Die Kino-Kritiker: «Dom Hemingway»

Starke Performance, mäßiges Drehbuch: Jude Law allein macht «Dom Hemingway» zu einem intensiven Stück Gangsterkino.

Hinter den Kulissen

  • Regie: Richard Shepard
  • Produktion: Jeremy Thomas
  • Drehbuch: Richard Shepard
  • Musik: Rolfe Kent
  • Kamera: Giles Nuttgens
  • Schnitt: Dana Congdon
Der extrem selbstbverliebte Safeknacker Dom Hemingway (Jude Law) muss für 12 Jahre in den Knast – er hatte zwar die Chance, im Austausch für wertvolle Informationen über seinen Auftraggeber eine kürzere Strafe abzusitzen, doch der zügellose Kleinganove entschied sich dazu, den Mund zu halten. Zur Belohnung wird er nach seiner Haftentlassung auf Kosten seines Bosses Mr. Fontaine (Demian Bichir) zu einem Dreier mit zwei gut gebauten Prostituierten eingeladen. Einige wilde Stunden voller Sex, Koks und Alkohol später geht es für Dom, der sich liebend gern in vulgärer Spontanposie übt, und seinen besten Freund Dickie (Richard E. Grant) von London nach Südfrankreich, wo ihr Chef auf sie wartet. Vor Ort verliert Dom allerdings die Geduld und fordert ebenso lautstark wie unverblümt eine heftige Entschädigung für die verlorenen Jahre. Der in einer Prachtvilla lebende Mr. Fontaine ist jedoch kein Freund harschen Benehmens …

Doms und Dickies Begegnung mit dem wie ein Bond-Bösewicht hausenden, weltmännisch-exzentrischen Mr. Fontaine sowie seiner attraktiven Gespielin Paolina (Madalina Diana Ghenea) ist bloß eine von zahlreichen Stationen in dieser ziellosen Reise durch Großbritanniens kriminelle Milieus. Regisseur und Autor Richard Shepard zeigt seine Titelfigur bei hemmungslosen Eskapaden, herben Verhandlungen sowie unbekümmerten Feierstunden mit seinem Auftraggeber, von Rachegelüsten getriebenen Prügeleien und bei verzweifelten Versuchen, neue illegale Jobs an Land zu ziehen. Dies ließe sich als kohärente Handlung erzählen, als Einblick, wie ein verkommener Charakter nach seiner Gefängnisentlassung alte Rechnungen begleicht und darüber hinaus den Anschluss an die veränderte Unterwelt sucht. Shepard aber reiht in seinem Film die Geschehnisse lose und zweckfrei aneinander, hakt viele herbe Ereignisse ohne jegliche Konsequenzen ab und lässt auch nie zu lang einen bestimmten Tonfall vorherrschen.

Wenn Dom nach einer Auseinandersetzung mit seinem Auftraggeber verzweifelt durch dessen Park rennt und im Gespräch mit Dickie langsam hinter seine großmäulige Fassade blicken lässt, mündet «Dom Hemingway» kurzfristig in ein Gangsterdrama – inklusive einer formidablen, facettenreichen Performance von Jude Law. Später schreiten die Dialoge in eine bewusst absurde Richtung, schwere Unfälle und Gewaltausbrüche werden kess kommentiert – und die Pointen sitzen, vor allem dank Jude Laws ansteckender Spielfreude, mit der er ein Feuerwerk an Schimpfwörtern loslässt. Und wenn Dom im Rahmen einer Wette seine Fähigkeiten als Safeknacker unter Beweis stellen muss, mutiert der Film zu einer packenden, süffisanten Kriminalposse mit einem genüsslich aufgebauten Spannungsbogen – sowie einer großartigen Schauspielleistung Jude Laws, der durch sein Chargieren zwischen großen Gesten und kleinlauten Zwischentönen förmlich hinter seiner Rolle eines angeberischen, dennoch spürbar vom guten Ausgang seiner Wette abhängigen Verbrechers verschwindet.

Kurzum: Wenn es einen roten Faden zwischen den lose verknüpften, sich tonal beißenden Sequenzen gibt, dann ist es Jude Law, der mit Kodderschnauze, verschwitztem Auftreten und intensiven Blicken einen der stärksten Protagonisten abgibt, die es in den vergangenen Jahren im Ganovenkino zu sehen gab. Dom Hemingway ist ein selbstgefälliger, lauter, dreister und schmutziger Typ, der jedoch auch äußerst labil daherkommt und dessen Gehabe daher regelmäßig zusammensackt. Anders als Shepards Skript, dem einfach die selbstsicher-subversive Raffinesse fehlt, mit der Guy Ritchie oder Quentin Tarantino zwischen tonalen Ausrichtungen herum springen, bringt Law diese Stimmungsschwankungen glaubwürdig rüber; er nutzt sie, um Dom zu einer komplexen, unberechenbaren Figur zu machen. Selbst im zahnlos abgehandelten Subplot darüber, wie Dom die Anerkennung seiner erwachsenen Tochter Evelyn (Emilia Clarke) zurückgewinnen will, schaltet Law nicht einen Gang zurück und misst sich mühelos mit James McAvoys schauspielerischer Tour de Force im ähnlich gelagerten «Drecksau».

Anders als McAvoy, dessen Figur im Zentrum eines findigen Drehbuchs steht, muss Law aber seinen Film fast im Alleingang tragen. Die erwähnten tonalen Inkonsistenzen und die zahlreichen fallen gelassenen Handlungsfäden bewirken, dass «Dom Hemingway» trotz seiner knappen Länge von nur 93 Minuten einigen Leerlauf aufweist und die zumeist sehr blassen Nebenfiguren sind ebenfalls wenig hilfreich, über die ins Nichts laufende Handlung hinwegzutäuschen. Auch inszenatorisch hat «Dom Hemingway» im direkten Vergleich mit «Drecksau» das Nachsehen: Besticht Jon S. Bairds Romanadaption mit einem beklemmend-dreckigen Look und steigert sich zwischenzeitlich sogar zu einem rauschartigen Trip in den maroden Verstand der Hauptfigur, ist «Dom Hemingway» zwar makellos inszeniert – jedoch ganz ohne Alleinstellungsmerkmale. Zu schmuddelig für einen Retro-Crimethriller, zu bunt und stylisch für eine subversiv-boshafte Gangster-Charakterstudie.

Genrefans und all jene, die Jude Law in seiner bislang boshaftesten, prahlerischsten Rolle sehen wollen, kommen in «Dom Hemingway» dank einer Handvoll effizient aufgebauter Kernsequenzen und der fantastischen Leistung des «Sherlock Holmes»-Sidekicks dessen ungeachtet auf ihre Kosten. Wer seine Schurkengeschichten dagegen mit zielgerichtetem Plot bevorzugt, sollte wiederum eher verzichten.

«Dom Hemingway» ist ab dem 17. April in deutschen Kinos zu sehen.
16.04.2014 12:00 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/70189