Die Kritiker: «Sibel & Max»

In der neuen ZDF-Familienserie «Sibel & Max» müssen sich zwei Ärzte notgedrungen zusammenraufen. Die Grundlage für eine äußerst gelungene TV-Produktion.

Hinter den Kulissen

  • Drehbuch: Astrid Ruppert, Verena S. Freytag, Bülent Aladag, Michel Birbæk , Hagen Moscherosch
  • Regie: Felix Herzogenrath, Holger Schmidt, Ulrike Hamacher
  • Produktion: Neue Deutsche Filmgesellschaft mbH, Unterföhring
  • Musik: Ali N. Askin, Maurus Ronner
  • Kamera: Andrea Schriever, Mareile Marx-Scheer, Bernd Schriever
  • Schnitt: Andrea Schriever, Mareile Marx-Scheer, Bernd Schriever
Während die ARD seit jeher arge Probleme hat, die Todeszone, also die Stunde vor den 20-Uhr-Nachrichten mit erfolgreichem Content zu bestücken, hat das ZDF mit den sogenannten Schmunzelkrimis ein echtes Erfolgsrezept für sich entdeckt. Unter der Woche dominiert das Zweite Deutsche Fernsehen damit gut und gern den Vorabend, am Wochenende wiederum geht man schon einmal ein wenig experimenteller vor, konzentriert sich aber auch dort vornehmlich auf seichte Familienunterhaltung. Erfolgreich war man damit mal mehr, mal weniger. Umso angenehmer ist es da, dass die Verantwortlichen gleich zu Beginn des neuen Fernsehjahres 2015 mit ihrem Format «Sibel & Max» vollkommen neue Wege zu bestreiten versuchen. Das beginnt dabei, dass sich das Format einem einzelnen Genre nicht wirklich zuordnen lassen möchte und hört damit auf, dass die Verantwortlichen sich sichtlich Mühe gaben, die Auftaktfolgen mit möglichst viel, durchaus auch unbequemem Realismus zu bestücken.

Ganz gleich, wie erfolgversprechend die Mischung aus Drama- und (bodenständiger) Comedyserie schlussendlich sein mag und mit welch offenen Armen «Sibel & Max» beim Publikum empfangen wird, bleibt doch festzuhalten, dass dem ZDF in Konzept und Umsetzung ein erfrischend neues, durchaus freches und einfach andersartiges Format gelungen ist, das es gerade deshalb vielleicht ein wenig schwerer haben könnte, als es altgediegene Fernsehkost ob des Wiedererkennungsfaktors nun einmal hat. Umso lieber möchte Quotenmeter.de an dieser Stelle die Befürwortung dieser mutigen Serie unterstreichen. Dem Autorenteam um Astrid Ruppert («Obendrüber da schneit es») und Bülent Aladag («Türkisch für Anfänger») ist ein sehenswertes und erinnerungswürdiges Stück Vorabendfernsehgeschichte gelungen.

Ausgerechnet durch ein verrutschtes Kondom finden die Ärzte Dr. Max Walther (Marc Oliver Schulze) und Dr. Sibel Aydin (Idil Üner) zusammen. Max‘ 16-jährige Tochter Jana (Katherina Unger) bekommt schließlich ein Kind von Sibels 17-jährigem Sohn Yunus (Salah Massoud). Da sitzt der Schock erst einmal tief, denn „Großeltern werden“ stand vorerst nicht auf der To-Do-Liste der beiden hamburger Allgemeinmediziner. Doch arrangieren muss man sich schließlich trotzdem irgendwie und nachdem sich beide zunächst gegenseitig die Schuld an diesem „Desaster“ geben, beschließen beide, sich zusammenzuraufen – privat sowie beruflich. Das müssen sie auch, denn Jana entscheidet sich, zunächst gegen den Willen von Yunus, das Baby zu bekommen. Sibel und Max gehen mit diesem Entschluss ganz unterschiedlich um. Sibel, die temperamentvolle Türkin hilft, wo es geht, während der unterkühlte Witwer und alleinerziehende Vater von zwei Töchtern, Max, von der ganzen Situation ein wenig überfordert ist. Doch aus diesem Chaos aus Angst, Enttäuschung und Zweifel, entsteht schon wenig später eine Freundschaft, die mit Humor und Liebe dieser Ungewissheit entgegentritt. Und ganz nebenbei hat das ungleiche Duo es auch noch mit den Patienten ihrer Praxis in dem sozialen Brennpunkt Hamburg St. Georg zu tun…

Wenngleich das Thema der Teenagerschwangerschaft sowie der Umgang mit einer solchen Nachricht insbesondere in der Auftaktfolge von «Sibel und Max» im Mittelpunkt stehen, packt die tragikomische Arzt- und Familienserie, wie wir den Genremix an dieser Stelle der Einfachheit halber einmal nennen möchten, obendrein viel existenziellere Probleme an. Nicht umsonst findet sich der Hauptschauplatz der Serie in einem sozialen Brennpunkt der Hansestadt Hamburg, den Idil Üner eigenen Angaben zufolge „selbst erkundete“. Wie die Schauspielerin uns im exklusiven Interview verriet, ist «Sibel und Max» ganz bewusst „ein Sammelsurium unterschiedlicher Thematiken“, da – und diesen Eindruck macht das Format ab der ersten Sekunde – die Serie kein noch so schwerwiegendes Thema beschönigt oder anderweitig verfälscht.

Das Publikum wird Zeuge des „wahren Lebens“ und, wir sowie Idil Üner möchten an dieser Stelle ehrlich zum Nachdenken animieren: „Wann hat es dies vor der Kamera das letzte Mal tatsächlich gegeben?“ Die Schauspielerin erzählt weiter: "Der Alltag unser aller lässt sich nicht in ein striktes Schema pressen.“ «Sibel & Max» lädt zum Weiterdenken ein, hat besonders im Zusammenhang mit missverstandener Integration aber auch einige große Lacher zu bieten. Idil Üner ist sicher: „Gerade in einer Zeit der integrationspolitischen Angespanntheit trägt auch eine kulturübergreifende Serie ihren Anteil dazu bei, dass jeder Zuschauer neben einer Stunde Unterhaltung auch Stoff zum Nachdenken erhält.“ Wenngleich Üner einräumt, dass es „schade“ sei, dass „unterschiedliche Kulturen heutzutage noch nicht als selbstverständlich in unserer Gesellschaft angesehen werden. Dabei gehören verschiedene Nationalitäten insbesondere in Hamburg zum alltäglichen Stadtbild.“

Umso mehr machen es sich die Inszenatoren von «Sibel & Max» zur Aufgabe, das Thema der Integration nicht zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Serie zu machen, sondern damit so beiläufig und entsprechend so selbstverständlich wie möglich umzugehen. Das Format versteht sich zu keinem Zeitpunkt als alleiniges Aufklärungsfernsehen. Den erhobenen Zeigefinger sucht man in der Serie vergebens und doch hat man nach der Auftaktfolge das Gefühl, ein Stückweit näher an die Selbstverständlichkeit des kulturellen Miteinander herangerückt zu sein. Selbiges gilt für den Umgang mit der Frage nach einer etwaigen Abtreibung. Wenn Jana und Yunus sich im Laufe der ersten Folge mit dem Gedanken auseinander setzen, das (zunächst ungewollte) Kind nicht bekommen zu wollen, hat diese Entscheidung nichts mit einer lieblosen Spontanidee zu tun. Die Jungdarstellerin Katherina Unger, die schon in der Kinderserie «Die Pfefferkörner» eine echte Entdeckung war, verkörpert den Zwiespalt einer jungen Mutter bravourös und begeistert in ihrer nuancierten Spielweise mit kleinen Gesten und dem damit einhergehenden Ansprechen des Zuschauers auf allen Ebenen.

Salah Massoud bekommt in der Auftaktepisode hingegen noch zu wenig zu tun, als dass man an dieser Stelle ein ähnlich euphorisches Fazit ziehen könnte, wenngleich die stimmige Chemie zwischen ihm und Idil Üner bereits erahnen lässt, dass man von ihm in den kommenden Folgen noch viel erwarten kann. Im Mittelpunkt stehen zu Beginn noch vorzugsweise die beiden Titelgeber der Serie: Idil Üner («Mordkommission Istanbul») gefällt als chaotische Ärztin und Mutter und lobt die angenehme Zusammenarbeit mit ihrem Kollegen Marc Oliver Schulze («Der Alte»), der als ihr ruhig-distanzierter Gegenpol ganz hervorragend funktioniert.

Fazit: Wenngleich die Auftaktfolge von «Sibel & Max» viele Nebenschauplätze aufmacht, die durchaus den Zweifel aufkommen lassen, ob die Autoren solch vielen Erzählsträngen Herr werden, lässt die Umsetzung derartige Bedenken im Keim ersticken. Die Serie bringt frischen Wind in die öffentlich rechtliche Serienlandschaft, ist nachdenklich, ohne melancholisch zu sein und regt zum Lachen an, ohne Albern zu wirken. Nachdem zuletzt «Danni Lowinski» wohl die einzige Serie im deutschen Fernsehen war, die Komik und Tragik glaubhaft miteinander kombinieren konnte, lässt «Sibel & Max» durchaus erkennen, dass wir es hier mit einem ähnlich erfolgreichen Format zu tun bekommen könnten. Wir sprechen an dieser Stelle jedenfalls eine dringende Sehempfehlung aus und bedanken uns bei Idil Üner für das sehr angenehme Gespräch!

«Sibel & Max» ist ab dem 3. Januar jeden Samstag um 19:25 im ZDF zu sehen.
02.01.2015 10:00 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/75365