Dietmar Bär: ,Der Hype ist mir nicht ganz geheuer'

Das sagt Dietmar Bär, Kölner «Tatort»-Kommissar, zu den hohen «Tatort»-Quoten. Warum ihm Kritikerurteile wichtiger sind, wie er die Zukunft des «Tatorts» sieht und wie lange er noch weitermachen will.

Zur Person: Dietmar Bär

Dietmar Bär, geboren 1961 in Dortmund, gehört zu den erfolgreichsten «Tatort»-Ermittlern. Einen seiner ersten größeren Auftritte hatte Bär 1984 in einer «Tatort»-Episode, in der er einen Hooligan verkörperte. Seit 1997 ermittelt Bär an der Seite seines Kollegen Kollegen Klaus J. Behrendt hingegen selbst als in Köln. Mit rund drei gezeigten Fällen pro Jahr gehört der bekennende Fan von Borussia Dortmund zu den gefragtesten Kommissaren im «Tatort»-Universum - und wurde in einer Umfrage im Januar sogar zum beliebtesten TV-Ermittler der Deutschen gewählt.
Herr Bär: Seit über 16 Jahren sind Sie «Tatort»-Ermittler. Fallen Ihnen Highlights aus dieser Zeit ein?
Ja natürlich, Highlights gibt es immer wieder. Aber Highlights sind immer sehr subjektiv. Das merke ich schon in den Diskussionen mit meinem Freund Klaus J. Behrendt, in denen wir oft unterschiedliche Meinungen zu unseren Fällen haben. Ich persönlich habe noch besonders gut unseren ersten Fall im Kopf. Aber auch unseren vierte Film "Bildersturm", "Manila" und die Episode "Bestien" mag ich sehr. "Der Fall Reinhardt", unser zuletzt gesendeter Fall, hatte allerdings auch eine sehr gute Story!

Am Sonntag steht Ihr 60. Fall an. Bei all den neuen Ermittlern, die in letzter Zeit dazugekommen sind: Beginnt man sich nicht langsam wie ein "alter Hase" vorzukommen?
Eine Sekunde: Sie sagen der 60. Fall? Ich bin, was das angeht, oft ein wenig verwirrt, weil das mit der Zählung der Filme so eine Sache ist. Wir haben z.B. vier Crossover-«Tatorte» mit den Leipziger Kollegen gemacht, darunter einen Zweiteiler 2012. Die wurden teils aber als MDR-«Tatorte» geführt, weswegen man nicht eindeutig sagen kann, der wievielte Fall es jetzt tatsächlich ist. Aber wenn Sie "Ohnmacht" als 60. Fall sehen wollen, habe Sie selbstverständlich das Recht dazu, das so zu schreiben. Ist mir recht! (lacht)
Aber zurück zur Frage: Selbstverständlich sind wir "alte Hasen"! Toll ist aber, dass diese alten Hasen nicht unbeliebt sind. Denken Sie nur an die Umfrage aus dem Januar zurück, in der Freddy Schenk als beliebtester TV-Ermittler der Deutschen aufgeführt ist…

Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen. Was zeichnet Freddy Schenk gegenüber anderen Ermittlern aus?
Es gibt so viele unterschiedliche Ermittlergestalten im Fernsehen, weshalb ich das nicht zu sagen vermag. Aber wissen Sie: Das war schon eine tolle Sache! Gerade weil diese Umfrage nicht nur den «Tatort» betraf, sondern alle TV-Ermittler miteinbezog. Und Sie sehen selbst, wie viel Serienstoff tagtäglich auf uns einprasselt. Nicht zuletzt das ZDF geht in Sachen Krimis derzeit stark in die Offensive. Da beobachte ich schon eher nachdenklich, wie das gesamte Genre Krimi in Zukunft im Fernsehen klarkommen wird.

Glauben Sie denn, dass der «Tatort» auf lange Sicht klarkommen und das "letzte Lagerfeuer" der Nation bleiben wird?
Der Hype, der im Moment um den «Tatort» und seine Quoten gemacht wird, ist mir nicht ganz geheuer. Sicher ist das Phänomen, das der «Tatort» als TV-Lagerfeuer alle Altersgruppen anspricht, wirklich besonders. Ich denke, dass man bei alledem aber den Einfluss des Internets nicht vergessen darf. Wir wachsen nicht mehr mit einem Fernsehprogramm auf, bei dem man als passiver Zuschauer auf irgendwelche Knöpfe drückt. Jeder stellt sich sein Fernsehprogramm heute eigenständig zusammen und schaut es, wann er will. Umso erstaunlicher ist es, wie viele Formate der «Tatort» schon überlebt hat. Fernsehgeschichtlich befinden wir uns gerade in einer Übergangsphase. Wohin es geht, kann keiner sagen.

Vor ein paar Jahren gingen noch Teams mit sieben Millionen Zuschauern als Erfolg durch. Heute muss in aller Regel eine neun vor dem Komma stehen. Dieses Wertesystem, das in den letzten Jahren aufgekommen ist und nur auf die exorbitant hohen Quoten fixiert ist, gefällt mir als 'altem Hasen' nicht.
Dietmar Bär zum «Tatort» und seinen Quoten
"Der Fall Reinhardt" erreichte mit seiner Premiere grandiose 11,29 Millionen Zuschauer. Ist für Ihren nächsten Fall noch Luft nach oben?
Aus solchen Quotenspekulationen halte ich mich lieber raus. Wie gesagt: Ich betrachte diesen Hype, offen gesagt mit ein wenig Sorge. Vor ein paar Jahren gingen noch Teams mit sieben Millionen Zuschauern als Erfolg durch. Heute muss in aller Regel eine neun vor dem Komma stehen. Dieses Wertesystem, das in den letzten Jahren aufgekommen ist und nur auf die exorbitant hohen Quoten fixiert ist, gefällt mir als "altem Hasen" nicht. Vielmehr bin ich interessiert an Urteilen, die ich draußen höre: An dem, was mir die Leute im Fußballstadion, an der Kasse oder am Flugplatz zu unseren Fällen sagen. Das heißt natürlich nicht, dass mich die gute Quote nicht gefreut hätte. Aber wie soll man das schon abschätzen? Wenn es ein wunderbarer Frühlingstag wird, bleiben uns viele Zuschauer fern. Wenn der Tag aber verregnet ist, erinnern sich die Leute vielleicht doch an Max und Freddy und schalten ein.

Und Sie? Schauen Sie sonntagabends eigentlich «Tatort», wenn nicht Max und Freddy ermitteln?
Ja, aber selbstverständlich! Ich bin nicht nur Schauspieler, sondern auch Zuschauer. Und ich gehöre zu denen, die sich dazu auch offen bekennen! Es gibt Kollegen, die behaupten, sie lebten nur mit der Kunst. Ich lebe auch mit der Unterhaltung. Deshalb interessieren mich die Dinge, die Kollegen machen, natürlich brennend. Ich bin schließlich wie Sie mit dem «Tatort» bzw. dem Medium Fernsehen aufgewachsen.

Und was ist mit den Filmen von Til Schweiger?
Sie wissen selbst, was alles darüber geschrieben wurde. Aber das ist das Schöne: Unser Mehrgenerationen-Haus «Tatort» ist so groß, dass die Jungs aus Münster nicht weniger reinpassen als ein Action-Held Til Schweiger.

Viele sagen zwar, dass sie den Überblick verlieren – und viele Journalisten haben bei den neuen Ermittlerteams ja auch von "Jugendwahn" im «Tatort» gesprochen. Aber das sehe ich nicht so.
Dietmar Bär zu den zahlreichen Ermittlern
Das heißt, Sie sehen die große Anzahl an Ermittlern als eine Bereicherung und nicht als mögliches Problem an?
Was den «Tatort» betrifft, ja. Viele sagen zwar, dass sie den Überblick verlieren – und viele Journalisten haben bei den neuen Ermittlerteams ja auch von "Jugendwahn" im «Tatort» gesprochen. Aber das sehe ich nicht so. Ich glaube, dass viele Zuschauer die Vielfalt lieben. Schließlich hält das die Marke auch ein Stück weit lebendig. Gut ist, dass jeder «Tatort» seine eigene Art hat. In Hamburg erzählen Sie die Geschichten anders als am Bodensee.

Richtig. Und in Köln erzählen Sie gerne mit der Würstchenbude…
Genau, die Würstchenbude ist eines unserer beliebtesten Bühnenbilder! Aber sie taucht ja nicht immer auf. In manche Filme passt sie einfach nicht rein.

Was viele Fans freuen wird: Im nächsten Fall ist sie wieder dabei.
Gott sei Dank! (lacht)

Wovon handelt Ihr Fall, der heute Abend ausgestrahlt wird?
Es geht um eine Gewaltsituation mit Jugendlichen auf einem U-Bahnhof. Etwas, wovon man in den Medien leider oft schon gelesen hat, das ist traurige Realität. Der Titel "Ohnmacht“ bündelt die Aussage des Films eigentlich ganz gut. Sowohl die Kommissare als auch die direkt und indirekt Beteiligten bleiben in dieser ganzen Geschichte ziemlich ohnmächtig. Obwohl Max Ballauf Mitten in der Geschichte drinsteckt, merkt man im Laufe der 90 Minuten, dass auch er ziemlich ohnmächtig zuschauen muss - ohne das Geschehen selbst beeinflussen zu können.

Glauben Sie, dass die Jugend heutzutage immer schlimmer bzw. gewaltbereiter wird?
Naja, als ich Jugendlicher war, wurde uns auch schon prophezeit, dass wir immer schlimmer werden. Von daher ist das Abendland 2014 noch nicht untergegangen! (lacht) Aber ernsthaft: Ich denke, dass die Gewaltbereitschaft schon zugenommen hat. Ich persönlich beobachte bei einigen jungen Menschen eine gewisse „Entsolidarisierung“ gegenüber Älteren und Schwächeren. Irgendwas gleitet da weg, finde ich. Woran das liegt? Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die vorherrschenden Medienstrukturen auf Jugendliche Einfluss ausüben. Was sind denn die Konsequenzen ständiger Verfügbarkeit? Davon, dass wir immer und zu jeder Zeit online sein können? Und dass wir praktisch alles heute im Internet nachschauen können? Ich weiß es nicht.

In Ihrem Fall erfährt nicht zuletzt das Jugendstrafrecht scharfe Kritik. Kommen jugendliche Straftäter in unserem Land zu leicht davon?
Das ist schwer zu sagen. Ich persönlich tue mich schwer damit, wenn über eine "milde Justiz" geschrieben wird. Wir müssen uns schon vorher fragen: Warum werden Jugendliche zu Straftätern? Man sollte immer an den Ursprüngen gehen – und gerade bei Jugendlichen fängt die Arbeit früh an. Da sind Ausbildung, Schule und Elternhaus gefragt. Es geht letztendlich darum, die Dinge ausreichend zu reflektieren. Wir dürfen Jugendliche mit ihren Problemen, Sorgen und Ängsten nicht alleine lassen.

In Ihrem neusten Fall brauchen die beiden Ermittler Nerven aus Drahtseilen. Glauben Sie, Sie hätten im echten Leben ausreichend Nervenstärke, um als Polizeikommissar zu arbeiten?
Um Gottes Willen, nein! Darum bin ich auch Schauspieler geworden, darf mich mit allen möglichen gesellschaftlichen Themen auseinandersetzten und nebenbei noch im «Tatort» ermitteln. Ich habe vor Kriminal-, aber auch Zivilpolizisten im wahren Leben einen unglaublich hohen Respekt. Man braucht schon ein dickes Nervenkostüm, um mit den Situationen fertig zu werden, mit denen man es zutun bekommt. Wir haben den Täter fast immer um 21.45 Uhr ermittelt. In der Realität kann so etwas unter Umständen Jahre dauern.

Ein Kommissar sagte mal: Die einzige Gemeinsamkeit zwischen TV-Ermittlern und echten Ermittlern ist, dass bei beiden immer die Kaffeemaschine läuft…
Richtig! Das ist das eine. Und noch eine zweite Sache ist gleich. Man hat kaum Zeit, um sich ein gesundes Essen zu besorgen. Wenn es irgendwo etwas zu Essen gibt, bewegt sich das immer zwischen Döner, Pizza und Currywurst!

Die Würstchenbude ist also doch realer als gedacht!
Ja, auch das ist bittere Realität (lacht).

Herr Bär, letzte Frage: Sie fahren zurzeit einen Erfolg nach dem nächsten ein. Denkt man da überhaupt ans Aufhören?
Sie sehen es ja selbst, dass im «Tatort» alles schnelllebiger geworden ist. Insofern weiß man nie. Im Moment macht es mir aber immer noch einen sehr großen Spaß mit den Kollegen zusammen zu arbeiten. Deshalb gibt’s im Moment wirklich keinen Grund aufzuhören. Aber: Irgendwann wird’s halt soweit sein. Alles ist endlich.

Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Bär!
Dietmar Bär alias Freddy Schenk ist laut einer Umfrage der beliebteste TV-Ermittler. Mögen Sie den 53-Jährigen?
Ja, die Kölner «Tatorte» mit ihm sind super.
78,9%
Er ist zwar nicht schlecht, aber auch nicht der beste Kommissar.
19,1%
Ich mag ihn weniger.
2,1%
11.05.2014 12:00 Uhr  •  David Grzeschik Kurz-URL: qmde.de/70611