Die Kino-Kritiker: «Killing Time - Zeit zu sterben»

"Wie Tarantino auf rumänisch": Der Arthousekrimi «Killing Time» wehrt sich gegen die konventionellen Sehgewohnheiten des deutschen Kinopublikums.

Filmfacts «Killing Time»

  • Kinostart: 20.Februar 2014
  • Genre: Thriller
  • Laufzeit: 99 Min.
  • FSK: 16
  • Regie: Florin Piersic Jr.
  • Darsteller: Florin Piersic Jr., Cristian Gutau, Olimpia Melinte, Florin Zamfirescu
  • OT: Killing Time (ROU 2012)
Ein experimenteller Kunstfilm aus Rumänien ist wie prädestiniert dafür, in kleinen Programmkinos unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor sich hinzuvegetieren. Dass sich gerade im ausländischen Filmbereich, abseits von Hollywood regelrechte Filmperlen auftun können, beweist mit «Killing Time – Zeit zu sterben» einmal mehr Florin Piersic Jr. («WebSiteStory»). In Rumänien ein Star schickt sich der Schauspieler und Regisseur nun an, auch das deutsche Kinopublikum von seiner ungewöhnlichen Thrillerkost zu überzeugen. Dabei herausgekommen ist ein raffiniertes Suspense-Kammerspiel, dessen minimalistische Machart eine Story ummantelt, die 1:1 aus der Feder eines Quentin Tarantino stammen könnte und mehr als einmal deutliche Referenzen an dessen immerwährenden Klassiker «Reservoir Dogs» aufweist.

Zwei (namenlose) Auftragskiller warten in einer kleinen Wohnung auf ihr nächstes Opfer. Einen ganzen Tag lang müssen sich die beiden vollkommen unterschiedlichen Typen (Florin Piersic Jr. und Cristian Gutau) miteinander auseinandersetzen. Sie führen mal mehr, mal weniger tiefgründige Gespräche über Gott und die Welt, erzählen aus ihrem Leben oder spielen Tischtennis. Doch ausgerechnet die Frage nach dem stärksten Superhelden aller Zeiten lässt die Stimmung kippen. Aus dem vermeintlich eingespielten Team werden Konkurrenten, für welche die Frage „Batman oder Spiderman?“ nicht die letzte Meinungsverschiedenheit gewesen sein soll. Es dauert nicht mehr lange und einer der beiden wird die Waffe auf den jeweils anderen richten…

Florin Piersic Jr., der nicht nur Regie führte sondern auch das Drehbuch schrieb, entschied sich bei der Inszenierung seines Films für die maximale Reduktion. Der Regisseur unterteilt seinen neunzigminütigen Streifen in verschiedene Kapitel, alle chronologisch zu jeweils anderer Tageszeit spielend. Nach kurzer Einblendung der Uhrzeit stellt die nachfolgende Handlung zumeist einen Dialog zwischen den beiden Hauptfiguren dar, wobei die Kamera in jeder Szene fast ausschließlich einen einzigen Standort beibehält. So klebt sie meistens an den Lippen des Redenden und bewegt sich nur selten durch die nahezu einzige Kulisse der kleinen Wohnung. Das ist experimentell und ganz gewiss nicht mainstreamtauglich, entwickelt mit der Zeit dennoch eine äußerst bedrohliche Atmosphäre. Die geschliffenen Dialoge, die nach und nach die Charaktere formen, offenbaren dem Publikum rasch, dass es Zeuge einer nahenden Katastrophe wird. Aus der Kameraperspektive eines Beobachters wird der Zuschauer zum Voyeur, der den Protagonisten direkt über die Schulter schaut, mit ihnen auf dem Sofa hockt oder auf der Rückbank des Autos sitzt. Unterstützt wird diese Herangehensweise von der an Found Footage erinnernden Bildsprache, die gänzlich auf Farbfilter, Hochglanzlook oder anderweitige künstlerische Stilmittel verzichtet. Wo die Debüt-Arbeit von Kameramann Christian Stan zunächst fast amateurhaft und keinem bestimmten Schema folgend anmutet, entpuppt sich diese Form der Szeneriebeobachtung schon bald als äußerst wirksam, um die Stimmung auf unverfälschte Weise einzufangen.

Ebenso verhält es mit dem Soundtrack aus der Feder von Karl Ritter, für den «Killing Time – Zeit zu sterben» nach «Fix Alert» bereits die zweite Zusammenarbeit mit Piersic Jr. darstellt. Der blecherne Instrumentalscore findet lediglich im Vor- und Abspann Verwendung. Ansonsten nutzt Piersic Jr. für die Soundkulisse seines Films ausschließlich Umgebungsgeräusche wie quietschende Autoreifen oder den dröhnenden Electrosound eines Billig-Computerspiels. Er kehrt diese akustischen Zusätze jedoch oftmals deutlich hervor und nutzt sie, um Spannung, Hektik oder Lethargie zu generieren.

Während sich das Publikum zu Beginn noch durch den einen oder anderen langatmigen Dialogabschnitt hindurchkämpfen muss, nimmt die Schlagzahl an Zweideutigkeiten mit der Zeit deutlich zu. Dem Leitsatz „In der Ruhe liegt die Kraft“ folgend, konzentriert sich Florin Piersic Jr. bei der Ausarbeitung seiner Dialoge immer wieder auf die Stärken und Schwächen seiner Hauptfiguren, bis diese irgendwann offenlegen, mit welcher Art Mensch man es als Zuschauer tatsächlich zu tun hat. Wie bei einer Zwiebel legt der Regisseur Schicht für Schicht seiner beiden Killer frei, bis sich beide schließlich geistig entblößt gegenüber stehen. So ist «Killing Time» nihilistischer Thriller und Charakterstudie zugleich; Florin Piersic Jr. und Cristian Gutau («Fix Alert») wissen diesen schwierigen Genremix dabei gekonnt zu meistern.

Die beiden Schauspieler, die sich in Rumänien bislang wesentlich größerer Bekanntheit erfreuen als hierzulande, verkörpern ihre ambivalenten Charakterrollen mit meisterhafter Authentizität. Wüsste man nicht um den fiktiven Hintergrund, so könnte man fast meinen, «Killing Time – Zeit zu sterben» sei eine abstrakte Dokumentation und sämtliche Szenerien spielten sich so in der Wirklichkeit ab. Während Piersic Jr. vor allem in den stillen, nahezu verzweifelten Momenten als unberechenbarer Mörder voll von bitterem Kalkül überzeugt, brilliert Gutau als impulsiver Grübler – vor dem Hintergrund, dass beide in Besitz einer schussbereiten Waffe sind, ist dies zu jedem Zeitpunkt eine äußerst gefährliche Kombination. Erwähnenswerte Nebenrollen gibt es kaum, wenngleich Olimpia Melintes («Cele ce plutesc») nur wenige Minuten kurze Herzschlag-Performance einer in Todesangst schwebenden Mutter einen fast noch stärkeren Eindruck hinterlässt, als es ihre beiden männlichen Kollegen tun.

Vor allem gen Ende geht es in «Killing Time – Zeit zu sterben» äußerst blutig zu. Zwar stell Florin Piersic Jr. die ausführende Gewalt nicht effekthascherisch zur Schau, sondern besinnt sich auch hier auf die Bodenständigkeit der Prämisse. Dennoch entpuppt sich vor allem der finale Akt als ein einziger nihilistischer Exzess. Das tut trotz der Reduktion auf das Nötigste und das Weglassen von Effekten schon beim Hinschauen weh und offenbart dabei die Raffinesse des Drehbuchs. Dank dessen Konsequenz und Genauigkeit in der Beobachtung geht dem Publikum das Schicksal sämtlicher Beteiligter zu Herzen. Und das, obwohl die beiden Hauptdarsteller doch ganz klar entgegen klassischer Protagonisten-Grundsätze angelegt sind. Ein Fest für Cineasten!

«Killing Time – Zeit zu sterben» ist ab dem 20. Februar in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
20.02.2014 11:30 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/69101