'Beschämend': Hollywood reagiert auf Sonys «The Interview»-Rückzug

Mit Update! Sony Pictures erhält harsche Kritik für seinen Entschluss, die Komödie «The Interview» nicht zu veröffentlichen. Stars, Politiker und Filmemacher haben wenig Verständnis für diesen 'grausamen Präzedenzfall'.

"Nur eine Komödie?" Ein Kurzkommentar ...

So viel Wirbel nur um eine Komödie? Ist es nicht egal, ob «The Interview» nun ins Kino kommt oder für immer im Giftschrank landet? Nein, es ist nicht unbedeutend, was mit dem Film geschieht! Ganz egal, wie politisch oder unpolitisch, wie gut oder mies er ist: Sobald sich Unterhaltungskunst dem Druck von außen beugen muss, stirbt ein Stück Redefreiheit. Wenn schon der zumeist nerdig-launige Humor eines Seth Rogen unter den Teppich gekehrt wird, wer garantiert, dass nicht bald auch Filme gekippt werden, die sich durch ihre politkritischen Inhalte voll und ganz ihren kontroversen Status erarbeitet haben? Sony, bringt «The Interview» raus! Zur Not als Gratisdownload oder DVD-Extra bei einer «Das ist das Ende»-Neuauflage ...
Sidney Schering
So etwas hat es noch nie gegeben: Nachdem Sony Pictures aufgrund der Komödie «The Interview» Hackerangriffe durchlitt und eine Terrordrohung erhielt, knickte das Studio ein. Nicht nur der für den 25. Dezember 2014 vorgesehene US-Kinostart wurde abgesagt, auch eine Veröffentlichung zu späterem Zeitpunkt steht gemäß Studioaussagen aktuell nicht zur Debatte. Diverse Branchendienste berichten zudem, dass laut Sony-Sprechern auch keine US-Auswertung via Video on Demand, als DVD- und Blu-ray-Premiere oder im Fernsehen geplant sei. Für diesen Schritt hagelt es nun herbe Kritik am Filmstudio, das in den Augen zahlreicher Hollywoodschaffender an der Komödie über zwei Journalisten, die mit der Ermordung Kim Jong-uns beauftragt werden, hätte festhalten sollen.

Der Filmemacher Judd Apatow, Mentor des «Interview»-Co-Regisseurs und -Hauptdarstellers Seth Rogen, beurteilt den Entschluss auf Twitter als „beschämend“. Rhetorisch stellt er die Frage „Wird nun jeder Film zurückgezogen, gegen den anonym gedroht wird?“ Als Fazit mutmaßt er: „Das garantiert nur, dass dieser Film von mehr Menschen gesehen wird, als vorher der Fall gewesen wäre. Ob nun legal oder illegal, bliebt abzuwarten.“ Auch Comedian Patton Oswalt glaubt, «The Interview» habe somit den „Weltrekord im 'Aus Trotz gucken'“ sicher. Latenight-Talker Jimmy Kimmel antwortet Apatow auf dem Kurznachrichtendienst und bringt eine politische Ebene ins Gespräch: „Ich stimme aus ganzem Herzen zu. Es ist ein unamerikanischer, feiger Schritt, der das Handeln der Terroristen nur bestärkt und einen schlimmen Musterfall setzt.“



Schauspieler Steve Carell (Foto links, Szenenbild aus «Der unglaubliche Burt Wonderstone») bezeichnet den 18. Dezember aus diesem Grund als einen „traurigen Tag für den künstlerischen Ausdruck“. Carell arbeitete ebenfalls an einem Film, der in Nordkorea spielt. Die Dreharbeiten zum schwarzhumorigen Paranoiathriller mit dem Titel «Pyongyang» waren für Frühjahr 2015 vorgesehen. 20th Century Fox sollte als Vertrieb verantwortlich zeichnen, New Regency die Finanzierung übernehmen. Aufgrund Sonys Handeln verlor Fox jedoch das Vertrauen in den Film, und ohne Vertriebspartner gab auch New Regency die Produktion auf. Gore Verbinski, der die Regie führen sollte, bezieht gegenüber Deadline Hollywood Stellung: „Ich finde es ironisch, dass Angst uns die Möglichkeit nimmt, Geschichten zu erzählen, die unsere Fähigkeit aufzeigen, Angst zu überwinden.“ Zum Thema der freien Rede meldet sich erneut Patton Oswalt: Er fürchtet, dass ähnliche Situationen folgen werden. „Wir haben der Zensur erlaubt, ganz einfach Fuß zu fassen, und es wird von diesem Punkt an nur noch schlimmer“, prophezeit er.

Schauspieler Rob Lowe zeigt sich bei Twitter sprachlos: „Wow, alle haben den Schwanz eingezogen. Die Hacker haben gewonnen. Ein absolut vollkommener Sieg für sie.“ Comedian Bill Maher wiederum ist wütend, dass der Film mit Seth Rogen und James Franco (Foto oben, Szenenbild aus ihrer Sony-Komödie «Das ist das Ende»), gekippt wurde. Er tweetet: „Mehr braucht es nicht, bloß eine anonyme Drohung und die Zahlen 9/11, und schon schmeißen wir die Redefreiheit über Bord?“ In der Nachricht der Hacker hieß es, auf «The Interview»-Spielstätten seien Attacken geplant, die Erinnerungen an den 11. September 2001 wachrufen würden.

Diese Drohung stufte US-Präsident Barack Obama jedoch als nicht glaubwürdig ein. Gegenüber dem US-Network ABC räumte er bloß ein, dass die Regierung nur die zwecks Datenklau getätigte „Cyberattacke auf das Filmstudio sehr ernst“ nehme. Die Sicherheit der Bevölkerung sei aber nicht in Gefahr gewesen. Dem stimmt auch Cybersicherheitsexperte Peter W. Singer gegenüber Motherboard zu: „Wir müssen zwischen einer Drohung und der Fähigkeit trennen, sie auch durchzuführen. Aus einem schlecht gesicherten Computernetzwerk Klatsch und Tratsch zu stehlen, ist längst nicht damit vergleichbar, die Logistik hinter zahllosen physischen Terrorangriffen der Größenordnung von 9/11 stemmen zu können.“

Schauspieler und Regisseur Zach Braff befürchtet: „«The Interview» zu canceln wirkt auf mich wie ein grausamer Präzedenzfall.“ Autor Neil Gaiman sieht es ähnlich: „Sony schlägt also zurück, indem sie «The Interview» zurückziehen und so allen Hackern beweisen, dass Cyberangriffe und Drohungen makellos funktionieren? Das könnte sich als Fehler herausstellen.“ Dokumentarfilmer Michael Moore dagegen nimmt es mit Galgenhumor und scherzt: „Liebe Sony-Hacker: Da ihr ja nun Hollywood lenkt, wünsche ich mir weniger Romantikkomödien und Michael-Bay-Filme. Und bitte keine «Transformers» mehr.“

Ungeklärt bleibt unterdessen, was international mit «The Interview» geschieht. Zwar wurden schon vor wenigen Tagen sämtliche Kinoauswertungen der Komödie im asiatischen Raum abgesagt, entgegen zahlreichen Medienberichten wurde für Europa aber noch keine Entscheidung getroffen. Sony-Pictures-Pressebetreuer Kai Mickley erläutert Quotenmeter.de auf Anfrage: „Beschlossen wurde noch nichts, daher steht der Kinostart theoretisch noch.“ Er selbst schätzt die Lage allerdings so ein, dass Sony Pictures in den kommenden Tagen «The Interview» auch auf dem hiesigen Markt sperren wird. Abwarten ist also angesagt. Momentan steht der Film noch für den 5. Februar 2015 auf dem Plan.

Update: Das Gefühl Mickleys trügte nicht. Wie 'Deadline Hollywood' am Vorabend von Sony Pictures US erfuhr, wird die «The Interview»-Veröffentlichung vorerst auf sämtlichen Märkten gestoppt.
18.12.2014 17:30 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/75206