Actionreich, intelligent und außergewöhnlich: «The Avengers»-Star Chris Evans begeistert in einem Meilenstein des Genrekinos.
Die Geschichte spielt in einer post-apokalyptischen, nahen Zukunft: Entgegen lautstarker Proteste zahlreicher Umweltschutzorganisationen beschließt die Weltregierung, der Erderwärmung entgegenzuwirken, indem sie eine neu entwickelte Substanz namens CW7 in die Atmosphäre entlässt. Das Mittel, welches die globalen Temperaturen auf ein gesünderes Maß drosseln sollte, entfaltet jedoch eine zu starke Wirkung, weswegen eine neue Eiszeit anbricht. Nur ein Bruchteil der Menschheit kann dem frostigen Tod entkommen – und zwar, indem sie in den High-Tech-Zug Snowpiercer flüchtet. Innerhalb des von einem ominösen Millionär entwickelten, den gesamten Globus umrundenden Gefährts herrscht jedoch eine eisern überwachte Zwei-Klassen-Gesellschaft: Die hintere Sektion des Zugs lebt in Armut, wird von den Oberen militärisch unterdrückt und ernährt sich ausschließlich von streng rationierten, eintönigen Mahlzeiten. Darüber hinaus reißen die Herrschenden scheinbar wahllos Familien auseinander. Siebzehn Jahre und mehrere rasch im Keim erstickte Revolten vergehen so, bis der wortkarge, doch energische Curtis (Chris Evans) einen neuen, hoffnungsvolleren Aufstand anzettelt.
Schon in den ersten Filmminuten macht Bong Joon-ho deutlich, wie sich sein internationales Debüt von ähnlichen Dystopien unterscheidet. Aus dem Öko-Katastrophenthriller wird nahezu ohne größere Umwege ein düsteres, futuristisches Drama, das den ewigen Klassenkampf in extremer Weise skizziert. Im beklemmenden Inneren des hintersten Zugwagens zeigt Bong Joon-ho den kargen, von Angst und Wut erfüllten Alltag der Unterdrückten – die Charakterisierung der Figuren erfolgt dabei eingangs sehr effektiv über die visuelle Ebene: Mit seinem weiten, stylischen Mantel, einem rauen, coolen Bart und einer tiefschwarzen Mütze strahlt Chris Evans («The Retrun of the First Avenger») bereits auf dem ersten Blick aus, dass er der kernige Anti-Held dieser post-apokalyptischen Erzählung ist. Der gepflegter auftretende Jamie Bell («Nymphomaniac») stellt selbstredend Evans' kessen Sidekick dar und mit ihrem treuen Hundeblick sowie ausgewählten, Bockigkeit ausdrückenden Gesten positioniert die rundliche Octavia Spencer («The Help») unmissverständlich ihre Rolle als eine Art Mutterfigur. William Hurt verkörpert mit seinem zotteligen Bart, einer kleinen Brille und Verletzlichkeit symbolisierenden Krücken derweil ohne jede Frage den kränklichen, altersweisen Mentor des Helden. Trotz dieser so vielsagenden Kostümierungen vermeidet Bong Joon-ho in seiner losen Comicverfilmung Stereotypisierungen: Alle relevanten Figuren zeigen im Verlauf des Films mehr und mehr Facetten, sei es dadurch, dass sie an ihren Aufgaben wachsen, ihre traurigen Hintergrundgeschichten ans Tageslicht kommen oder sie dazu gedrängt werden, düstere Geheimnisse preiszugeben.
Diese Unberechenbarkeit wird allerdings mit so versierter Hand vollführt, dass «Snowpiercer» zu keinem Zeitpunkt chaotisch erscheint. Eher gleicht der detailreich ausgestattete Film seinem titelgebenden Zug: Mit einem unaufhaltsamen Tempo saust «Snowpiercer» in festen Bahnen quer durch die Filmwelt, vereint somit asiatische wie westliche Einflüsse zu einem atemberaubenden Stück Genrekunst. Dieses begnügt sich auch nicht damit, auf den atmosphärischen, charakterstarken ersten Akt folgend nur noch Action pur zu liefern. Kaum wirkt es so, als hätte sich eine Stilrichtung durchgesetzt, ändert dieser unvergessliche Film-Trip erneut die Gangart und schiebt seine beeindruckenden Actionszenen bei Seite, um Raum für eine schrullig inszenierte, kunterbunt bebilderte Gesellschaftssatire zu schaffen. Visuell, humoristisch und sogar darstellerisch könnte die ausführliche Sequenz mit einer vor Spielfreude beinahe platzenden Alison Pill im Zentrum glatt aus einem «Monty Python»-Film entsprungen sein – und auch mit dieser Szene ist längst nicht das Ende der unvorhersagbaren Reise erreicht, die «Snowpiercer» jedem Liebhaber cineastischer Innovationen bietet.
Und so versetzt der bereits für den Monsterfilm-Geheimtipp «The Host» verantwortliche Bong Joon-ho die Zuschauer in eine Lage, die der Situation der Helden rund um Chris Evans' knurrigen Revolutionsführer Curtis gleicht. Die Passagiere aus der untersten Klasse wissen nie, was sie in den anderen Waggons erwartet. Und so sind Kulturschocks ebenso Programm wie urplötzliche Gewaltausbrüche, finstere Enthüllungen über technische und logistische Fragen rund um die letzte Fluchtstätte der Menschheit oder auch Regimefreunde mit schwer durchschaubaren Strategien – wie etwa Ministerin Mason (mit höchst amüsanter Exzentrik gespielt von Tilda Swinton). Die radikalen, inhaltlich wie erzählerisch aber stets gerechtfertigten Tonfallwechsel verstärken das Gefühl der Entfremdung abseits der niedrigsten Arbeiterklasse und so auch die soghafte Wirkung dieser faszinierend atypischen Zukunftsvision, die in einen intelligenten, beißenden und Konventionen unterwandernden Schluss mündet.