Martin Zusaks Weltbestseller “Die Bücherdiebin” gehört heutzutage zur schulischen Pflichtlektüre. Die Spielfilmvariante des Stoffes erreicht nicht einmal ansatzweise die Intensität der Romanvorlage und entpuppt sich in Teilen gar als gefährliche Romantisierung damaliger Kriegszustände.
Bereits in der Eröffnungssequenz deutet sich die Ausrichtung des Films an. In einer schwelgerischen Kamerafahrt (verantwortlich: Florian Ballhaus, «R.E.D.») aus einer Perspektive über den Wolken erzählt uns der Tod höchstpersönlich davon, wie ausgerechnet ihn das Schicksal der jungen Hauptfigur einst berührte. Dies wäre durchaus ein interessanter Kniff, würde besagter Tod die gezeigten Geschehnisse nicht dadurch verharmlosen, dass er immer wieder betont, dass Grauen und Schönheit deshalb nah beieinander liegen müssen, um die Bedrohlichkeit seiner allgegenwärtigen Präsenz hervorzuheben. Hätte sich Brian Percival dazu entschlossen, nicht nur die Schönheit des Todes – sofern man von einer solchen überhaupt sprechen kann – einzufangen, sondern auch das noch viel wichtigere Element des Grauens zu betrachten, wäre aus «Die Bücherdiebin» vielleicht sogar ein ansatzweise ernstzunehmender Film geworden. Stattdessen verliert sich die trotz allem wahnsinnig gut besetzte Buchverfilmung in unangenehm aufdringlichem Kitsch, der im Chaos des Zweiten Weltkriegs deplatziert wirkt und offensiv versucht, das Publikum dadurch auf seine Seite zu ziehen. Wenn etwa der von Geoffrey Rush («The King’s Speech») angemessen sentimental verkörperte Ziehvater von Liesel erst unfreiwillig rekrutiert wird, um zwanzig Filmminuten beziehungsweise mehrere Handlungsmonate später vollkommen unversehrt wieder aufzutauchen als wäre nichts geschehen, könnte man entweder von einem Glücksfall sprechen – oder aber von einem Beispiel dafür, wie weichgespült das Skript von Michael Petroni doch ist. Angesichts der Tatsache, dass der Drehbuchautor bereits gelungene Werke zu Horrorfilmen (unter anderem «The Rite») verfasste, wundert die hier ohne Herzblut dargebrachte Arbeit voll und ganz.
Nun ließe sich möglicherweise der Ansatz finden, dass «Die Bücherdiebin» die Schrecken des Krieges gar nicht erst schonungslos darstellen will. So erwartet auch niemand von jedem Kriegsfilm mit NS-Thematik durchgehend die emotionale Wucht eines «Schindlers Liste». Wie eingangs erwähnt, seien dem Thema unterschiedliche Betrachtungsweisen gewährt. Im Falle von «Die Bücherdiebin» also die aus der Sicht eines jungen Mädchens. Doch so rührselig die Geschichte um Liesel Meminger auch sein mag, legen mehrere Szenen offen, dass auch ein eher romantisch veranlagter Blickpunkt auf das Geschehen nicht umher kommen darf, gewisse Szenerien eindringlich darstellen zu müssen, um nicht lächerlich oder gar abgeschmackt zu wirken. Wenn die Gestapo (Matthias Matschke in einer ungewohnten Nebenrolle) die Keller der Dorfbewohner nach Juden durchsucht und die Familie Hubermann aufgrund von Max‘ unerlaubter Anwesenheit durchaus Grund hat, Todesängste durchzustehen, verliert diese interessante Szene – trotz ihrer unübersehbaren Schwachpunkte immer noch eine der intensivsten – dadurch an Wert, dass sie nicht nur innerhalb weniger Minuten abgehandelt wird, sondern dem Konflikt mit halbgaren Lösungsansätzen im Stile durchschnittlicher Komödien entkommt. Da muss schon mal eine Hakenkreuz-Flagge als „todsicheres“ Versteck herhalten.
Leider bleiben dem Zuschauer all diese Verwicklungen gänzlich fern. Trotz der guten Besetzung, allen voran Sophie Nélisse («Monsieur Lazhar») die sich in der Rolle der Liesel aufgrund ihres zurückhaltenden aber immer präsenten Spiels als echte Entdeckung entpuppt, entwickelt das Publikum nie eine Nähe zu den Protagonisten. Die eindimensional gezeichneten Charaktere, denen die auf Teufel komm‘ raus als Drache gezeichnete Rosa Hubermann die Krone aufsetzt, als sie zur Mitte des Films wie mit dem Vorschlaghammer plötzlich zur Sympathieträgerin gepresst wird, erfüllen ihr stereotypes Dasein. Der abenteuerlustige Raufbold und als Gegensatz zur Hauptfigur angelegte Rudy (Nico Liersch), der sensibel-zurückhaltende Flüchtling Max sowie sämtliche Bewohner der im Mittelpunkt der Erzählung befindlichen Straße sind allenfalls Abziehbilder gängiger Historienfilmcharaktere. Daran ändern auch bedeutungsschwangere Dialoge sowie penetranter Symbolismus nichts, wenn etwa Max stets mit einem Buch auf der Brust einschläft oder Rudy, Sportfreak und Rebell, auch in den bedrohlichsten Lebenslagen stets einen Fußball unter dem Arm trägt. Nur einmal entwickelt «Die Bücherdiebin» so etwas wie Persönlichkeit: Als Liesel zusammen mit ihren Pflegeeltern und Max zu einer Schneeballschlacht im heimischen Keller ansetzt, da der jüdische Gast zu Weihnachten nicht vor die Tür treten darf, kann der Streifen kurzweilig mit Emotionen überzeugen, die nicht gezwungen, sondern ehrlich, ja, fast anarchisch daherkommen.
Als ebenso ärgerlich erweist sich neben dem sträflich vernachlässigten Umgang mit den Figuren auch der mit den eigentlich sehr authentischen Kulissen. Auf den ersten Blick beeindrucken die zum Großteil im Filmstudio Babelsberg erbauten Sets mit einer beachtlichen Detailverliebtheit. So versprüht die nachempfundene Münchner Himmelsstraße vor allem im Schnee eine ebenso gemütliche wie bedrohliche Atmosphäre; vor allem aber das Flair der damaligen Zeit. Doch schon bald entpuppt sich der offenbar beschränkte Platz als Krux: Einstellungen wiederholen sich, die nachgestellte Reichspogromnacht verkommt zur Farce, in welcher sich eine Handvoll Nationalsozialisten allenfalls ein kleines Handgemenge mit den ortsansässigen Juden liefern. Die wahre Dramatik der damaligen Zustände vermag «Die Bücherdiebin» nie auszustrahlen. Lediglich die anschaulich in Szene gesetzte Bücherverbrennung auf dem Marktplatz sorgt für Gänsehaut. Auch einige kunstvoll gestalteten Bildmontagen zu einem gelungenen aber insgesamt unauffällig bleibenden Score von John Williams sind nett anzusehen. Als Ausgleich für die vielen Schwachpunkte genügt dies jedoch noch lange nicht.