Die Geschichte um einen der berühmtesten Nicht-Sätze der Welt

Im Mauerfall-Drama «Bornholmer Straße» von Nico Hofmann geht es kurios zu. Frederic Servatius hat den Film vorab gesehen.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Charly Hübner («Transporter: Die Serie») als Harald Schäfer, Milan Peschel («Schlussmacher») als Ulrich Rotermund, Ulrich Matthes («Novemberkind») als Hartmut Kummer, Rainer Bock («Stereo») als Peter Arndt, Max Hopp («Die Spiegel-Affäre») als Burkhard Schönhammer, Frederick Lau («Die Welle») als Jens Rambold, Ludwig Trepte («Unsere Mütter, unsere Väter») als Axel Hoffmann, Jasna Fritzi Bauer («Zeit der Helden») als Melitta


Hinter den Kulissen:
Regie: Christian Schwochow, Buch: Heide Schwochow und Rainer Schwochow, Musik: Daniel Sus, Kamera: Frank Lamm, Schnitt: Jens Klüber, Produktion: UFA Fiction

Der Mittag des 9.November 1989. Bis dahin eigentlich ein Tag wie jeder andere am Grenzübergang Bornholmer Straße, Ostberlin. Aufregung macht höchstens ein herrenloser Hund, der die Grenze zu passieren versucht. Und obwohl der jede Menge Arbeit macht, wollen sich doch mehrere Grenzer um den kleinen Kerl kümmern. Dass er absurde bürokratische Vorgänge der DDR aufdeckt – der Hund wird nach Namen, Geburtsdatum und Wohnort gefragt – soll dabei jedoch das geringste Problem der Herren an diesem Abend bleiben. Denn im ARD-Fernsehfilm «Bornholmer Straße» bekommen die Beamten gerade zu Abend aufgetischt, als sie nebenbei im Staatsfernsehen einen der berühmtesten Nicht-Sätze der Weltgeschichte mit ansehen müssen: Genosse Schabowski, der in der Liveübertragung einer Pressekonferenz des Sekretariats des Zentralkomitees der SED vermutlich auf Nachfrage eines Bild-Reporters wann die Ausreise aus der DDR möglich werden solle, fälschlicherweise antwortete „Das tritt nach meiner Erkenntnis...ist das sofort, unverzüglich.“

Die Grenzübergangstelle Bornholmer Straße war darauf allerdings eher mäßig vorbereitet – der Beschluss sollte ursprünglich nicht vor dem 10.November in Kraft treten. Nur etwas mehr als eine Handvoll Männer befanden sich deshalb an eben jener Stelle. Erstmal aber ahnte auch niemand, wie sich der Abend noch entwickeln sollte. Doch als aus vier Bürgern, die sich West-Berlin „nur mal angucken“ wollen plötzlich weit mehr als 1000 werden, sind Sätze wie „Jetzt bloß nicht nervös werden“ aus dem Ministerium für Staatssicherheit nicht mehr mehr als hohle Durchhalteparolen. Und schließlich müssen die Beamten rund um den stellvertretenden Übergangsstellenleiter Harald Schäfer selbst Entscheidungen treffen und nicht mehr nur auf Ansagen von oben warten, schon allein weil dort die Ernsthaftigkeit der Lage kaum erkannt oder einfach mit Cognac heruntergespült wird.

Gefühlte Gratwanderung zwischen Authentizität und Satire
Das Ende der Erzählung – es ist Geschichte. Umso beeindruckender, wenn es die Story von «Bornholmer Straße» schafft, die Spannung bis zum Ende aufrechtzuerhalten. Dem Film, der den Untertitel «Die unglaubliche aber wahre Geschichte von Oberstleutnant Harald Schäfer» verpasst bekommen hat, kauft der Zuschauer tatsächlich über die volle Strecke ab, dass die meisten Dialoge authentisch sein müssen – nicht ohne sich gelegentlich zu Fragen, ob es sich nicht doch um Satire handeln muss. Dem Film gelingt so eine Gratwanderung, bei der man sich in vielen Momenten fragt, wie das überhaupt funktionieren kann. Wirklich witzig ist die Produktion dabei nur gelegentlich. Oft bleibt einem der Lacher eher im Hals stecken, was, da gewollt, sehr positiv zu Buche schlägt.

Dabei ist die Grundidee eigentlich ebenso wenig komplex wie selten dargestellt: Während jeder die Kompetenzen nur von sich schieben will, um fein aus der Nummer raus zu kommen, wird den meisten Grenzern nach und nach klar, dass sie alle „eine Weltanschauung besitzen, ohne jemals die Welt angeschaut zu haben“. Logisch aber: Nicht jeder will das so schnell akzeptieren und so manch einer dreht mächtig am Rad. Gerade an dieser Stelle findet sich ein großes Plus des Films: Die Besetzung ist über weite Teile exzellent gewählt und spielt gut zusammen. Der extrem starke Frederick Lau sticht jedoch als „Regimetreuer“ noch ein Stück heraus und will einfach nicht wahr haben, dass es keine Chance mehr gibt, die Menschen im Land zu halten. Nur in seltenen Momenten wirkt die Situation ein Stück zu überspitzt, zum Beispiel als die Mutter eines Grenzers, die ebenfalls in der Übergangsstelle arbeitet, ihrem Sohn Bütterchen schmiert und ihn vor Sorge knuddelt. Immer, wenn das passiert, nimmt die Glaubhaftigkeit kurzzeitig rapide ab.

Die Stimmung kippt
Mit zunehmender Laufzeit des Films allerdings kippt die Stimmung ein Stück weit – in der DDR und beim Zuschauer vor den Schirmen. Dann jedenfalls wird die Produktion wirklich ernst. Wenn Tausende vor den sprachlosen Grenzbeamten stehen und „Auf der Mauer auf der Lauer“ singen, dann ist man näher an der Gänsehaut als am Lachen. Fast aber könnte man auch Mitleid mit den Herren haben, die doch eigentlich nur ihren Dienst tun und in großen Teilen selbst ein Gefühl dafür entwickeln, dass es nicht richtig ist die Menschen hinter der Mauer zu halten. In einigen kurzen Momenten droht man als Zuschauer in dieser Situation zu glauben, dass die andere Seite vielleicht eigentlich die Gute war. Zumindest solange, bis man direkt darauf realisiert, dass das Mitgefühl eher den indoktrinierten und vormals befehlshörigen Grenzern gilt und nicht der SED-Regierung.

So aber arbeitet der Film seine größte Stärke gleich selbst heraus – der Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio (ehemals GEZ) ist also nicht ganz umsonst. Das Machwerk sensibilisiert dafür, dass eben nicht die Menschen inhuman sind, sondern das System. Ein Gedanke, der dem ein oder anderen fremd sein oder zumindest gelegentlich abhanden kommen mag. Gelingen tut das trotz einer fast puristischen Machart: An wenigen Schauplätzen gefilmt, hat die Produktion ausstattungstechnisch die DDR-Mentalität „aus der Not eine Tugend machen“ übernommen, was der Authentizität weiter zuträglich ist.

Ein Blick auf den Produzenten verrät – so man es nicht schon durch die Machart bemerkt hat –, dass ein bekanntes Gesicht für die Herstellung des Stoffes verantwortlich war: Nico Hofmann von der UFA Fiction. Wird die Kritik angewendet, die üblicherweise für Hofmanns Produktionen wirksam ist, so liegt man auch diesmal nicht völlig daneben: Möglicherweise ist der Film ein Stück weit auf Banalitäten heruntergefahren worden. Bestes Beispiel wäre hier die fast obligatorische Liebesgeschichte eines Grenzers, der seine Freundin erst nicht rübermachen lassen möchte, ehe sich beide am Ende wieder in den Armen liegen. Abgesehen von diesem kleinen Handlungsaspekt aber, liegt der Film mit seiner Emotionalität genau richtig und sorgt am Ende sogar für gelegentliche Momente, in denen man als Zuseher der Gänsehaut wenigstens nahe ist. Zugleich wird außerdem mal ein anderer Blick auf den Mauerfall geworfen. Nur wer historischen Stoffen ohnehin überdrüssig ist, der wird auch an der neuesten Hofmann-Produktion wenig Gefallen finden.

«Bornholmer Straße – Die unglaubliche aber wahre Geschichte von Oberstleutnant Harald Schäfer» ist am Mittwoch, 5.November um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen. Im Anschluss läuft ab 21.45 Uhr die Begleitdokumentation «Die Nacht des Mauerfalls»
04.11.2014 11:38 Uhr  •  Frederic Servatius Kurz-URL: qmde.de/74210