Zeitversetztes Fernsehen: Wie stark werden digitale Aufzeichnungen eigentlich genutzt?

In den USA legte «Smash» seiner Zeit um satte 120 Prozent nach der Erstausstrahlung zu. In Deutschland ist so etwas fünf Jahre nach Erfassungsbeginn des zeitversetzten Fernsehens nach wie vor nicht zu beobachten.

Durchschnittliche Zuwächse in der US-Saison 2012/2013:

Nach Prozent; in der Zielgruppe 18-49 Jahren:
«Hannibal» 77%
«Grimm» 75%
«Smash» 75%
«Private Practice» 71%
«Revolution» 68%

Nach absoluten Zuschauern:
«Modern Family» 4,45 Mio.
«The Big Bang Theory» 4,25 Mio.
«The Following» 3,91 Mio.
«Elementary» 3,90 Mio.
«Revolution» 3,80 Mio.
Seit rund fünf Jahren wird in Deutschland neben den Sehbeteiligungen und Marktanteilen der Live-Ausstrahlungen auch die Verwendung des zeitversetzten Fernsehens mit digitalen Aufzeichnungsgeräten wie Festplattenrecordern oder DVD-Recordern erfasst. Diese finden allerdings bloß eine Berücksichtigung, sofern die Aufnahme innerhalb von drei Tagen angesehen wird. Dennoch bilden weiterhin hauptsächlich die linearen Quoten die maßgebliche Grundlage für Programmentscheidungen. Die Begründung dafür liegt auf der Hand, denn bei Mitschnitten werden die Werbeblöcke oft übersprungen, wodurch diese Zuschauer für Werbekunden und damit für die Spotpreise unerheblich sind. Mit der zunehmenden Verbreitung der HD+-Verschlüsselung, bei der ein Ausblenden der Werbeunterbrechungen in der Regel technisch verhindert wird, erhält die erweiterte Nutzungsform des TV-Angebots aber eine immer stärkere wirtschaftliche Relevanz, weswegen sich ein Blick auf die dahinter steckenden Potentiale lohnt.

Eine erste Zwischenbilanz, die von der Mediengruppe RTL Deutschland rund zwei Monate nach der Einführung der Erfassung des zeitversetzten Fernsehens gezogen wurde, führte zu dem Ergebnis, dass die Sehdauer bei den 14 bis 49-Jährigen im Durchschnitt um nur 0,3 Prozent anstieg. Lediglich bei Daily Soaps wäre mit zwei Prozent ein höherer Zuwachs gemessen worden. Rund fünf Jahre später hat sich das Bild kaum verändert, denn die Zuwächse der Sehbeteiligungen durch die Berücksichtigung von Aufzeichnungen betragen selten mehr als zwei Prozent. Auch wenn der Gebrauch solcher Aufnahmen in Deutschland gegenüber dem Jahr 2009 zwar leicht angestiegen zu sein scheint, nimmt er weiter eine untergeordnete Bedeutung gegenüber der linearen Nutzung ein.

Welche grundsätzlichen Möglichkeiten sich hinter der Erfassung von aufgenommenen Formaten verbergen kann, zeigen die Messdaten aus den Vereinigten Staaten. Dort werden Programme allerdings noch innerhalb von sieben Tagen für die finale Einschaltquote berücksichtigt. Insbesondere in der werberelevanten Zielgruppe, die in den USA mit einem Alter zwischen 18 und 49 Jahren festgelegt ist, steigen die Ratings der meisten Serien um mehr als 50 Prozent an. Im Januar 2014 traf dies auf rund 30 Network-Formate zu. Dabei wuchsen die Werte von «Blacklist», «CSI: Vegas», «Grimm» und «Tomorrow People» sogar um über 80 Prozent an. Allein die Ausgabe von «Blacklist» vom 20. Januar 2014 gewann im Nachhinein insgesamt über 6,62 Millionen Zuschauer hinzu, wodurch die Live-Zahl von ursprünglich 8,83 Mio. auf 15,45 Mio. Menschen angehoben wurde. «Modern Family» erweiterte in der selben Woche seine Reichweite um knapp über fünf Millionen Zuseher. Für die Episode der Serie «SMASH» (Foto), die ihre lineare Premiere am 04. Mai 2013 feierte, stieg die Sehbeteiligung durch digitale Mitschnitte gar um 120 Prozent an. Damit wurde diese Ausgabe öfter als Aufzeichnung als im laufenden Programm angesehen.

Von diesen Verhältnissen ist man in Deutschland deutlich entfernt. Selbst bei eigenproduzierten und damit exklusiven Serien bewegen sich die Steigerungen auf einem vergleichsweise kümmerlichen Niveau. Bei der Aufführung der vierten Staffel von «Der letzte Bulle» vermehrten sich die Sehbeteiligungen durch das Ansehen von Aufzeichnungen innerhalb von drei Tagen um durchschnittlich nur 2,5 Prozent. Bei «Der Lehrer» lag die Erhöhung zuletzt bei 1,1 Prozent, während sie bei der Wiederholung von «Alarm für Cobra 11» rund 1,7 Prozent ausmachte. Bei der vergangenen Staffel der Familienserie «Um Himmels Willen» lag der Betrag lediglich bei 0,9 Prozent. Selbst bei den täglichen Serien «Rote Rosen» und «Alles was zählt» liegen die Anstiege in der Regel bei bloß 0,6 Prozent.

Davon wenig unterschiedlich stellt sich die Situation bei heimischen Show-Events dar. Die zehnte Staffel von «Deutschland sucht den Superstar» erreichte im vergangenen Jahr beispielsweise selten Zunahmen von über einem Prozent, während der Wert bei der vergangenen Staffel von «Germany’s Next Topmodel» nur bei 0,9 Prozent lag. Das ZDF verbuchte bei seinem Primetime-Quiz «Rette die Million!» nur eine nachträgliche Korrektur von 0,2 Prozent. Selbst die einzelnen Episoden der jüngst beendeten Rekord-Staffel von «Ich bin ein Star, holt mich hier raus!» wurde im Durchschnitt jeweils bloß 80.000 Mal von Festplatte geschaut, wodurch der Zuwachs in der Regel einen Prozentpunkt nicht überstieg.

Einzig bei einigen wöchentlichen, amerikanischen Serien mit fortlaufender Handlung ergaben sich höhere Ziffern, wie etwa bei der ersten Staffel von «Homeland» in Sat.1 mit 4,6 Prozent. Bei den regulär ausgestrahlten acht Folgen von «House of Cards» waren rund 3,8 Prozent zu verzeichnen und bei der zweiten Hälfte der neunten Staffel von «Grey’s Anatomy» bewegten sich die Zuwächse im vergangenen Frühjahr um 4,2 Prozent.

Mit durchschnittlich 4,25 Millionen später hinzugewonnenen Zuschauern stand die Sitcom «The Big Bang Theory» in der vergangenen Saison direkt hinter «Modern Family» auf Platz zwei der am häufigsten aufgezeichneten Formate. Dies entsprach aufgrund der hohen Live-Quote einer Zunahme von 25 Prozent. In Deutschland sahen die Serie derweil lediglich 40.000 Menschen von der Festplatte, was einem prozentualen Zuwachs von 2,1 Prozent entsprach.

Eine besondere Ausnahme bildet in der Regel der Sendeplatz am späten Freitagabend von ProSieben, denn die dort gezeigten Serien werden deutlich häufiger nachträglich angeschaut. So konnte die finale Staffel von «Fringe» ihre Ergebnisse später um knapp zehn Prozent verbessern. Dies entsprach jeweils 80.000 Zuschauern. Obwohl «Fringe» damit einen außerordentlich hohen Prozentwert für das deutsche Fernsehen erreicht hat, liegt dieser noch immer deutlich unterhalb der amerikanischen Zustände, wo die Reichweiten der selben Staffel innerhalb der werberelevanten Zielgruppe nachträglich um 60 Prozent anschwellten.

Am deutlichsten wird die Diskrepanz anhand der ersten Staffel von «Hannibal», die mit einer durchschnittlichen Anhebung von 77 Prozent das höchste prozentuale Wachstum in der jungen Zielgruppe der kompletten vergangenen TV-Season verbuchte. In Deutschland wurde für die selben Folgen hingegen ein mittlerer Anstieg um lediglich 1,7 Prozent registriert.

Als Ursache für die erheblichen Unterschiede können sowohl die verschiedenen Zeitspannen, in denen das Ansehen einer Auszeichnung berücksichtigt wird, als auch die noch immer geringere Verbreitung von Festplatten- und DVD-Recordern in Deutschland angenommen werden. Schließlich nutzen in den USA derzeit weit über 50 Prozent der Fernsehzuschauer regelmäßig diese Möglichkeit. Offenbar hat sich der Gebrauch von digitalen Aufzeichnungsgeräten bei uns noch immer nicht derart flächendeckend durchgesetzt. Stattdessen wird hier verstärkt auf Online-Angebote, Mediatheken und On-Demand-Dienste zurück gegriffen. Dies spiegelt sich in einzelnen Formaten wie «Germany’s Next Topmodel», «Berlin - Tag & Nacht» und «Ich bin ein Star, holt mich hier raus!» wider, bei denen regelmäßig Klickzahlen gemessen werden, die einem Drittel der TV-Reichweite entsprechen. Hier liegen offenbar die derzeit größten Möglichkeiten, weswegen es umso wichtiger erscheint, dass die zuständigen Stellen, endlich ein zuverlässiges System implementieren, das auch diese Nutzungsformen berücksichtigt.
15.02.2014 12:23 Uhr  •  Christian Richter Kurz-URL: qmde.de/69047