Der Fernsehfriedhof Spezial: NSA für Arme?

Christian Richter erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 275: Eine Gewinnspielaktion, durch die Zuschauer ausspioniert und an die GEZ verraten werden konnten.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir einer vermeintlichen Verschwörung, die aus den „X-Akten“ stammen könnte.

Die "DOTWINS" wurden am 25. April 2001 von ProSieben geboren und waren der zentrale Bestandteil einer breitangelegten Werbeaktion, welche die Bindung der Zuschauer an den Sender stärken sollte. Dazu wurden kleine Aufkleber von der Größe eines 5-Mark-Stücks verteilt, die zu bestimmten Zeitpunkten auf den Bildschirm zu kleben waren und registrieren konnten, ob tatsächlich das Programm von ProSieben eingeschaltet war. Dazu wurden täglich zwei wechselnde Formate benannt, in denen es möglich war, den Sticker zu „aktivieren“. Unter ihnen befanden sich neben Eigenproduktionen wie «Galileo» oder «TV Total» auch Spielfilme wie «Mrs. Doubtfire», «Gattaca» oder «Das Kartell». Während deren gesamter Laufzeit wurde ein roter Punkt eingeblendet, auf den die kleine Scheibe am heimischen Gerät angebracht und dort belassen werden musste, bis die Sendung beendet war. Ein zu spätes Aufkleben oder eine vorzeitige Entfernung sowie ein zwischenzeitliches Umschalten führte zu einer fehlerhaften Aktivierung und zu einem Ausschluss vom zugehörigen Gewinnspiel. Wer den Sticker nämlich anschließend versiegelte und einschickte, konnte an der Verlosung von hochwertigen Sach- und Geldpreisen teilnehmen.

Was technisch nach einem aufwendigen Verfahren klang, basierte auf einem simplen, aber höchst effektivem System, das zuvor unter anderem in Portugal und Australien angewendet wurde. In den Papp-Aufklebern befand sich eine empfindliche Folie, die sich bei Belichtung abhängig von Dauer und Intensität markant verfärbte. Laut ihres Entwicklers Thomas Hohenacker sei dieses Verfahren derart exakt gewesen, dass anhand der Verfärbung minutengenau nachvollzogen werden konnte, ob das betreffende Programm tatsächlich vollständig eingeschaltet war. Daher wäre es nicht ausreichend gewesen, den Sticker über eine gewisse Dauer nur mit einer Lampe zu beleuchten oder während des Aktivierungszeitraums einen anderen Sender zu sehen. Entscheidend für die Funktionalität wäre demnach die Gestalt der "DOTWINS" gewesen, die kleine rote Punkte mit einem Gesicht waren. Auf der Folie seien sechs Sektoren gewesen, die unterschiedlich beleuchtet werden konnten. Die weißen Augen der Fernseheinblendung hätten dabei heller als der rote Körper gestrahlt, wodurch ein charakteristisches Profil registrierbar war. Zudem wurde von Sendung zu Sendung die Ausrichtung der Einblendung geändert, was eine eindeutige Identifizierung der einzelnen Formate ermöglicht hätte.

Mithilfe der Aktion wollte man unbestritten das Zapping-Verhalten der Zuschauer vermindern und sie dazu motivieren, Inhalte inklusive der Werbepausen vollständig anzuschauen. Dumm nur, dass ausgerechnet in den Unterbrechungen das entsprechende "DOTWIN"-Logo ausgeblendet werden musste und diese Zeiträume laut Hohenacker selbst damit unerheblich für die korrekte Aktivierung waren.

Was als nette und innovative Werbekampagne angelegt war, löste jedoch eine Welle von Protesten und Zweifeln aus. Schnell kam der Verdacht auf, die Aufkleber wären in der Lage, unbemerkt sensible Daten zu speichern und weiterzuleiten. Entscheidend dafür war eine E-Mail, die sich massenhaft in Deutschland verbreitete und zu einem Boykott der "DOTWINS" aufrief. Darin war unter anderem zu lesen:

„Gesteuert wird der Dotwin von einem CC128-A4 Controller, entwickelt von der Siemens-Tochter Infineon im Auftrag der niederländischen Fernseh-Forschungs-Gruppe "tv miles international", die sich auf professionelles Kundenprofiling spezialisiert hat. Der Chip ist ein kostengünstiger Nachbau des i440-128, einem amerikanischen Fabrikat, das laut Polizeiangaben von Industriespionen eingesetzt wird. [...] Gespeichert wird eine digitale Bildröhrensignatur, aus der man technisch das Modell des Fernsehgerätes ableiten kann. Die Membran auf der Oberseite ist nicht nur eine Schutzabdeckung, sondern ist an drei Stellen mit einem DA-Wandler verbunden. Dadurch wird theoretisch eine Audio-Aufzeichnung möglich, was aber aufgrund des geringen Speichers unwahrscheinlich ist. Wahrscheinlicher ist es, dass anhand der Stimmprofile gespeichert wird, wie viele Personen sich zu welcher Zeit vor dem Fernsehgerät befunden haben. Besonders schnell zu spüren bekommen Schwarzseher diesen Lauschangriff. Die Adressen der Teilnehmer werden komplett an die GEZ abgetreten, wo ein Abgleich mit der vorhandenen Datenbank erfolgt. Betroffene erhalten schon vier Tage nach dem Absenden des Dotwins amtlichen Besuch.“

Diese mittlerweile längst als Falschmeldung entlarvte Mail, die zusätzlich in zahlreichen Foren und Blogs veröffentlicht wurde, löste eine Vielzahl von kritischen Artikeln und Berichten in nahezu allen prominenten Medien aus und führte an der TU Berlin sogar zu einer wissenschaftlichen Untersuchung der Aufkleber. Ohne Ergebnis, weder konnte ein geheimer Chip entdeckt, noch die Möglichkeit einer unzulässigen Datenspeicherung nachgewiesen werden. Ebenso konnte nicht bestätigt werden, dass die Einsendungen an die GEZ weitergeleitet würden. Es wäre auch äußerst kurios gewesen, dass ausgerechnet der private Anbieter ProSieben an der Einnahmenerhöhung der öffentlich-rechtlichen Anstalten Interesse gezeigt hätte. Selbst die Verbraucherzentralen stuften die Objekte letztlich als reinen PR-Gag ein, wodurch eine vielzitierte "DOTWIN-Verschwörung" ausblieb.

Trotz dieser Vorbehalte entwickelte sich das Spiel zu einer enormen Kampagne, die mit Plakaten, Anzeigen und Spots breit beworben wurde. Dazu trugen ebenfalls die Kooperationspartner McDonald's, Shell, T-D1 und die Deutsche Bank 24 bei, die einerseits die Verteilung der Aufkleber über ihre Produkte übernahmen und andererseits einen Großteil der Gewinne stellten. Innerhalb des rund sechswöchigen Zeitraums wurden auf diese Weise laut Angaben von ProSieben etwa 50 Millionen "DOTWINs" ausgegeben, von denen über sieben Millionen zurückgeschickt worden wären. Von denen seien wiederum über 80 Prozent korrekt „aktiviert“ gewesen. Die deutschen Zuschauer hätten sich damit gewissenhafter als ihre australischen Gegenstücke gezeigt, wo lediglich jede vierte Scheibe korrekt belichtet war. Obwohl sich weder ein signifikanter Anstieg der Einschaltquoten der jeweiligen Sendungen noch eine deutliche Erhöhung des allgemeinen Marktanteils des Kanals registrieren ließ, schätzte der damalige ProSieben-Geschäftsführer Nicolas Paalzow das Engagement als „vollen Erfolg“ ein und zog eine baldige Fortsetzung in Erwägung.

Tatsächlich kehrte das Verfahren während der Fußball-WM im Jahr 2002 noch einmal kurzzeitig im Programm von Sat.1 zurück. Erneut galt es, entsprechende Sticker via Bildschirm zu aktivieren, diesmal jedoch nicht zu wechselnden Zeiten, sondern konstant während der Berichterstattungen von «ran - WM-Fieber». Nach dem Ende des zweiten Durchlaufs, die wesentlich weniger Beachtung fand, verschwanden die roten Aufkleber dann endgültig von den deutschen Bildschirmen.

Die "DOTWINS“ wurden am 26. Juni 2002 beerdigt und erreichten ein Alter von rund einem Jahr. Sie hinterließen zig Millionen nicht oder falsch aktivierte Aufkleber, die letztlich in den Müll wanderten. Insgesamt wurden in beiden Gewinn-Perioden über 50 Autos, 94 Reisen, 290 Handys sowie Geldsummen von knapp zwei Millionen DM verlost. Bis heute ist es übrigens noch nicht offiziell geklärt, wer die Ente über die Überwachungsfunktion der Pappscheiben lanciert hat oder, ob es sich um eine konzerneigene Maßnahme handelte, um gezielt für mehr Aufmerksamkeit zu sorgen.

Möge die Aktion in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann einer dramatischen Film-Reihe von Sat.1.
13.02.2014 11:54 Uhr  •  Christian Richter Kurz-URL: qmde.de/69019