Die Kino-Kritiker: «Saving Mr. Banks»

Im ebenso berührenden wie gewitzten Drama «Saving Mr. Banks» begeistern Emma Thompson und Tom Hanks als Kinderbuchautorin P. L. Travers und Filmproduzent Walt Disney.

Hinter den Kulissen

  • Regie: John Lee Hancock
  • Produzenten: Alison Owen, Ian Collie und Philip Steuer
  • Drehbuch: Kelly Marcel und Sue Smith
  • Musik: Thomas Newman
  • Kamera: John Schwartzman
  • Schnitt: Mark Livolsi
  • Budget: 30 Millionen Dollar
Den Namen Helen Lynwood Goff zu kennen, ist nicht unbedingt Teil der Allgemeinbildung. Unter ihrem Pseudonym Pamela Lynwood Travers (oder kurz: P. L. Travers) ist die 1899 geborene Frau hingegen auch heute noch wenigstens ein halbwegs geläufiger Begriff. Unsterblich ist dafür unbestritten ihre literarische Schöpfung Mary Poppins. Von 1934 bis 1989 erschienen die Erlebnisse des magischen Kindermädchens in gedruckter Form und eroberten insbesondere im englischsprachigen Raum die Herzen mehrerer Kindergenerationen. Weiteren Ruhm erhielt die Nanny mit dem sprechenden Regenschirm durch den Musicalfilm «Mary Poppins» aus dem Jahre 1964, der seither eine der einträglichsten und beliebtesten Produktionen Walt Disneys ist.

Beinahe wäre der mit fünf Academy Awards bedachte Filmklassiker jedoch nicht zustande gekommen. Denn P. L. Travers weigerte sich jahrzehntelang, die Leinwandrechte an Mary Poppins herauszugeben. Erst nachdem Walt Disney der in London lebenden Autorin im Jahre 1961 das letzte Sagen bezüglich des Drehbuchs versicherte und sie für zwei Wochen in seine Studios einlud, um Einfluss auf die Vorproduktion nehmen zu können, willigte Travers ein. Nicht jedoch, ohne zuvor durch ihre garstigen Kommentare in Disneys Filmfabrik für Unmut zu sorgen.

Während die filmgewordene Folge dieser Entscheidung gemeinhin dennoch für Begeisterung sorgte, übte sich Travers auch nach der Kinopremiere des Musicals in inkonsistenten Stellungnahmen. So sind zahlreiche Interviews verbrieft, in denen Travers im Gespräch mit intellektuellen Kunstkritikern den Film als gehaltlosen Kitsch verriss. Gleichwohl existieren auch sehr positive Aussagen Travers' über Walt Disney und seine Adaption der Mary-Poppins-Geschichten. Filmhistoriker Brian Sibley etwa arbeitete zwei Jahrzehnte lang mit Travers zusammen und entwickelte mit ihr sogar ein (letztlich nie produziertes) Drehbuch für eine Kinofortsetzung. Laut Sibley machte sich Travers dafür stark, primär den Disney-Film im Sequel zu beachten und die Bücher größtenteils zu ignorieren. Darüber hinaus hätte Travers ihm gegenüber deutlich mehr Aspekte der Disney-Produktion gelobt als kritisiert. Dessen ungeachtet betonte sie in Pressegesprächen bis in ihre letzten Lebensjahre hinein, sie wolle nicht an den Film oder die schmerzliche Premierennacht erinnert werden, bei der sie aufgrund der Konfrontation mit Disneys Kinoversion ihrer Geschichte vom Gedanken erfüllt war, nie wieder schreiben zu können. «Mary Poppins»-Songschreiber Richard Sherman urteilte angesichts dieser Widersprüche einst im New Yorker Magazine, dass P. L. Travers ihre Einstellung zu Disney an ihre Gesprächspartner anpasste und sich insbesondere gegenüber der intellektuellen, literarisch versierten Klientel von Disney verletzt gab.

Allein schon hieran zeichnet sich ab, dass P. L. Travers eine faszinierende und komplizierte Persönlichkeit war. Und dabei ist dies nur die Spitze des Eisberges – so vergessen gemeinhin selbst große Kenner ihres Werkes, dass die stets souverän-unterkühlt auftretende Autorin mit makellosem englischen Akzent gebürtige Australierin war und auf einer Farm aufwuchs. Dieser komplexen Person versucht sich Regisseur John Lee Hancock («Blind Side – Die große Chance») im Kinodrama «Saving Mr. Banks» zu nähern, indem er auf cineastische Weise zwei einschneidende Phasen in Travers' Leben nacherzählt: Der Kleinkrieg zwischen Travers und Disney sowie die bewegten Kindheitsjahre der Australierin, welche sie dazu inspirierten, Mary Poppins zu erschaffen.

Zynische Kinobesucher geraten angesichts des Produktionshauses, das «Saving Mr. Banks» verwirklichte, womöglich in Versuchung, den Walt Disney Studios eine Form von Selbstbeweihräucherung zu unterstellen. Immerhin handelt es sich dabei um einen Film aus dem Hause Disney, in dem Walt Disney einer Künstlerin begegnet, die ihm zunächst abgeneigt ist, letztlich aber klein beigibt und ihm die Filmlizenz an ihren wichtigsten Figuren überlässt. Ein Blick auf die Produktionsgeschichte verrät aber, dass es nicht die Intention hinter «Saving Mr. Banks» ist, hauptsächlich von einem Triumph Disneys zu berichten. Wie sich auch im fertigen Werk zeigt, ging es den Urhebern dieses Projektes um eine ganz andere Erzählung.

Der Stein des Anstoßes erfolgte vom australischen Produzenten Ian Collie, der 2002 die TV-Dokumentation «The Shadow of Mary Poppins» verwirklichte und im Anschluss an diese Arbeiten den Wunsch hegte, einen Spielfilm anzupacken, der die Kindheit Travers' und deren Einfluss auf ihr späteres Schaffen beleuchtet. Diese Idee trug er an die Drehbuchautorin Sue Smith heran, die daraufhin ein Skript verfasste, das auch ausführlich auf Travers Konflikt mit Disney einging, weil sich in dieser Situation intensiv äußerte, wie eng Travers ihre Kindheit mit ihren Geschichten verknüpfte. Als den Produzenten Collie und Alison Owen daraufhin bewusst wurde, dass sie ohne Einwilligung Disneys dieses Projekt nur schwer bewerkstelligen könnten, heuerten sie «Terra Nova»-Schöpferin Kelly Marcel an. Diese sollte das Drehbuch abrunden und so aussagekräftig gestalten, dass Disney möglicherweise mit in das Projekt einsteigt. Durch Marcels Recherchen beeinflusst, die unter anderem weitere Gespräche mit Augenzeugen umfassten, intensivierte sie vor allem die persönliche, emotionale Seite des Kleinkriegs zwischen Travers und Disney. Das Ergebnis reichten die Filmverantwortlichen bei Walt Disney Pictures ein. Dort stieß die Filmidee auf große Gegenliebe und die Studiobosse willigten ein, das Drehbuch nicht hinsichtlich der Darstellung Walt Disneys zu verfälschen.

Obwohl die Ankündigung der ersten fiktionalisierten Darstellung Walt Disneys auf der großen Leinwand vorab für Furore sorgte und dieser Rummel in der Medienberichterstattung die eigentliche Basis von «Saving Mr. Banks» übertönte, bleibt dieses Drama somit überdeutlich eine Erzählung über Travers: Der Fokus des Films liegt darauf, zu zeigen, weshalb Mary Poppins für die streitlustige Lady mehr war als nur eine einträgliche Romanfigur. Außerdem versuchten sich die «Saving Mr. Banks»-Autorinnen an einer plausiblen Verflechtung von Travers' Reaktionen auf den Disney-Film und ihren Umgang mit ihren eigenen Kindheitserinnerungen. Auch wenn die Filmemacher ausreichend Walt Disneys Position illustrieren, und dem Publikum erörtern, wie er Travers letztlich zumindest ansatzweise von sich überzeugen konnte, so liegt der Schwerpunkt des Dramas stets auf dem inneren Kampf, den die Autorin durchmacht. Dass aber sowohl Travers als auch Disney in «Saving Mr. Banks» nachvollziehbare Argumente anbringen und gleichermaßen durch so manchen Starrsinn verdiente Kritik auf sich ziehen, macht «Saving Mr. Banks» zu einem besonders denkwürdigen Einblick in die Hollywoodmaschine.

Die größte Stärke von «Saving Mr. Banks» sind seine Hauptfiguren. Tom Hanks nimmt sich mit spürbarer Spielfreude wie auch Ehrfurcht der schwierigen Aufgabe an, den weltberühmten Produzenten zu verkörpern. Unaufdringlich lässt er einige markante Gesten und Gewohnheiten Disneys, die Kennern seiner zahlreichen Fernsehauftritte bekannt sein dürften, in sein Schauspiel einfließen und schafft so, trotz seiner Walt Disney nicht völlig gleichkommenden Physis, eine große Authentizität. Zudem greift der Oscar-Preisträger diese Kleinigkeiten auf, um ein glaubwürdig ambivalentes Bild des, sein Image bewusst einsetzenden Studiobosses zu zeichnen. So zeigt er stets ein ansteckendes, aber auch spürbar aufgesetzt freundliches Lächeln und verwendet seine ganz eigene Mischung aus Bodenständigkeit und Entertainerqualitäten geschickt als Verhandlungstaktik. Dennoch lässt Hanks nie einen Zweifel daran, welche Passion Walt Disney in seine Arbeit steckt – etwa, wenn Disneys freundliche Fassade in Hanks' Performance durch einen einzelnen Augenaufschlag zusammenbricht, und deutlich wird, wie sehr ihn Travers' Geringschätzung des von ihm geliebten Trickmediums verletzt.

Hanks' Disney ist als gewiefter Geschäftsmann mit kindlicher Begeisterungsfähigkeit der perfekte Kontrahent für die von Emma Thompson bis zur Perfektion gespielte Pamela Travers. Die britische Oscar-Preisträgerin verschwindet förmlich in ihrer Rolle des verknöcherten Kontrollfreaks, der in den Disney-Studios eine emotionale Achterbahnfahrt durchmacht. Mit feinem Gespür für eine leichte, ironische Überzeichnung verdeutlicht Thompson Travers' versnobte Abscheu vor Kitsch und ein Übermaß an ungezügelter Heiterkeit, wodurch diese so gestrenge Persönlichkeit auch für einige Lacher gut ist. Gleichzeitig drückt Thompson mit verzweifelten Blicken und kleinen, scheinbar unterbewussten Gesten die ehrliche Verletzlichkeit der Poppins-Schöpferin aus. Da sie hinter allen unsensiblen Abfuhren und gehässigen Kommentaren, die sie Disney und seinem Team verpasst, auch nachvollziehbare, persönliche Gründe hat, sich gegen deren Ideen zu verwehren, bleibt ihr Handeln greifbar und für den Zuschauer verständlich.

Beachtenswert ist, wie die Macher von «Saving Mr. Banks» Travers sogar über den künstlerischen Konflikt hinaus sehr komplex skizzieren. Ganz subtil schneiden sie die Möglichkeit an, wie sie zugleich vom an ihren Vater erinnernden, kindlichen und unruhigen Walt Disney fasziniert ist und sich andererseits durch seinen Mangel an Zurückhaltung und Feinsinn von ihm angewidert fühlt. All dies ermöglicht es Emma Thompson, fließend von reiner Zickigkeit zu kultureller Resignation überzuleiten und letztlich darzustellen, wie die Auseinandersetzung mit Disney seelische Wunden aufreißt, wegen derer sich die Autorin einer Kooperation verwehrt.

Das restliche Ensemble bekommt keine solchen Gelegenheiten für ein ähnlich beeindruckendes, facettenreiches Spiel. Dennoch wissen auch die weiteren Akteure weitestgehend zu überzeugen. Dies trifft vor allem auf Paul Giamatti als Travers' redseliger, feinfühliger Chauffeur, Annie Rose Buckley als junge P. L. Travers und die pointiert agierenden Jason Schwartzman und B. J. Bovak als die für «Mary Poppins» komponierenden Sherman-Brüder sowie Bradley Whitford als Drehbuchautor Don DaGradi zu. Ruth Wilsons Figur als überforderte Mutter Travers' wiederum geriet weitestgehend eintönig, was aber von zwei emotionalen Ausbrüchen erfolgreich abgefedert wird. Ähnlich spielt auch Colin Farrell Travers' Vater eingangs unglaubwürdig optimistisch und juvenil, was sich jedoch sehr gut in die Struktur der Geschichte fügt und graduell untergraben wird, womit sich schlussendlich eine sehr effektvolle Darbietung ergibt.

Inszenatorisch setzt Regisseur John Lee Hancock auf einen sehr zurückhaltenden visuellen Stil: Akzente werden primär durch die kommentierenden Umschnitte zwischen den 60ern und Travers' Kindheit gesetzt. Die Kameraarbeit John Schwartzmans hingegen umfasst nur wenige bildliche Anmerkungen bezüglich des Geschehens, stattdessen fängt sie größtenteils effektiv die Figuren und ihre Umgebung ein. Der deutlichste visuelle Kunstgriff ist, wie Hancock den Rückblicken auf Travers' Zeit in Australien durch präzise eingesetzte Zeitlupen, leichte Überbeleuchtung und eine stete Betonung der weiten australischen Flächen eine unterschwellig sentimental-traumhafte Note verleiht. Somit heben sie sich umso deutlicher von den Sequenzen in den bunten, aber auch sehr funktionalen Disney-Studios ab, sowie von den wenigen, prunkvollen Momenten, die im kalifornischen Disneyland spielen. Äußerst denkwürdig ist derweil Thomas Newmans subtile, spielerische Musikuntermalung, die sich freimütig an den bekannten «Mary Poppins»-Melodien bedient und diese komplett neu interpretiert, um sie mal schwärmerisch, mal verletzlich einzusetzen.

Der musikalisch beeindruckendste Moment von «Saving Mr. Banks» erfolgt während der Weltpremiere von «Mary Poppins», die Newman in ein melodisches Kleid packt, dessen Komplexität womöglich auch P. L. Travers gefallen hätte. Ihr Leinwandpendant zumindest durchläuft parallel dazu ebenfalls eine Vielzahl von Emotionen, was Thompson in einer Gänsehaut erzeugenden Darbietung zur Schau stellt. Manchem Kinogänger wird die von Regisseur Hancock und den Drehbuchautoren Marcel & Smith nahe gelegte Deutung von Travers' ganz persönlicher Auffassung des Kinofilms und dessen Bezug zu ihren Kindheitserinnerungen zu rührselig sein. Aber Thompsons begnadetes Schauspiel sollte selbst hartherzige Kinobesucher für diese Interpretation des Charakters einer facettenreichen, undurchschaubaren realen Person erweichen können.

«Saving Mr. Banks» ist ab dem 6. März 2014 in zahlreichen deutschen Kinos zu sehen.
04.03.2014 12:30 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/69356