Neue Ufer: HBO auf den Spuren von Netflix

Neben der Präsenz im Bezahlfernsehen, plant HBO nun einen eigenständigen Online-Service. Warum das Unternehmen diesen Schritt wagt und was damit einhergeht.

Der Status Quo bei HBO

"Neben dem hervorragenden Markenimage hat HBO zwei Vorteile: Erstens liest sich das Portfolio an Comedyserien mit «Veep» oder dem hochgelobten Neustart «Silicon Valley» äußerst gut, zweitens glaubte man schon einmal, dass das Unternehmen in eine düstere Zukunft blickt. Es war um 2007, als «Die Sopranos» endeten, HBO einige Flops landete und keine neue Hitserie in Sicht war. Dann kamen «True Blood», «Boardwalk Empire» und zuletzt «Game of Thrones». Zu der Zeit aber fehlten solche Player wie Amazon Instant Video oder Netflix, vor allem international und mit eigenen Inhalten."
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Jan Schlüter zu Quotenproblemen bei HBO
„Ist Netflix das neue HBO?“ Diese Frage stellten sich bereits im vergangenen Jahr viele Beobachter des On Demand-Anbieters, gerade weil Netflix sich nicht nur als Online-Videothek einen Namen machte, sondern auch als Produzent von hochwertigen Serien. In Deutschland sorgte der Netflix-Start zuletzt für großes Aufsehen, in den USA hat das Unternehmen nach kurzer Zeit bereits Sphären erreicht, die die Konkurrenz erdrücken: Dieser Tage beansprucht Netflix 35 Prozent des Downstream Online Traffics in Nordamerika, vor einem Jahr waren es noch 31,6 Prozent. Damit steht Netflix für mehr als doppelt so viel Bandbreiten-Nutzung wie das kostenfreie Videoportal YouTube, das aktuell auf 14 Prozent kommt. Amazon Instant Video repräsentiert 2,6 Prozent, dahinter folgt Hulu mit 1,4 Prozent.

Diese Zahlen sind zunächst einmal nur die Probleme der verschiedenen, ausschließlich auf Internet fokussierten, On Demand-Portale, wenn es aber um die Produktion und Verbreitung von qualitativ einzigartigen Inhalten geht, fühlen sich auch HBO und andere Kabelsender angegriffen, auf die viele Leute durch Netflix verzichten. Besagte Anbieter wollen sich jedoch vom neuen Medien-Riesen nicht unterkriegen lassen und blasen zum Gegenschlag. Neben CBS auf Seiten der Networks, plant auch HBO ein „Over-the-Top-Angebot“. Als erster der großen Kabelsender will der Pay-TV-Titan auch Konsumenten erreichen, die auf eine MVPD (Multichannel Video-Program Distribution) verzichten. „Es ist Zeit alle Barrieren für Leute, die HBO sehen wollen, zu entfernen“, verkündete HBO-CEO Richard Plepler mit Pathos.

Das neue Angebot soll dem bisherigen On Demand-Service HBO Go, das in der vorher bereits erwähnten Messung im Zeitraum eines Monats auf lediglich ein Prozent kam, ähneln und eine Vielzahl neuer und alter HBO und Cinemax-Inhalte anbieten. Damit will HBO vor allem auf die Abonnenten abzielen, die sich Kabelprogramme nur über drahtlose Zugangstechnologien zu Gemüte führen. Nach den Angaben Pleplers seien dies in etwa 10 Millionen Haushalten in den USA, auf denen der anfängliche Fokus liegt. Dieser Plan sorgte auch bei anderen Unternehmen für Reaktionen. Showtime arbeitet dieser Tage ebenfalls an der Umsetzung einer ähnlichen Idee, um die sehr speziell orientierten Konsumenten nicht für vorbereitete Pakete zahlen zu lassen, sondern für individuell georderte Inhalte.

HBO reagiert nicht nur auf den rasanten Aufstieg Netflix‘, sondern auch auf die deutlichen Rückgänge bei den Abonnementzahlen im Pay-TV-Geschäft. Im zweiten Quartal diesen Jahres kündigten 305.000 Haushalte ihre Pay-TV-Mitgliedschaft. Eine Studie unter Pay-TV-Nutzern zeigte im September 2014 außerdem auf, dass ungefähr 2,9 Prozent aller Pay-TV-Konsumenten sich innerhalb der nächsten 12 Monate „sehr wahrscheinlich“ von Bezahlfernsehen trennen werden. 2013 gaben noch 2,7 Prozent der Abonnenten an, innerhalb des nächsten Jahres auf Bezahlfernsehen verzichten zu wollen, 2012 waren es 2,2 Prozent. Besonders starke Abwanderungsgedanken hegen 25- bis 34-Jährige, von denen 4,9 Prozent erklärten, bis Herbst 2015 ihr Abonnement kündigen zu wollen. Noch niedrige Zahlen, die aber über die Jahre hinweg zu einem handfesten Problem für die Anbieter werden. Mit einem Over-The-Top-Streaming-Service würden an HBO-Inhalten interessierte Konsumenten kein Pay-Abonnement mehr benötigen, womit HBO die „Cord Cutters“ (auf deutsch etwa: Kabelschneider), die sich vom herkömmlichen Fernsehen verabschiedet haben, zurückholen und neue Zuschauer gewinnen könnte.

Zwar betonte Time Warners Jeff Bewkes im September erst, dass sich im Pay-TV-Geschäft „schwächelnde Partner“ auf jeden Fall verbessern sollten, Bezahlfernsehen in den USA steht zumindest aktuell jedoch nicht kurz vor dem Ende, auch wenn verschiedene Strategien zuletzt nicht aufgingen. In jüngerer Vergangenheit bemühten sich die Pay-TV-Vertreiber Pakete zu vergünstigen und sie damit für Interessenten attraktiver zu machen. Diese Entscheidung war jedoch nicht von einem erwähnenswerten Erfolg gekrönt, da viele Leute noch immer ausschließlich auf eine möglichst große Auswahl an Kanälen zu einem einzelnen Preis in einem einzelnen Service bedacht sind. Netflix liefert mit seinem Angebot eine sehr viel individualisiert und auch deutlich günstigere Alternative zu den Pay-TV-Paketen.

Trotz dem Negativ-Trend im Pay-TV und den durchaus vielversprechenden Erfolgschancen im Internet, kommen HBOs Pläne einer Gratwanderung gleich, denn das Unternemen könnte zwar seinen eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen, indem es jährlich sinkenden Abonnement- und damit auch sinkenden Zuschauerzahlen zuvorkommt, gleichzeitig befeuert der Kabelsender aber auch den Trend in den USA, auf Pay-TV zu verzichten. Dies wird den Pay-TV-Anbietern, mit denen HBO Verträge unterhält und die sich einen Stopp dieser Entwicklungen erhoffen, nicht schmecken. Während HBO dann ein Angebot auf die Beine stellt, das laut Aussagen „mehrere hundert Millionen Dollar wert“ ist, leiden die Pay-TV-Anbieter nur noch mehr durch einen weiteren Big Player bei den kabellosen Services und können HBO nicht mehr exklusiv anbieten. Zumindest steht HBO entsprechenden Aussagen zufolge vor Nachverhandlungen mit den wichtigsten Anbietern im Bezahlfernsehen, von denen sich der Kabelsender erhofft, bessere Bezüge zu erhalten und vier Millionen Abonnements ohne Ertrag in zahlende Kundschaft umzuwandeln, was auch die Pay-TV-Anbieter milde stimmen dürfte. Gegenüber Netflix machte Richard Plepler zuletzt eine Kampfansage. Zwar sei Netflix „ein wunderbarer Zusatz mit wundervollen Optionen, um bei Serien auf dem Laufen zu bleiben oder neue Formate zu schauen, die einen guten Job machen“, das „aber“ folgte jedoch auf dem Fuß: HBO haben einen großen Vorteil gegenüber Netflix in Bezug auf Hollywoodfilme. Nachweislich sähen 78 Prozent aller Interessierten Produktionen aus USAs Filmfabrik bei HBO und 40 Prozent aller HBO-Abonnenten beschränkten sich in ihrer HBO-Nutzung ausschließlich auf Filme – ein Bereich, in dem Netflix noch aufholen muss. Darüber hinaus könne HBO auf ein sehr viel größeres Archiv zurückgreifen, das 2.700 Stunden umfasst.

So könnte HBOs alleinstehendes neues Angebot durchaus attraktiv für Fans von «Game of Thrones» oder anderen HBO-Formaten sein, allerdings sehnen sich ungemein viele Personen auch nach Inhalten jenseits von HBO. Auf der anderen Seite könnte der neue Service Internet-Video Streaming-Geräte wie Apple TV, Roku, Amazon Fire TV zu mehr Erfolg verhelfen – eine groß angelegte Partnerschaft mit einem oder mehreren dieser Anbieter steht im Raum. Konkurrenz belebt nicht zuletzt das Geschäft und falls CBS und weitere neue Player in diesem Bereich ihre Hausaufgaben machen, können sich auch die Machtverhältnisse im Bereich der On-Demand-Angebote verschieben, wo Netflix unangefochten die Zügel in der Hand hält. Für Internet-fähige Fernseher gäbe es mit HBO eine weitere hochattraktive Anwendung, die auf jeden Fall einen Unterschied machen kann. Nur von einer Sache ist der Erfolg der verschiedenen Anbieter dann abhängig: Von Inhalten.
29.11.2014 10:48 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/74720