Einige Sender planen neue Formate, andere ruhen sich auf ihrem Erfolg aus. Und wie steht es um das quotenmäßig angeschlagene «Galileo»? Es rumort am Vorabend – unsere Analyse.
Ein Flop ist die Wissenssendung damit keineswegs, doch sie steht symptomatisch für die Probleme, die einige der großen Sender am Vorabend haben: Es sind starke Marken, die dort über Jahre gewachsen sind und ihr Publikum aufgebaut haben, aber von ihren größten Erfolgen weit entfernt. Für schnelle Experimente oder wöchentliche Programmtests ist auf hier keine Möglichkeit, da der Vorabend extrem wichtig ist: Es entsteht durch mehr Gesamtzuschauer bereits eine größere Reichweite, damit auch höhere potenzielle Werbeeinahmen. Etwas anders als in der Primetime gilt es am Vorabend, die Zuschauer täglich an sich zu binden und ein Stammpublikum aufzubauen. Damit einhergehend birgt der Vorabend ideale Möglichkeiten, für Formate in der eigenen Primetime zu werben – gerade auch weil der Audience Flow zu dieser Zeit eine geringere Rolle spielt als sonst: Um 20.15 Uhr sind die Umschaltimpulse der meisten Fernsehzuschauer groß; umso wichtiger ist gute, möglichst breitenwirksame Promotion im eigenen Programm.
Mit «Galileo» geht ProSieben einen Mittelweg und setzt auf Themenwochen oder Themensendungen. Im Juli beschäftigte man mit der Überwachung, unter anderem mit einem Selbstexperiment: Ein Journalist verbrachte eine Woche lang, 24 Stunden am Tag sein Leben in einem Glascontainer – in einer Innenstadt, beobachtbar für jeden. Die Sendung selbst live vor Ort und nicht aus dem Studio gesendet. Den Quoten half dies wenig, im Nachklapp der Fußball-WM und trotz Sommerpause kam man nicht über einstellige Marktanteile hinaus. Ähnlich lief es bei der jüngsten Themenwoche „Goldrausch“ im September, im Quotendurchschnitt präsentierten sich die Kontinentreisen mit Stefan Gödde. Erfolgreicher läuft es für einzelne Spezialsendungen: Zwölf Prozent erreichten beispielsweise die „20 spektakulärsten Orte der Welt“, der Reisebericht aus Nordkorea (12.10.) holte mit 16,4 Prozent sogar die höchsten Werte seit langer Zeit. Nur: Permanent sind entsprechend aufwändige, kostenintensive Projekte für eine tägliche Vorabendsendung nicht zu realisieren.
Derweil wird 2015 auch weiter im Ersten am Vorabend experimentiert. Die «Heiter bis tödlich»-Formate entsorgte man nach und nach, nur erfolgreicherer Ersatz ist kaum zu finden. Comedy-Serienexperimente («Türkisch für Anfänger», «Die LottoKönige») funktionierten nicht, dennoch wird im kommenden Jahr eine weitere Comedy mit Cordula Stratmann realisiert. Das oben benannte Risikoproblem hat man derzeit bei «Verbotene Liebe»: Zwar sind die Zahlen mittlerweile zu niedrig für eine langfristige Fortführung, aber das Risiko, noch mehr – vor allem junge – Zuschauer zu vergraulen, ist omnipräsent. Dies erklärt auch die zunächst erklärte Einstellung, die mittlerweile rückgängig gemacht wird: Zumindest einmal wöchentlich geht die Soap 2015 mit neuer Hauptrolle weiter. Den täglichen Sendeplatz nimmt derweil Jörg Pilawas «Quizduell» ein, das beim Test bedingt überzeugte – der Hype um die Quiz-App ist jedoch längst vorbei.
Währenddessen hat das ZDF erklärt, mehr auf Familienserien abseits der Krimis setzen zu wollen. Und was dem Ersten nicht gelingen will, schafft man in Mainz auf Anhieb: Die neue Serie mit Christine Urspruch «Dr. Klein» (Foto) startete extrem erfolgreich beim Gesamtpublikum und bei den jüngeren Zuschauern. Wenig Handlungsbedarf hat auch RTL II, das mit seinen Scripted Realitys weiter erfolgreich fährt, auch wenn «Köln 50667» nur noch selten zweistellige Marktanteile einfährt. VOX experimentiert beim «perfekten Dinner» mit Themenwochen und versucht seine Marke dort zu stabilisieren – mittlerweile sind die Zahlen nur noch Durchschnitt. Auch hier bleibt eine weitere Entwicklung abzuwarten. Bei kabel eins läuft es vor allem mit «Abenteuer Leben – täglich neu entdecken» schlecht – überraschende Neuerungen sind hier aber nicht zu erwarten.
Dennoch ist «Utopia» äußerst interessant für die Entwicklung des Vorabends bei allen Sendern: Derzeit wird viel durchmischt auf diesem Sendeplatz – vor allem mit inhaltlichen Neuausrichtungen oder Spezialsendungen. Dabei hält jedoch fast jeder Sender an seinen etablierten, aber oft nicht übermäßig erfolgreichen Marken fest; noch keiner hat es riskiert, ein Format einzustellen. Die Sat.1-Reality vom «Big Brother»-Erfinder ist das große ambitionierte neue Projekt, an das sich sonst keiner am Vorabend wagt. Dies birgt großes Risiko, aber auch große Chancen. Denn wenn «Utopia» einschlägt, wird dies die Kräfteverhältnisse am Vorabend signifikant ändern – und dann müssen andere Sender zwangsweise reagieren, da ihre Formate dann noch mehr Zuschauer verlieren. Und viele Quotenverluste braucht es bei den meisten Sendungen nicht, um schließlich als klarer Misserfolg zu gelten. Am Vorabend ist es vielleicht die Ruhe vor dem Sturm…