Mit Sinn und Verstand...

In «Das Ende der Geduld» spielt Martina Gedeck eine Berliner Jugendrichterin. Ihre Rolle basiert auf einer realen Figur; der Film nimmt sich ernster Themen an. Unsere Vorab-Kritik.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Martina Gedeck als Corinna Kleist
Jörg Hartmann als Herbert Wachoviak
Sascha Alexander Geršak als Hück
Sesede Terziyan als Devrim
Mohamed Issa als Rafiq
Hassan Issa als Nazir
Jörg Gudzuhn als Gerichtspräsident

Hinter der Kamera:
Produktion: Claussen+Wöbke+Putz Filmproduktion GmbH und Wagner Film
Drehbuch: Stefan Dähnert
Regie: Christian Wagner
Kamera: Jana Marsik
Jugendrichterin Corinna Kleist hat eine Wiederholungstäterin vor sich. Diesmal hat die Angeklagte am Alexanderplatz einen Jungen wegen einer Kiste Leergut verprügelt. Zuvor war sie schon wegen Diebstahl, Leistungserschleichung und einer Reihe weiterer Straftaten verurteilt worden. Kleist scheint eine persönliche Beziehung zu dem Mädchen aufgebaut zu haben; nach dem Urteilsspruch liest sie ihrer Richterin gar ein selbstgeschriebenes Gedicht vor. Und Minuten später stürzt sie sich aus dem Fenster.

Kleist lässt sich sechs Monate lang beurlauben. Burnout. Nachdem sie sich wieder zum Dienst gemeldet hat, lässt sie sich auf den einzigen vakanten Platz in der Jugendgerichtsbarkeit versetzen – im notorischen Berliner Problembezirk Neukölln. Dort hat sie mit Intensivtätern zu tun, mit mafiösen Großfamilienclans, die die abscheulichsten Verbrechen begehen und die deutschen Justizbehörden schon lange nicht mehr ernstnehmen.

Aber Kleist ist angetreten, „um die Realität zu ändern.“ Dabei stößt sie auch auf Widerstände aus den eigenen Reihen. Ihr Kollege Herbert Wachoviak ist stolz auf die Liberalität der Berliner Justiz, die hart erkämpft wurde und deutet – richtigerweise – auch auf die gesellschaftlichen und rechtlichen Umstände, die einen Teil zur hohen Kriminalitätsrate beisteuern. Aber Wachoviak erklärt nicht nur, er scheint auch zu exkulpieren.

Kleist ist da anderer Auffassung, pocht – richtigerweise – auf Sanktionen, wo ein Wachoviak andere Maßnahmen für sinnvoller halten würde. Aber Kleist geht noch weiter: Sie sieht ein besonderes Problem in der langen Dauer von Verfahren, wenn Anklageschriften wochenlang im staatsanwaltlichen Schreibdienst versickern, oder Urteile erst eineinhalb Jahre nach der Tat gesprochen werden, obwohl der Prozess an sich zügig zu verhandeln gewesen wäre. Sie entwickelt deshalb Arbeitsabläufe, in deren Rahmen die Täter deutlich schneller die rechtsstaatlichen Konsequenzen ihrer Straftaten zu spüren bekommen. Das Konzept wird als Neuköllner Modell bekannt und macht bundesweit Schlagzeilen.

Unschwer zu erkennen, ist die Hauptfigur an die Berliner Richterin Kirsten Heisig angelegt, die 2010 nach Verfassen, aber vor der Veröffentlichung ihres Sachbuchs „Das Ende der Geduld“ verstorben ist. Wer mit dem Fall Heisig nicht vertraut ist, erfährt das ganz am Schluss in Form einer Widmung.

Es mag daher rühren, dass manches am Gebaren von Richterin Kleist nicht nur fachlich, sondern auch psychologisch motiviert scheint. Den Momenten, in denen sie sich Tabletten einwirft, wird unnötig viel Beachtung geschenkt – unnötig auch deshalb, weil der dadurch zu erreichende Zweck, eine stärkere Bindung zu der Figur aufbauen zu können, ohnehin erreicht worden wäre: nämlich durch Martina Gedecks einnehmendes Spiel, das glücklicherweise viele der allzu psychologisierenden Töne im Hintergrund lässt und die psychische Zerrissenheit ihrer Figur angenehm unprätentiös transportiert.

Über Heisig ist viel geschrieben worden, ihre Thesen, ihr juristisches Vorgehen und ihr Buch haben in der gesamten Bundesrepublik Debatten ausgelöst. Die muss man ernst nehmen und ihnen mit der gebührenden intellektuellen Aufmerksamkeit begegnen. Das hat vor vier Jahren, als ihre Themen am aktuellsten waren, nicht jeder getan: Tobias Riegel hat sie in der Tageszeitung „Neues Deutschland“ auf eine Stufe mit Thilo Sarrazin gestellt, wo sie nicht hingehört, der ehemalige niedersächsische Justizminister Christian Pfeiffer wollte ihren Ansatz am liebsten verworfen sehen und schlug die Herangehensweise des Kriminologen Wolfgang Heinz als Gegenmodell vor: Im Jugenstrafrecht sei „eine Strategie des Zuwartens“ die bessere Lösung – eine These, der Kriminologe Werner Sohn widersprach, schließlich seien die Zahlen, auf der Heinz‘ Erkenntnisse beruhten, restlos veraltet, die damaligen Zustände mit den heutigen kriminellen Auswüchsen nicht vergleichbar.

«Das Ende der Geduld» stellt sich dieser Debatte mit der (von Jörg Hartmann ebenfalls sehr intelligent gespielten) Figur Herbert Wachoviak. Dessen Ansichten mögen – im Hinblick darauf, was an Neuköllner Gerichten so vor den Richtern landet – lebensfremd und baumtänzerisch wirken und angesichts des Handlungsverlaufs des Films vom Zuschauer letztlich abgelehnt werden. Dennoch sind sie ein wichtiger Teil der gesellschaftlichen Debatte. Und genau das liefert «Das Ende der Geduld» trotz seiner impliziten Positionsbeziehung für Kleist: einen Ansatz zum Diskurs.

Dabei bleibt der Film weit von der ekelhaften Demagogie eines Thilo Sarrazin entfernt. Klar, der Polizist an der Basis sagt dummes Zeug wie „Die [Migranten] übernehmen uns einfach durch ihre Fruchtbarkeit.“ Doch das ist der Rolle geschuldet und wird auch entsprechend gewertet – als ein falscher Satz, den manche Cops eben so sagen, nachdem sie im Dienst einiges mitgemacht haben. Das darf nicht sein, erst recht nicht bei einem Uniformträger, passiert aber.

Die Schwächen des Films liegen an anderen Stellen: Dann, wenn der Duktus zu plakativ wird, wenn Regisseur Christian Wagner auf zu gewollt einfache, überspitzte Symbole setzt, wenn Rhetorik und Ästhetik über das Maß dessen hinaus banalisieren, was für den Stoff noch zuträglich gewesen wäre. Denn dann verschenkt «Das Ende der Geduld» etwas von seinem Potential, ein Teil des politischen und gesellschaftlichen Diskurses zu sein. Das hätte angesichts der ansonsten erstaunlichen narrativen Konsequenz, die in ein schwer erträgliches Ende mündet, nicht sein müssen.

Das Erste zeigt «Das Ende der Geduld» am Mittwoch, den 19. November um 20.15 Uhr.
18.11.2014 16:30 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/74516