Der Fernsehfriedhof: Game of Tones

Christian Richter erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 306: «Telespiele» - Die verrücktesten Videogames, die je in einer deutschen TV-Show gespielt wurden.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir einer äußerst progressiven und zugleich unglaublich schrägen Show.

«Telespiele» wurde am 11. November 1977 im Südwestfunk geboren und stellte eines der ersten Fernsehengagements des ehemaligen Radiomoderators und späteren Samstagabend-Stars Thomas Gottschalk dar. Das ist längst bekannt und schon mehrfach erzählt worden. Aber dieser Aspekt ist es nicht allein, warum die Sendung eine fernsehhistorische Bedeutung erlangt hat. Viel bemerkenswerter ist ihr zugrundeliegendes Prinzip, das witzig und innovativ war und zudem den damaligen Zeitgeist perfekt widerspiegeln konnte. In einer Zeit als nämlich die ersten Videospiele (damals noch „Bildschirmspiele“ genannt) für einfache Verbraucher erhältlich waren, ermöglichte sie den Zuschauern, über das Fernsehen an solchen Computerspielen von zu Hause aus teilnehmen und gegen andere Menschen im Studio antreten zu können.

Diese Verknüpfung von Fernsehen und Computergames bildete eine technische Neuerung, obwohl es sich bei ihr gar nicht um das erste interaktive Format handelte. Bereits ab 1964 lief beispielsweise schon «Der Goldene Schuss», wo Kandidaten, die per Telefon live zugeschaltet waren, eine Armbrust mit den verbalen Befehlen „hoch“, „runter“, „links“ und „rechts“ zu justieren hatten, damit der abgeschossene Pfeil einen Faden durchtrennte. Dazu war die Waffe so auf eine Kamera montiert worden, dass deren Fadenkreuz mitten auf dem Bildschirm erschien. Erreicht wurde die Steuerung dann dadurch, dass eine Person hinter der Kamera, die gegebenen Sprach-Kommandos schlicht manuell ausführte. Auf einem ähnlichen System basierte später auch die beliebte Rubrik «Superball» im «Sat.1 Frühstücksfernsehen».

Im Vergleich zu seinen Vorgängern lag die wahre Innovation bei Gottschalks Variante vielmehr darin, dass die Lenkung des Spiels deutlich unmittelbarer und einfallsreicher erfolgte. Zwar wurde einmal mehr das Telefon als Umweg und Ersatz für einen fehlenden Rückkanal der analogen Rundfunktechnik genutzt, doch diesmal das akustische Telefonsignal erstmals direkt mit einem Spiel verknüpft. Ohne Umweg über einen menschlichen Gehilfen, der eigentlich die Arbeit übernahm. Dem Techniker Erhard Möller war es zuvor gelungen, eine handelsübliche InterTon Video-Konsole derart umzubauen, dass diese nicht mehr über die Hände, sondern über ein Mikrofon bedient wurde. Je lauter ein Ton etwa war, desto schneller bewegte sich die entsprechende Figur. Dabei konnte ebenso ein Telefon angeschlossen werden, das dann als Soundeingabegerät fungierte.

Als erste Variante modifizierte Möller das populäre Tennisspiel „Pong“. Darin duellierten sich zwei Wettbewerber, indem sie ihren kleinen Balken vertikal bewegten, um einen wandernden kleinen weißen Punkt zurückzuschlagen. Gelang dies nicht und der Ball rauschte am Balken vorbei bzw. aus dem sichtbaren Bildschirmbereich heraus, bekam die gegnerische Seite einen Punkt. Während in der offiziellen Version mit kleinen Drehknöpfen bestimmt wurde, ob sich die Balken hoch oder herunter bewegten, entschied dies in der TV-Fassung die Tonhöhe. Ein helles Quieken ließ sie aufsteigen, ein dunkles Brummen absinken. Mit diesem Kniff ließen sich die verschiedensten Paarungen realisieren – Studiokandidaten unter sich oder Anrufer gegen Studiokandidaten oder ein Anrufer gegen das gesamte Publikum oder zwei Anrufer gegeneinander. Wer nach einer Runde die meisten Punkte gesammelt hatte, gewann und durfte sich aus einer Liste von Musikauftritten oder TV-Ausschnitten seinen Lieblingsclip auswählen, der dann gezeigt wurde. Man kann sich vorstellen, wie bizarr es wirkte, wenn erwachsene Leute vor einem Bildschirm saßen und abwechselnd „MiMiMiMi“ und „BöpBöpBöp“ riefen.

Als zweites Match entwickelte das Team ein Autorennen, bei dem entgegenkommenden Fahrzeugen auszuweichen war. Diesmal galt, je lauter man brüllte, desto schneller wich der eigene Wagen zur Seite, wodurch auch dieses Spiel stark an den späteren «Superball» erinnerte. Im Laufe der Zeit schlossen die Techniker immer andere Geräte an die Konsole an und ließen die simplen Programme mal mit einer Geige, mit Trommeln oder Tröten, mal mit einem Punchingball oder mit einer Gießkanne, in die hineingeblasen werden musste, steuern. In einer Ausgabe hatte eine Dame die Koordinierung ihrer Figur sogar mithilfe der Geräusche eines Rasierapparates zu meistern. Schnell reichte eine reine Klang-Kontrolle nicht mehr aus und es wurden für die Kontrahenten im Baden-Badener Studio Trainingsfahrräder oder echte Rennmotorräder angeschlossen, deren Pedale oder Gashebel als Controller dienten.

Als die Spielhersteller in der Show eine geeignete Plattform für die Vermarktung ihrer Ware erkannten, schickten sie der Redaktion ihre aktuellen Veröffentlichungen, wodurch bald neben „Pong“ und dem Autorennen weitere Titel ins Portfolio der Produktion aufgenommen wurden – natürlich nie ohne entsprechender Anpassungen. So war die Steuerung von „Pac Man“ beispielsweise mit dem Lenkrad eines Auto-Scooters verbunden. Mitunter übernahm man komplette Arcade-Automaten, wie etwa ein virtuelles Basketball mit echtem Korb oder einen Flugsimulator zum Einsteigen. Kurz, im Studio herrschte stets ein wildes Durcheinander.

Zusätzlich gesteigert wurde das Vergnügen dadurch, dass gerade keine technikaffinen Jugendliche als Kandidaten antraten. Stattdessen zockten oft Hausfrauen oder Verwaltungsangestellte, die meist mit dem Spiel an sich überfordert schienen - auch unabhängig von der speziellen Bedienung. Allerdings sorgte Gottschalk stets dafür, dass der Spaß harmlos blieb und die Teilnehmer nie vorgeführt wurden. Daneben schauten regelmäßig prominente Gäste vorbei, die sich ebenfalls in virtuellen Gefechten mit anderen Studio- oder Telefongegnern messen mussten. Stars wie Manfred Krug, Tony Marshall, Paul Kuhn, Alfred Biolek, Mike Krüger, Roger Whittaker, Elmar Gunsch, Terence Hill, Bud Spencer und Karl Dall stellten sich der besonderen Herausforderung. Wer am Ende jeden Zweikampf gewann und sich im K.O.-Modus gegen alle Widersacher durchsetzte, erhielt eine eigene Konsole als Belohnung.

Obwohl die 45minütige Reihe anfangs im Regionalfernsehen des SWFs versteckt war und lediglich vier bis sechs Termine im Jahr hatte, erlangte sie große Beliebtheit und durfte nach zwölf Ausgaben ins Gemeinschaftsprogramm der ARD wechseln. Dort stellte sie den idealen Ersatz für «Die Montagsmaler» dar, die wiederum ins Dritte wechselten, nachdem ihr ursprünglicher Moderator Frank Elstner zum ZDF gegangen war. Als dessen Nachfolger schlug sich Gottschalk - wie auch später bei «Wetten, dass..?» - prächtig und erreichte am Dienstagabend um 20.15 Uhr in der Spitze Marktanteile von bis zu 40 Prozent. Dies war trotz der Tatsache, dass es noch kein Privatfernsehen und nur wenige Kanäle gab, ein beachtlicher Wert - vor allem für ein solch kindisches Treiben, dessen einzelne Ausstrahlungen zudem lediglich im Abstand von etwa sechs Wochen vorgenommen wurden.

Allzu lang blieb sie dort trotzdem nicht mehr am Leben, denn einerseits entwickelte sich das Genre der Computergames rapide weiter, sodass die simplen „Telespiele“ bald antiquiert wirkten. Andererseits warb das ZDF den aufstrebenden Gottschalk schnell ab, um mit ihm die Personality- und Talkshow «Na Sowas!» zu realisieren. Mit dem Weggang von Gottschalk starb letztlich die interaktive Reihe.

«Telespiele» wurde am 01. Dezember 1981 beerdigt und erreichte ein Alter von 29 Folgen. Die Show hinterließ den Moderator Thomas Gottschalk, der ab 1987 mit «Wetten, dass..?» schon die zweite Sendung von Frank Elstner erbte und dadurch zum bekanntesten Entertainer des Landes aufstieg. Parallel dazu präsentierte er regelmäßig kleinere und meist weniger erfolgreichere Formate wie «Gottschalks Hausparty», «Gottschalk kommt», «Gottschalk & Friends» oder «Die Lange Kulmbacher Filmnacht». Außerdem übernahm er eine Hauptrolle in der Trash-Serie «Der Ring der Musketiere» und wäre mit dem Song „What Happened To Rock 'n' Roll“ fast beim «Eurovision Song Contest» angetreten. Das Konzept von «Telespiele» wurde indessen nach Großbritannien, Frankreich und in die Niederlande verkauft, erreichte dort aber nie eine weitere Umsetzung. Dennoch erschien ab 1994 mit «Hugo» quasi eine Weiterentwicklung der Idee auf den deutschen Bildschirmen, denn dort sorgten erneut akustische Telefonsignale für die Lenkung eines Videogames. Diese wurden nun nicht mehr durch die Stimme der Anrufer, sondern durch das Drücken von Tasten auf mehrfrequenzfähigen Telefonen erzeugt. Im Kern ist die Technik jedoch vergleichbar.

Möge die Show in Frieden ruhen.

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am Donnerstag, den 28. Mai 2015.
30.04.2015 11:05 Uhr  •  Christian Richter Kurz-URL: qmde.de/77918