«24h Jerusalem»: Das Lebensgefühl Jerusalems

Nach der ohnehin aufwändigen Produktion der XXL-Doku und einem aufgekommenem Boykott, steht die 24-Stunden-Doku nun unmittelbar vor der Ausstrahlung.

Das Jerusalem der Gegenwart

Jerusalem vereint etliche ethnische und religiöse Gruppen und ist dadurch Treffpunkt unterschiedlichster Kulturen. Neben der Haupstadt des Multi-Kulti ist Jerusalem zugleich aber auch einer der prägenden Schauplätze des Nah-Ost-Koflikts. Ostjerusalem, wird von gemäßigteren Palästinenser-Organisationen als Hauptstadt eines zukünftigen palästinensischen Staates beansprucht, während radikalere Palästinenser-Organisationen die gesamte Stadt als Hauptstadt fordern - de facto wurde Jerusalem allerdings von Israel annektiert.
Am 12. April 2014 sendet der BR die bereits zweite Marathon-Doku. Nach «24h Berlin» stemmten die verschiedenen Produktionsteams auch die komplizierte Produktion zu «24h Jerusalem». Volker Heise, der mehrere Male im Laufe der Produktion nicht wusste, ob das Projekt erfolgreich zu Ende gehen würde, organisierte auch diesmal die XXL-Doku, die sich mit der „heiligen Stadt“ auseinandersetzt, welche drei Weltreligionen als Mittelpunkt ihres Glaubens ansehen. 24 Stunden interessantes Filmmaterial aufzuzeichnen gestaltet sich schon schwierig genug.

Durch die religiöse und politische Brisanz im Rahmen der Dreharbeiten, welche letztendlich im April 2013 vonstattengingen, sahen sich die Verantwortlichen aber auch Boykottaufrufen ausgesetzt. In «24h Jerusalem» begleiten 70 Kamerateams (je ein Drittel Europäer, Palästinenser und Israeliten) insgesamt 90 Protagonisten israelischen und palästinensischen Ursprungs zu gleichen Anteilen. Ursprünglich sollte schon im September 2012 gedreht werden, die Aufzeichnungen wurden jedoch verhindert.

Die Produktion stieß vor allem von palästinensischer Seite aus auf Widerstand. Palästinensischen Protagonisten wurden soziale Isolation, wirtschaftliche Einbußen oder körperliche Gewalt über Anrufe und E-Mails in Aussicht gestellt, sollten sie sich am Projekt beteiligen. Kurzfristig zogen sich eingeplante Teilnehmer wieder vom Projekt zurück, Dreharbeiten mussten verschoben werden. Was die protestierenden Bewohner missverstanden: «24h Jerusalem» konzentriert sich gleichberechtigt auf beide ortansässigen Bevölkerungsgruppen und erzählt dabei die Lebensgeschichten der verschiedenen teilnehmenden Personen.

Dadurch dass sowohl der Alltag von Israeliten als auch der von Palästinensern aufgezeichnet wurde, interpretierten Teile der Bevölkerungsgruppen dies als Kooperation, was viele daraufhin mit Ablehnung quittierten. „Dies hat das für Jerusalem einzigartige Projekt bis zuletzt gefährdet. «24h Jerusalem» möchte lediglich zeigen, wie sich das Leben in Jerusalem aus unterschiedlichen Perspektiven abspielt. Das TV-Projekt bildet ab und bewertet nicht. Wir bedauern sehr, dass die Palästinenser ihre Chance nicht erkennen und nutzen wollen", erklärte Hubert von Spreti, Redaktionsleiter des federführenden Bayerischen Rundfunks im Angesicht der Proteste. Auch der Boykott wird in der Dokumentation thematisiert.

Vor allem auf die Fragen „Was bedeutet es für eine Stadt, wenn sie von drei Weltreligionen beansprucht wird und von zwei Gesellschaften? Und wie sieht es aus, wenn sich auf wenigen Metern moderne und traditionelle Vorstellungen von Lebensführung aneinander reiben?“, will die Koproduktion zwischen arte und BR eine Antwort geben. Neben den einzelnen Beiträgen, die versuchen das Leben der Protagonisten, wie zum Beispiel das eines Muezzins, das einer Friedensaktivistin oder das eines Franziskaner-Priesters einzufangen, informieren zu jeder vollen und halben Stunde Sequenzen über die Geschichte Israels und Jerusalems, unterstützt von Stadtplänen und anschaulichen Grafiken – das gleiche Konzept verfolgte auch schon «24h Berlin».

Neben den Ausstrahlungen auf arte spielt sich die Doku im XXL-Format dieses Mal aber auch verstärkt im Internet ab: «24h Jerusalem» kann in drei Sprachen über www.24hjerusalem.tv via Live-Stream konsumiert werden oder bei genügend Geduld der Zuschauer auch zwei Monate nach den Ausstrahlungen am 12. April vollständig online abgerufen werden. Parallel zu den Programmierungen im Fernsehen und Internet stehen Regisseur Volker Heise und Kollegen an diesem Tag für Fragen zur Verfügung.

Die politische Neutralität bewahrt «24h Jerusalem» ausnahmslos. Von den Protagonisten Gesagtes werde nie von den Erzählern im Off bewertet und interpretiert, betont Heise. Zwar verhindert die Produktion so die Möglichkeit zwischen Israeliten und Palästinensern zu vermitteln, so vermessen eine Friedensmission zu leiten war Heise jedoch von vornherein nicht. „Mir war klar, dass wir nicht auf eine Mission gehen werden. Ich habe mich eher gefragt, wie wir beide Seiten zum Sprechen bringen können.“ Die beteiligten Drehteams, welche nur Protagonisten der eigenen Bevölkerungsgruppe begleiteten sorgen für die nötige Balance. 500 Stunden Filmmaterial sprangen bei den Produktionen heraus, genauso viele Beteiligte standen vor und hinter der Kamera. Das Mammut-Projekt, das wohl wie keine andere Dokumentation zuvor das Leben in Jerusalem aus Sicht der Bewohner darstellt, wurde nach den schwierigen Grundvoraussetzungen und den aufkommenden Konflikten also doch erfolgreich gestemmt.

Um 6 Uhr morgens beginnen arte und BR ihre Ausstrahlungen am 12. April. Die wichtigsten BR-Sendungen, die aufgrund der Marathon-Programmierung weichen müssen, übernimmt an diesem Tag BR-alpha. Am 10. April präsentiert der BR ab 22.30 Uhr außerdem das Making-Of «Der Weg zu 24h Jerusalem».
10.04.2014 11:25 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/70013