie es weiter geht, fördert die Serie trotzdem. Vermutlich ein Grund, warum man im Nachbarland so erfolgreich war. Die Cliffhanger: sie sitzen.

Wenn es dann jedoch wirklich einmal heikel wird, scheint beim ORF der Cutter eingeschritten zu sein: Der Chef der rechtspopulistischen Partei FPÖ wurde in einer Szene als „schwul“ bezeichnet, in der tatsächlichen Ausstrahlung war diese Sequenz nicht zu sehen. Blöd nur: Die Untertitel wurden nicht angepasst, weshalb die Zuschauer den Schnitt bemerkten. "Im üblichen Prozess der Endfertigung der Sendefassung werden nicht handlungs- und genrerelevante Dialog- und Bildstellen von Filmen und Serienfolgen, geändert, gekürzt oder erweitert", erklärte der ORF dazu auf Anfrage der österreichischen Presseagentur APA. In diesem Fall ging es darum, „die Serie von innerösterreichischen Anspielungen frei zu halten und keine Namen real existierender Personen zu verwenden, die darüber hinaus für das Publikum des Koproduktionspartners ARD nicht verständlich sind,“ so der Sender weiter. Ob das nun der Realität entspricht oder, ob nur dieses (durchaus auch politische) Statement weggelassen werden sollte, darf an dieser Stelle jeder selbst entscheiden.

Entscheidend ist das aber natürlich letzten Endes sowieso nicht. Gerettet hätte auch eine solche Szene nicht mehr viel. Sie wäre nur ein Tropfen auf dem heißen Stein gewesen: Inhaltliche Relevanz sucht man vergebens, unterschiedliche Charaktere sowieso. Eine gelungene Persiflage ist die Serie damit sicher nicht. Allein aber die Tatsache, dass die Cliffhanger einigermaßen gut gelingen und der Triumphzug auf dem österreichischen Markt, schließen einen Erfolg im Ersten nicht aus. Und der Sendeplatz am Dienstagabend ist ja um Himmels Willen auch gelernt. Macht schon mal jemand den Champagner auf?

Das Erste zeigt die Serie «Vorstadtweiber» ab Dienstag, 5. Mai wöchentlich um 20.15 Uhr. Zum Auftakt gibt es eine Doppelfolge.
04.05.2015 13:34 Uhr  •  Frederic Servatius Kurz-URL: qmde.de/77951