Die Kino-Kritiker: «Godzilla»

Japans liebstes Ungetüm stapft zurück nach Hollywood. Erwartet uns ein seichtes Spektakel im Stile Emmerichs oder ein runder Eventfilm?

Die am besten bewerteten Godzilla-Filme

  1. «Godzilla» (1954, 7,5 Punkte)
  2. «Godzilla, Mothra, King Ghidorah: Generalangriff der Riesenmonster» (2001, 7,3 Punkte)
  3. «Godzilla vs. Mechagodzilla II» (2002, 6,9 Punkte)
  4. «Godzilla gegen Destoroyah» (1995, 6,8 Punkte)
  5. «Godzilla - Tokyo SOS» (2003, 6,7 Punkte)
Durchschnittliche Bewertung bei IMDb // Stand: 14. Mai 2014 // «Godzilla» 2014 wurde noch nicht berücksichtigt
Godzilla: Radioaktive Riesenechse mit ganz eigenem, ikonisch gewordenem Gebrüll. Prototyp der Kaijus, jener überdimensionaler Filmmonster, die mit Vorliebe durch Großstädte tapsen und dabei alles in Schutt und Asche legen. Dank eines charmant-trashigen Image von Genrefans zum König der Monster ernannt. Verewigt durch einen Stern auf dem Walk of Fame sowie einer Gedenkstatue in Tokio. Wer sich in der Popkultur auch nur ein Stück weit zu Hause fühlt, kennt ihn, den Star von mehr als zwei Dutzend Kinofilmen.

Allem Ruhm zum Trotz machte die Schöpfung des Produzenten Tomoyuki Tanaka, des Regisseurs Ishirō Honda und des Effektspezialisten Eiji Tsuburaya von 2004 an eine zehn Jahre lange Leinwandpause. Mit der geschätzt 160 Millionen Dollar teuren Produktion aus den Häusern Warner Bros. und Legendary Pictures kehrt das Monstrum nunmehr nicht nur mit mehr Budget denn je zuvor in die Lichtspielhäuser zurück, sondern schickt sich zudem an, seine US-amerikanische Erfolgsbilanz aufzubessern. Gilt doch das einzige andere Hollywood-Werk über das Riesenvieh, Roland Emmerichs Blockbuster «Godzilla» von 1998, unter Liebhabern des verstrahlten Schuppentiers als filmische Katastrophe.

Nicht, dass Japans liebster Auslöser von Massenverwüstungen ansonsten eine sonderlich konstante Erfolgsgeschichte hingelegt hätte. Oder ein Garant für einen die gesamte Reihe über gleichbleibenden Tonfall sei. So mancher Godzilla-Film richtete sich beispielsweise an die ganz junge Zielgruppe, wie etwa «Godzilla: Attack All Monsters». Andere verstanden sich als psychedelisch angehauchte Satire (etwa der in Deutschland fragwürdig betitelte «Frankensteins Kampf gegen die Teufelsmonster») oder als reine Zerstörungsorgie (darunter «Godzilla: Final Wars», das Finale der sogenannten „Millenium-Staffel“). Mal war Godzilla eine destruktive Naturgewalt, mal die unförmige Rettung der Menschheit. Darüber, welche Stilrichtung dem XL-Reptil mit dem Atomatem am besten steht, können Fans Stunden debattieren.

Unbestreitbar sollte derweil sein, dass der 1954 entstandene Monsterfilm «Godzilla», die Geburtsstunde des Monstrums, unter Filmhistorikern die größte Achtung genießt. Finstere Schwarzweiß-Kinematografie, für ihre Zeit ambitionierte Spezialeffekte und eine karge, traumatisierte Grundatmosphäre brachten in diesem Schauerklassiker Japans seelische Wunden der Atomangriffe auf Hiroshima und Nagasaki bewegt zum Ausdruck. Diesen Monsterfilm-Meilenstein nutzt Regisseur Gareth Edwards als hauptsächliche Inspirationsquelle für sein Hollywood-Spektakel, vereinzelte Elemente aus dem restlichen Godzilla-Mythos finden allerdings ebenfalls Einzug in diesen aufwändigen Unterhaltungsfilm, der sich redlich bemüht, Kaiju-Fans jeder Prägung und Gelegenheitszuschauer gleichermaßen zufriedenzustellen.

Als primär an Godzillas Wurzeln orientiertes Projekt nimmt Edwards' Mammutproduktion ihren Anfang mit der atomaren Bedrohung: Im Jahr 1999 muss Nuklearwissenschaftler Joe Brody (Bryan Cranston) mitansehen, wie seine Frau und geschätzte Arbeitskollegin Sandra (Juliette Binoche) bei einem schwerwiegenden Unfall in einem japanischen Atomkraftwerk stirbt. Davon überzeugt, dass weder menschliches Versagen noch ein gewöhnliches Erdbeben zu diesem Unglück führte, verbringt Joe die folgenden Jahre vorrangig damit, Verschwörungstheorien rund um den tragischen Vorfall nachzugehen. Die Beziehung zu seinem Sohn geht daraufhin in die Brüche. 15 Jahre nach dem einschneidenden Ereignis macht sich Ford Brody (Aaron Taylor-Johnson), mittlerweile glücklich verheiratet, selber Papa und obendrein Leutnant beim US-Militär, dennoch auf, seinen Vater zu besuchen und dazu zu überreden, zurück in die USA zu ziehen. Dieser besteht aber darauf, dass Ford mit ihm in die Sperrzone beim Atommeiler-Wrack eindringt. Dort will Joe Beweise für seine jüngsten Mutmaßungen suchen. Und tatsächlich offenbart sich dem Vater-Sohn-Gespann, dass hinter dem Unglück weit mehr steckte, als der Öffentlichkeit preisgegeben wurde: Der mysteriöse Forscher Ichiro Serizawa (Ken Watanabe) betreibt in den Ruinen absonderliche Experimente, die eine Urgewalt wecken …

Anders als einige der späteren Nippon-Filme über die größte Echse der Popkultur fokussiert diese «Godzilla»-Handlung zunächst menschliche Protagonisten sowie deren Ängste, womit ein nicht zu verachtendes Element der Beklommenheit und Anspannung erzeugt wird. Auch wenn die Charakterisierung der zentralen Figuren äußerst dünn ausfällt. «Kick-Ass»-Titeldarsteller Aaron Taylor-Johnson mag sich zwar gut durchtrainiert von A nach B kämpfen und darf zudem einige vielsagende Blicke in Richtung Kamera werfen, trotzdem gibt ihm das Drehbuch selbst am Genreschnitt gemessen nur ein dürftiges Profil. Sein hilfsbereiter und aufgeweckter Soldat ist zu makellos, um als Leinwandpersönlichkeit wirklich in Erinnerung zu bleiben. Insbesondere, da «Breaking Bad»-Frontmann Bryan Cranston allein schon im Prolog sämtliche Co-Stars an die Wand spielt: Mit gigantischem Engagement und packender Mimik macht der mehrfache Emmy-Preisträger die menschliche Tragödie des anfänglichen Reaktorunfalls spürbar.

Abseits dessen macht das restliche Ensemble rund um Elizabeth Olsen, Ken Watanabe, Sally Hawkins und David Strathairn seinen Job solide, ohne je wirklich bestechen zu können, da die Figuren stets minimal skizziert werden und solche Aspekte wie Paranoia oder die Verzweiflung von Katastrophenopfern eher durch die Inszenierung sowie den Handlungsverlauf abgedeckt sind. Dies gelingt Regisseur Gareth Edwards dafür mit sicherer Hand. Nach und nach weitet der Brite die Bandbreite des Leinwandgeschehens: Eingangs schürt er in bester Suspense-Manier die Erwartungshaltung, indem er das Publikum über die Hintergründe der gezeigten Ereignisse im Unklaren lässt, die erste Monstersichtung geschickt hinauszögert und obendrein das Zusammenspiel von Cranston und Taylor-Johnson in den Vordergrund rückt. Sobald die Schneise der Zerstörung von Japan über die Südsee bis zum US-Festland beginnt, erzählt Edwards das Geschehen zunächst aus der Perspektive der Augenzeugen. Und erst nach mehreren ausführlichen, mitreißenden Fluchtsequenzen dreht sich alles um den in weiten, ruhigen Kameraaufnahmen abgebildeten Showdown, der Godzilla als fähige Kampfechse zeigt.

Diese gedehnte, von Umbrüchen geprägte Erzählung ist nicht reich an Tempo, trotzdem kommt dank Edwards kompetenter Inszenierung und der strammen Spannungskurve kaum Langeweile auf. Im ersten Akt sorgen visuelle Fukushima-Anleihen für leichten Schauer, zudem erzeugen lange, im Halbschatten gehaltene Aufnahmen voller Details eine schneidend dichte Atmosphäre. Der von Panik getränkte Mittelteil wiederum ist viel dynamischer gefilmt, dennoch bleibt die Übersicht stets gewährt: Kameramann Seamus McGarvey («Anna Karenina») weiß durchgehend, die morbide Ästhetik der gezeigten Katastrophen einzufangen, der Schnitt von Bob Ducsay («Looper») ist unterdessen zügig und lässt trotzdem lieber das Chaos auf der Leinwand sprechen, statt selbst chaotische Züge anzunehmen. Im ausgedehnten Finale kommen schlussendlich die erstaunlichen Spezialeffekte dieser Produktion zur vollen Geltung. Obgleich Godzilla dieses Mal aus dem Computer stammt, wirkt er unentwegt erschreckend echt. Dies liegt zu gleichen Teilen am überzeugenden Design, dem plastischen Schattenwurf und an den lebensnah scheinenden Animationen, von denen sich selbst Effektmeilensteine wie der überbordende dritte «Transformers»-Teil eine Scheibe abschneiden können.

Eine Oscar-Nominierung in der Effektsparte dürfte «Godzilla» somit nahezu sicher sein – es wäre die erste für den 60 Jahre alten Koloss. Gut möglich, dass es nicht bei dieser Nominierung allein bleibt, denn das Sounddesign ist genauso imposant wie die visuelle Effektarbeit. Es knarzt, kracht, ächzt, stöhnt in finsteren, schneidenden Klängen aus sämtlichen Lautsprechern, und dies in kristallklarer Qualität.

Mindestens ebenso wichtig wie die Umsetzung der Action ist auch ihr dramaturgischer Einsatz. Und der überzeugt: Trotz der Länge des bombastischen Schlusskampfes kommen keine Ermüdungserscheinungen auf – nicht zuletzt, weil Edwards vorab die Monsteraction konsequent kurz hält und so Appetit weckt. Ein simpler, zudem mit Augenzwinkern umgesetzter Kniff, der unter anderem dem eintönigen «Pacific Rim» sehr gut getan hätte.

Die Weltenbildung von «Godzilla» zählt ebenfalls zur oberen Güteklasse des Genres, selbst wenn sich gen Schluss manche das Wohlwollen des Publikums herausfordernde Patzer einschleichen. Beispielsweise bleiben in dieser Geschichte Atomexplosionen für die Bevölkerung recht folgenarm – im Actiongenre vielleicht zu verzeihen, nicht aber, wenn der Regisseur eingangs noch veritabel mit Atomängsten kokettiert und die Schauplätze der Monsterangriffe realitätsnah in Szene gesetzt werden. Der behutsam eingesetzte Pathos des Films und der noch rarer verwendete, dafür umso pointiertere Humor versuchen jedoch, über einige dieser Schönheitsfehler hinwegzutäuschen. Wenn selbst dies scheitert, kann sich «Godzilla» noch immer auf seinen Komponisten verlassen: Alexandre Desplat («Moonrise Kingdom», «The King's Speech») kreiert unter Einsatz schwerer Percussion, beißenden E-Violinen und tiefer Bässe eine lautstarke, kraftvolle und denkwürdige musikalische Klangkulisse, die dem Gesamtwerk den letzten Schliff verleiht.

Fazit: Monströse, mitreißende Action ohne übermäßige Ironie oder ermüdende Kampfsequenzen – der König der Kaijus ist zurück und dies in Spitzenform. Beeindruckende Bilder, nachhallende Klänge und ein hohes Maß an Spannung machen dieses Zerstörungsepos zu einem sättigenden Stück Popcornkino. Selbst wenn sich das eingangs angedeutete Maß an Cleverness gen Schluss verläuft und die menschlichen Figuren zwar effektiv für Dramatik sorgen, schlussendlich aber so blass wie die 3D-Konvertierung bleiben.

«Godzilla» ist ab sofort in zahlreichen deutschen Kinos in 2D und 3D zu sehen.
15.05.2014 06:30 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/70733