Mit seinem Actionthriller «Wara no Tate - Die Gejagten» feiert der japanische Kultregisseur Takashi Miike ein fulminantes Europa-Comeback.
Als die Enkelin des milliardenschweren Geschäftsmannes Ninagawa Takaoki (Tsutoma Yamazaki) vergewaltigt und ermordet aufgefunden wird, setzt der von Hass und Rachegelüsten getriebene Großvater ein hohes Kopfgeld auf die Ergreifung des Täters aus. Über die Medien verbreitet sich die unverschämt hohe Summe von mehreren Milliarden Yen in Windeseile und schon bald sieht der Mörder keinen anderen Ausweg, als sich der Polizei zu stellen. Um Kiyomaru Kunihide (Tatsuya Fujiwara) ins Staatsgefängnis zu überführen, wird eine Eliteeinheit zusammengetrommelt, die den Schwerverbrecher durch die japanischen Großstädte transportieren soll. Dabei sieht sich das Team nicht nur dem unberechenbaren Psychopathen, sondern dem Hass einer ganzen Nation ausgeliefert, der auch innerhalb der Polizei keine Grenzen zu kennen scheint. Es dauert nicht lange, bis es zum ersten Attentat kommt, sodass nur allzu schnell deutlich wird, dass nahezu jeder irgendeinen Grund hat, Kiyomaru zu töten. Wem können die Polizisten jetzt noch vertrauen?
Ganze 124 Minuten dauert der Thriller, dessen hochemotionale Ausgangssituation die Basis für eine kompromisslose Verfolgungsjagd bietet. Zwei Stunden, die sich vor allem im von Suspense geprägten Genre durchaus lang anfühlen können. Doch Takashi Miike versteht es hervorragend, die Stärken seines Films über die gesamte Laufzeit zu verteilen. Schon die ersten Aufnahmen konfrontieren das Publikum unmittelbar mit den Folgen einer Gewalttat. Sie zeigen den leblosen und geschändeten Körper einer offenbar Minderjährigen, halbnackt und reglos, irgendwo abgelegt, mehr oder weniger weggeworfen. Es bleibt kaum Zeit zum Durchatmen, eh in der nächsten Szene die Konsequenzen dieser Tat folgen. Der von Tsutoma Yamazaki eindringlich verkörperte Ninagawa Takaoki gibt seine Anzeige an die Zeitung weiter; auf dem Fuß folgend sieht sich der Zuschauer dementsprechend mit einer Form der Selbstjustiz und der Frage konfrontiert, inwieweit diese auch in derartigen Ausnahmesituationen moralisch vertretbar ist. Das Einstiegstempo ist dabei gar nicht mal das höchste. Bedächtig entwickelt sich die Spannung sukzessive. Mit der Einführung der Hauptcharaktere kommt der Part ins Spiel, der als eine Form des Protagonisten fungiert, die sich jedoch nicht auf einen solchen beschränken lässt. Zwar hat man mit dem Gewalttäter offenkundig den Bösewicht gefunden, gleichzeitig handeln auch die Cops nach ganz unterschiedlichen Moralvorstellungen. Im Mittelpunkt stehen dabei der Truppenanführer Kazuki Mekari, gespielt von einem anfangs hölzern, im Laufe der Zeit immer emotionaler agierenden Takao Ohsawa, sowie seine noch junge Kollegin Atsuko (Nanako Matsushima). Dass vor allem hinter Mekari eine aufwühlende Schicksalsgeschichte steckt, formt den Charakter nach und nach und macht ihn zu einem hochinteressanten Gegenspieler Kiyomarus.
Wie unberechenbar die Story ist, kristallisiert sich früh innerhalb einer Schlüsselszene heraus. Bevor sich der Polizeikonvoy mit dem Mörder auf den Weg begibt, muss ebenjener dem Krankenhaus einen Besuch abstatten. Während sich das Publikum noch darauf vorbereitet, dass die eigentliche Geschichte nun langsam ins Rollen kommt, findet bereits an dieser frühen Stelle die nächste Attacke auf den zu schützenden Verbrecher statt. Kameramann Nobuyasu Kita («13 Assassins») hält dabei voll drauf und lässt das Publikum Zeuge wenig ästhetischer Gewalt werden. Takashi Miike geht es in seinem Film nicht um elegante Martial-Arts-Action sondern lässt die Fäuste nur in aus Plotsicht wichtigen Sequenzen sprechen. Die Fights präsentieren sich wenig durchchoreographiert, dafür eindringlich, bisweilen äußerst blutig und die Szenerie in ihrer Bedrohlichkeit unterstreichend. Immer wieder setzt Miike ganz gezielt Gewaltspitzen, die in ihrer Aussagekraft direkt in die Magengrube treffen. Auch Waffengewalt kommt immer wieder zum Einsatz, dennoch ist «Wara no Tate» weit davon entfernt, das Prädikat „Actionfilm“ zu verdienen. Der Fokus liegt weder auf halsbrecherischen Verfolgungsjagten, noch auf Explosionen oder anderer Effekthascherei der Marke «Stirb langsam». «Die Gejagten» ist ein Thriller nach Maß, der seine Spannung aus der Prämisse zieht.