Die Kino-Kritiker: «Tammy»

Melissa McCarthy ist in «Tammy» einmal mehr der Tollpatsch vom Dienst – und damit das Beste am Film.

Filmfacts «Tammy»

  • Kinostart: 03.07.14
  • Genre: Komödie
  • FSK: 12
  • Laufzeit: 97 Min.
  • Kamera: Russ T. Alsobrook
  • Musik: Michael Andrews
  • Autor: Melissa McCarthy, Ben Falcone
  • Regie: Ben Falcone
  • Darsteller: Melissa McCarthy, Susan Sarandon, Dan Aykroyd, Kathy Bates, Toni Collette
  • OT: Tammy (USA 2014)
Eine gute Filmkritik entsteht in den allermeisten Fällen, wenn die Sichtung der zu bewertenden Produktion so unvoreingenommen wie möglich erfolgt. So manches Mal steht der den Film hierzulande vertreibende Verleih diesem Vorhaben allerdings im Weg; etwa dann, wenn die Vorabsichtung erst kurz vor offiziellem Filmstart erfolgt, oder die Sperrfrist derart üppig ausfällt, dass der (bislang tatsächlich unvoreingenommene) Kritiker zwangsläufig misstrauisch werden muss. So verhält es sich auch bei «Tammy», der neuen Komödie mit Comedy-Wuchtbrumme Melissa McCarthy. Die Pressevorführung fand erst wenige Tage vor Kinostart statt und die Tatsache, dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, diese Zeilen zum Film erst heute zu lesen bekommen, hängt damit zusammen, dass bis vor wenigen Stunden nicht über «Tammy» berichtet werden durfte. Angesichts dessen lässt dies für die geneigte Kritikerschaft keine andere Schlussfolgerung zu, als dass Warner Bros. nicht das größte Vertrauen in die Komödie hegt und der Film – salopp formuliert – auch direkt in die Tonne hätte wandern können. Umso überraschender erweist sich da das Resümee, dass «Tammy» alles andere ist, als der zu erwartende Super-GAU der Marke [Die Pute von Panem]] oder «Jack & Jill», ungeachtet dessen aber noch lange nicht gut.

Tammy (Melissa McCarthy) hat nicht gerade das große Los gezogen: An ein und demselben Tag fährt die füllige Burger-Bräterin erst ihren Wagen zu Schrott, verliert ihren Job und zu allem Überfluss ertappt sie ihren Ehemann (Nat Faxon) zuhause mit der verhassten Nachbarin. Im Eifer beschließt Tammy, dass eine Spritztour jetzt genau das Richtige wäre. Den Wagen stellt ihre Großmutter (Susan Sarandon), die nicht gerade weniger Probleme hat, und gemeinsam saust das ungleiche Duo quer durch die Staaten. Das auf diesem irren Trip so einiges schief geht, bekommt Tammy schneller zu spüren als ihr lieb ist ...

Würde man der Oscar-nominierten Melissa McCarthy («Brautalarm») Böses wollen, so könnte man behaupten, die gebürtige Farmerstochter aus Illinois hätte in den vergangenen Jahren ausschließlich ein und dieselbe Figur gespielt. Ihre Rolle in der US-Sitcom «Mike and Molly» einmal ausgenommen, beschränkt sich ihr filmisches Dasein vornehmlich auf das Mimen grobmotorischer Tollpatsche. So gesehen in «Hangover 3», dem Publikumsliebling «Taffe Mädels» an der Seite von Sandra Bullock, sowie im Roadmovie «Voll abgezockt», den sie 2013 mit Jason Bateman bestritt. Wirklich übel nehmen kann man es McCarthy vor allem deshalb nicht, da die bereits 2007 durch «Gilmore Girls» bekannt gewordene Schauspielerin, Drehbuchautorin und Produzentin eine wahre Comedy-Göttin ist und mithilfe ihres Talents für Timing und große Interaktion sämtliche Konkurrentinnen auf ihrem Terrain an die Wand spielt. Doch auch das begnadetste Erfolgsmodell läuft sich irgendwann tot und so könnte «Tammy» für McCarthy eine neue Ära einläuten. Ungeachtet der Tatsache, dass die Aktrice auch hier eine One-Woman-Show vom Feinsten abliefert, entsprechen Skript, Inszenierung sowie McCarthys Schauspielkollegen nicht dem Niveau ihrer Hauptfigur. «Tammy» ist ein vorhersehbarer und noch dazu undefinierbarer Mischmasch verschiedener Genres, die weder im Mix, noch für sich stehend funktionieren.

An der Seite der Grande Dame Susan Sarandon («Big Wedding») schlägt sich Melissa McCarthy in «Tammy» zu Selbstfindungszwecken und nicht zuletzt aus hemmungsloser Frustration heraus durch einen vermeintlich amüsanten Roadtrip. Wie die titelgebende Antiheldin in diese prekäre Situation gelangt, ist tatsächlich äußerst komisch anzusehen und folgt klassischen Comedy-Grundsätzen. Dabei wird «Tammy» innerhalb der ersten zwanzig Minuten nicht albern, legt ein knackiges Tempo vor und weiß in der visuellen Umsetzung zu gefallen. Doch sobald Susan Sarandon den Part der zweiten Hauptfigur übernimmt, erweist sich das Skript als unausgeglichen und die Figurenzeichnung als grenzwertig. Während McCarthy als Tammy einmal mehr eine Powerfrau-Performance knapp oberhalb der Gürtellinie an den Tag legt, lässt Sarandons Darbietung nicht erkennen, ob die Schauspielerin von ihrer eigenen Figur angewidert oder von der Story amüsiert ist. Teilweise gleicht ihr Spiel gar einer Selbstdemontage; in Gestik und Mimik setzt der Hollywoodstar nicht auf nuanciertes Agieren, sondern auf Hau-Drauf-Choreographien. Auch in Momenten, in denen es per se zu der Figur passt, ordentlich über die Strenge zu schlagen, einen graumelierten Herren auf dem Rücksitz zu vernaschen und hemmungslos – das bedeutet auch oben ohne – zu feiern, scheint sich Susan Sarandon nie wohl zu fühlen. Die Interaktion mit McCarthy wirkt viel zu oft gestellt und nicht derart intuitiv wie es zum Beispiel mit Jason Bateman in «Voll abgezockt» der Fall war.

Ein weiterer Schwachpunkt des Skripts ist die fehlende Ausrichtung. Wie im Trailer, der wieder einmal die mit Abstand amüsanteste Szene in Gänze vorab verrät, angekündigt, haben Ben Falcone und seine Ehefrau Melissa McCarthy ihr erstes gemeinsam verfasstes Drehbuch äußerst humoristisch angelegt. Abgesehen von einigen für sich stehend zündenden Pointen sind diverse Gags allerdings nicht mehr dem Zeitgeist entsprechend und schlicht wenig lustig. Gleichzeitig rückt auch der arg bemüht wirkende Drama-Anteil «Tammy» in ein wenig vorteilhaftes Licht. Als Schlüsselszene entpuppt sich ein vermeintlicher Todesfall, welcher dem Streifen mit einem Schlag wesentlich mehr Substanz verliehen hätte (ohne dabei zu dramatisch zu erscheinen), der jedoch lediglich Bestandteil einer weiteren zahnlosen Gag-Auflösung ist. Dadurch und durch diverse weitere Szenen beraubt sich die Komödie immer wieder selbst interessanter Wendungen und gerät somit in sämtlichen neunzig Minuten wenig mitreißend und vorhersehbar. Auch die sich kurzfilmartig aneinander reihenden Stationen innerhalb des Roadtrips entfalten nicht einmal für sich genommen die Dynamik, die allein innerhalb der ersten zwanzig Minuten zu vernehmen ist. Kein Wunder: Figuren handeln beliebig und ohne Rücksicht auf eventuelle Charakterzeichnungen, Konflikte verlaufen im Sande und schlussendlich hat die Prämisse der Geschichte nicht die Zugkraft für einen abendfüllenden Spielfilm. Unter diesem Gesichtspunkt ist es vielleicht doch kein allzu schlechter Schachzug gewesen, «Tammy» erst kurz vor Start der deutschen Presse zu präsentieren.

Auf technischer Ebene sticht die Comedy-Produktion ebenfalls nicht heraus. Der Soundtrack besteht – zur Stimmung und Tammys Kodderschnauze passend – aus rauen Rock-Evergreens. Optisch präsentiert Kameramann Russ T. Alsobrook («Der Kaufhaus-Cop») unverfälschte Bilder, die ohne den typischen Hollywood-Lack und ab und an gar mit einem leicht dokumentarischen Touch daherkommen.

Fazit: Bricht man «Tammy» auf die Leistung der Hauptdarstellerin Melissa McCarthy herunter, erweist sich einmal mehr vor allem diese als das Glückslos des Films. Ihre Performance ist gewohnt stark und gerade in den dramatischeren Momenten beweist die Schauspielerin, dass sie nicht nur Komödie kann, sondern in allen Belangen überzeugt. Betrachtet man den Film jedoch als Gesamtpaket aus Darstellerleistungen, Story und Inszenierung ist «Tammy» zwar nicht der erwartete Super-GAU, aber eben auch ganz weit entfernt von einem guten Film.

«Tammy» erscheint am 3. Juli bundesweit in den deutschen Kinos.
03.07.2014 17:00 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/71599