Nicht kälter als lauwarm...

«Die kalte Wahrheit»: pathetischer, nichtssagender Titel, spannender Stoff, inkonsequente Umsetzung. Das ZDF verschenkt am Montagabend wieder Potential...

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Petra Schmidt-Schaller als Helen Liebermann
Rainer Bock als Wagner
Torben Liebrecht als Dirk
Ann-Kathrin Kramer als Frau Dombrowski
Peter Benedict als Herr Dombrowski
Martin Lindow als Hohlbein
Michael A. Grimm als Simon Kerber

Hinter der Kamera:
Produktion: Rowboat Film- und Fernsehproduktion
Drehbuch: Sarah Esser
Regie: Franziska Meletzky
Kamera: Bella Halben
Produzenten: Kim Fatheuer und Sam Davis
Als Helen Liebermann in den frühen Morgenstunden in der Dunkelheit durch dichten Nebel in ihre Praxis fährt, überfährt sie einen jungen Mann. Er stirbt noch am Unfallort. Kein Mensch kann sagen, was in aller Welt er um diese Zeit mitten in der Pampa, zehn Kilometer vom nächsten Ort entfernt, gemacht hat.

Die Polizei ermittelt zunächst gegen Helen wegen fahrlässiger Tötung, macht den Vorgang aber bald wieder zu, weil kein hinreichender Tatverdacht vorliegt. Weder ist sie zu schnell gefahren, noch in irgendeiner Weise unvorsichtig gewesen. Sie hätte den Unfall beim besten Willen nicht verhindern können.

Und doch macht sie sich Vorwürfe. Auch wenn sie in einer Nacht- und Nebelaktion mit ihrem Lebensgefährten Dirk die Situation noch einmal nachstellt und zu dem Schluss kommt, dass sie wirklich nichts für den Tod des jungen Mannes kann. Sie beginnt, auf eigene Faust zu recherchieren. Dafür muss «Die kalte Wahrheit» freilich einige Vorwände und Zufälle finden, die leider auch ziemlich nach Vorwänden und Zufällen aussehen.

Dabei stellt der Film die Schuldfrage freilich mehr auf der psychologischen und moralischen Ebene als auf der juristischen. In der Krimi- und Thrillerdauerbeschallung, der man bei den Öffentlich-Rechtlichen ausgesetzt ist, ist das sicher kein alltäglicher Blickwinkel. Blöd nur, dass auch die fachlich qualifizierten Figuren (etwa Polizisten) hier mit der juristischen Fachterminologie ziemlich laienhaft umspringen. Das riecht nach schlechter Recherche – und schadet der Glaubwürdigkeit, die der Film unzweifelhaft anstrebt, indem er demonstrativ darauf verweist, er sei von wahren Begebenheiten inspiriert.

Geglückt ist dagegen die Zeichnung der Atmosphäre, in der Helen als ein Mensch, der meint, schwere Schuld auf sich geladen zu haben, existiert: Von allen Seiten wird beschwichtigt, aus durchaus ehrlich gemeinter Fürsorge oder aus wirtschaftlich-gesellschaftlichen Interessen (Helens Vorgesetzter gibt zu bedenken: „Wer will schon eine Ärztin, die jemanden totgefahren hat?“), und die Behörden haben mit der Sache nichts mehr zu tun, sobald sie juristisch hinreichend gewürdigt ist: Alle müssen immer unbedingt weiter und Helen steht allein mit ihren Selbstvorwürfen da.

Doch dann wird «Die kalte Wahrheit» auch gerne unnötig theatralisch, entwickelt sich in zu vorhersehbaren Bahnen mit zu klischeehaft orchestriertem Personal: Anstatt die Zweifel und unentrinnbaren Schuldgefühle seiner Hauptfigur auch einmal unangenehm lange auszuhalten, sollen sie sich entladen: Sie tritt mit den Hinterbliebenen in Kontakt und gesteht ihnen schließlich, die Unfallfahrerin aus der Unglücksnacht zu sein.

Und dann will auch noch der Plot bedient werden, in dessen Rahmen Helen mit der Salami-Taktik auf die wahren Umstände stößt: Das nimmt viel Zeit in Anspruch, bringt thematisch aber kaum weiter: Am Schluss kann sich Helen von ihrer Schuld lösen, weil jemand Anderes als noch größerer Übeltäter entlarvt wird. Das ist der einfache Weg. Der schwierigere wäre gewesen, zu zeigen, wie eine junge Frau ihre Schuldvorstellung nicht los wird und mit ihr den Rest ihres Lebens zurechtkommen muss. Sicherlich wäre das keine befriedigende Auflösung gewesen. Aber eine ungemein spannendere.

Und so ist dieser Film – trotz all der emotionalen Komplexität, die der Stoff anstrebt – doch ziemlich konventionell geworden, ästhetisch bemüht kühl gehalten, aber erzählerisch ebenso bemüht emotional, bemüht konfrontativ angelegt. Die kalte Wahrheit durfte dem ZDF wohl nicht allzu kalt sein.

Das ZDF zeigt «Die kalte Wahrheit» am Montag, den 23. März um 20.15 Uhr.
20.03.2015 12:32 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/77022